Ich war mit einer Schweizer Freundin und einer Amerikanerin unterwegs. Wir sind alle mehr oder weniger im selben Alter, zwischen 50 und 60. Immer wieder wurden wir darauf angesprochen: «Ist es nicht absurd, dass wir immer noch, schon wieder für dieselben Rechte auf die Strasse gehen?» Meine amerikanische Freundin nickte und erzählte, dass sie ihren Mann auf einer solchen Demo kennengelernt hat, «das ist über dreissig Jahre her!» Meine Schweizer Freundin und ich zuckten hingegen nur mit den Schultern.
Obwohl die Schweiz bestimmt nicht das fortschrittlichste Land Europas ist, wenn es um Frauenrechte geht, gehören wir zu der glücklichen Generation, für die das Erreichte bereits selbstverständlich war. Wir sind mit diesen Rechten aufgewachsen. Wir hatten Zugang zu Verhütungsmitteln und legalen, sicheren Abtreibungen. Ob wir sie in Anspruch nahmen oder nicht, das Angebot war da, die Möglichkeit bestand, und das stellten wir nicht in Frage. Die Vorstellung, diese Rechte könnten wieder rückgängig gemacht werden, war uns fremd.
Obwohl die Demo von einer Gruppe organisiert worden war, die sich «Raging Grannies», tobende Omas, nennt, waren keineswegs nur Veteraninnen des Aufstands unterwegs. Im Gegenteil, wir sahen viele Familien mit Kindern, viele Männer. Unsere informelle Schätzung kam auf mindestens fünfzig Prozent. Wobei die Geschlechtszugehörigkeit in San Francisco traditionell eher spielerisch und fluid angegangen wird – einer der vielen Gründe, warum ich so gerne hier lebe. Eine Freundin aus Los Angeles bestätigte diesen Eindruck am nächsten Tag: «Schön, dass nicht nur Frauen da waren!»
Und für einmal war ich einverstanden. Normalerweise nervt mich dieser Kommentar nämlich, dieser wehmütige Stossseufzer. «Nur Frauen!» Es sind immer «nur» Frauen, die so seufzen, und ich frage mich seit über dreissig Jahren, warum. Ist eine ausverkaufte Lesung weniger toll, wenn keine oder wenige Männer im Publikum sassen? Bedeutet ein Platz auf der Bestsellerliste weniger, wenn das Buch «nur» von Frauen gelesen wird? Es ist offenbar so, dass zwar mehr Bücher von Männern veröffentlicht, gekauft, subventioniert und preisgekrönt werden, gelesen werden sie aber mehrheitlich von Frauen. Das wusste ich nicht, ich war immer von lesenden Männern umgeben.
In einem Schriftstellerhaushalt aufgewachsen und dann in eine Wohngemeinschaft von erklärten Booknerds gezogen. Drei lesesüchtige, buchbesessene Männer und ich. Wir konnten nächtelang Neuerscheinungen diskutieren, ob sie ein Mann oder eine Frau geschrieben hatte, war eher nebensächlich.
Es gibt wenig, was ich anziehender finde, als den Anblick eines tief in ein Buch versunkenen Mannes. Das heisst aber nicht, dass ich die Gesellschaft lesender, schreibender, sich vorlesen lassender Frauen weniger schätze. Wie sollte ich? Damit würde ich mich ja selbst abwerten. Haben wir das tatsächlich immer noch nötig? Deshalb irritiert es mich nicht nur, es macht mich auch jedes Mal traurig, wenn ich das höre: Wieder nur Frauen. Nur Frauen. Nur.
Wenn es aber um die sogenannten Frauenrechte geht, bin ich einverstanden: Sie gehen nicht «nur» Frauen an. Sie gehen alle an, die letzten Samstag auf der Strasse waren, Männer, Frauen und Kinder und alle, die die engen Grenzen des Geschlechts sprengen.