Victor sitzt auf dem Stuhl im Schlafzimmer und schaut nachdenklich zum Bett hinüber. «Was machst du?», frage ich. Er seufzt.
«Ich trau mich nicht recht, ins Bett zu gehen.»
«Wie bitte? Wieso denn das?»
«Ich habe Angst, dass es dann auch kaputt geht.» Auf meinen verwirrten Blick fügt er hinzu: «Das Bett ist so ungefähr das Einzige in unserem Haus, was nicht kaputt ist!»
Ich muss lachen. Probehalber werfe ich mich der Länge nach aufs Bett: Es hält mein Gewicht noch aus. Ausserdem hat Victor masslos übertrieben: Es ist keineswegs alles kaputt. Nur das Garagentor, das Auto, die Toilette im Studio, der Herd und der Heisswasserboiler. Normalerweise kümmert sich Victor am liebsten selbst um solche Dinge, und manchmal helfe ich ihm dabei. Fachleute ruft er eigentlich nur um Hilfe, wenn er alles andere versucht hat. Manchmal dauert es deshalb etwas länger, bis eine Baustelle behoben ist. Doch diesmal liegt das Problem eher in den unterbrochenen oder ganz abgerissenen internationalen Lieferketten und im allgemeinen Mangel von geschultem Personal. Angefangen hat es damit, dass wir uns einen tollen neuen Herd zu Weihnachten geschenkt haben. Ja, zu Weihnachten. Unterdessen hat der Sommer begonnen. Erst dauerte es eine ganze Weile, bis das Ding geliefert wurde, dann fehlten wichtige Einzelteile, dann mussten immer andere Fachleute beigezogen werden, dann verschwanden die Installateure – und so weiter. «Ach, da habt ihr unseren faulsten Angestellten erwischt», war die schulterzuckende Antwort auf eine schüchterne Nachfrage. «Der drückt sich, wo er kann.» Der nächsten Equipe gelang es Wochen später wenigstens, den alten Herd aus seiner Verankerung zu lösen und quer durch die Küche zu schieben, eine tiefe Furche im Holzboden hinterlassend. Dann kratzten sie sich einmal mehr an den Köpfen und Kinnbärten und verkündeten, sie seien leider noch nicht so weit, den neuen Herd an seinen Platz zu bugsieren. Deshalb: kein Herd. Oder eher: zwei gschtabige Herde mitten in der Küche und eine Furche im Boden. Doch Victor fand in seinem Studio eine elektrische Herdplatte, auf der er erstaunlich schmackhafte und vielfältige Gerichte kocht. Überhaupt findet er das alles nicht so schlimm, schliesslich hatte er damals in seinem kleinen Haus in Mexiko weder Elektrizität noch fliessendes Wasser, er kochte mithilfe eines Lötkolbens und eines alten Kuchenblechs und beurteilte die Lebenstüchtigkeit seiner Freundinnen und Freunde danach, mit wie wenig Wasser sie auskamen.
«Wenn du kalt duschst, brauchst du automatisch weniger Wasser», findet auch mein Sohn, als ich berichte, dass jetzt auch noch der Boiler ausgestiegen ist.
«Schon gut!»
Wir duschen nicht kalt. Wir wärmen das Wasser in der Spaghettipfanne auf der einen Herdplatte, füllen es in kleine Schüsseln um und kippen es uns über den Kopf. Victor erzählt von seinem Aufenthalt in Japan, wo er immer so gebadet hat. Wir waschen uns gegenseitig die Haare. Das ist eigentlich ganz romantisch. Es braucht einfach Zeit. Viel Zeit, die wir nicht zu haben meinen, bis wir sie brauchen.
Als der Sanitär endlich zurückruft und meldet, er habe einen neuen Boiler auftreiben können, sage ich ihm, er müsse sich nicht beeilen. «Wir kommen zurecht.»