Milena Moser
Die Tage feiern

Letzte Woche hätte ich beinahe vergessen, dass Ostern ist. Nicht nur, weil die Pandemie mir das Feiern abgewöhnt hat, sondern weil ich mir keinen Stress mehr mache, nicht an Feiertagen – und überhaupt nur noch selten. Auch das habe ich von Victor gelernt.
Publiziert: 25.04.2022 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2022 um 09:01 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Milena Moser

Die perfekte Gastgeberin oder gar Hausfrau war ich nie. Auch in meinen angepasstesten Zeiten konnte mir das niemand vorwerfen. Doch der Stress, den man sich selber macht, hat ja meist mit dem Resultat nur wenig zu tun. Ich hatte durchaus meine Vorstellungen, wie ich die Feiertage gestalten wollte. Vorstellungen, die mich unter Druck setzten und überforderten. Und die der möglichen Magie dieser Momente keine Überlebenschance liessen. Meine Mutter, die ein Vorbild an brutaler Offenheit war, sagte mir denn auch mehr als einmal: «Bei dir ist es gar nicht schön, du bist immer so gestresst!» Ich war verletzt, aber ich wusste auch, dass sie recht hatte. Und doch brauchte es eine Weile, bis ich mich entspannen konnte. Denn eigentlich liebe ich die Feiertage, immer noch, auch wenn ich sie jetzt meist weit weg von meiner Familie und auch ohne die Gesellschaft kleiner Kinder begehe.

Letztes Jahr zum Beispiel fand Victor im Internet eine innovative Art des Eierfärbens, mit Schichten aus künstlichem Schlagrahm aus der Dose und verschiedenen Lebensmittelfarben. Die Prozedur nahm beinahe zwei Tage in Anspruch und das Resultat war absolut unansehnlich. Die Eier sahen aus wie vergammelt. Wir lachten uns kaputt. (Eines dieser scheusslichen Eier haben wir übrigens erst vor kurzem im Garten wiedergefunden. Sogar die frechen, alles fressenden Waschbären, die die Nachbarschaft unsicher machen, haben sie verschmäht.)

Dieses Jahr habe ich mir allerdings nicht viel überlegt, ich kämpfe immer noch mit den Nachwirkungen meiner Covid-Erkrankung. Doch dann fragte Victor ganz nebenbei, ob ich nicht wieder mal eine Wähe backen würde. «Ich hab möglicherweise für Sonntag ein paar Leute eingeladen», sagte er. Möglicherweise? Ein paar? Wie gesagt, ich habe ein paar Jahre gebraucht, um mich an Victors Freestyle-Gastgeberkunst zu gewöhnen. Denn es geht immer alles ein bisschen drunter und drüber. Ich weiss nie, wie viele Gäste kommen und was sie mitbringen werden. Oft werden sie auch zum Kochen und Anrichten eingespannt, die meisten fühlen sich ohnehin wie zu Hause, hantieren frei in der Küche herum oder bedienen sich auch gleich aus dem Kühlschrank.

Anfangs hat mich das ein wenig befremdet, ich gebe es zu. Ich hätte gern wenigstens eine Illusion von Kontrolle behalten. Doch das habe ich gelernt: Es geht nicht darum, dass unsere Freunde unsere Kochkünste oder unser Dekorationsgeschick bewundern. Es geht nicht um eine perfekte Inszenierung. Es geht um das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Gäste fühlen sich wohl, wenn sie nichts müssen, aber alles dürfen. Wenn sie einen Anteil am Geschehen haben. Nicht, wenn alles «perfekt» abläuft — und mal ehrlich, wann tut es das schon?

Victor hatte dann letzte Woche doch zu viel zu tun, um die Tamales selbst zu produzieren, aber er weiss, wo man die besten kaufen kann. Ich nahm den Fertigteig aus dem Tiefkühler und sagte: «Ich verspreche nichts.» Victor ging in die Waschküche, um die riesige Pfanne heraufzuholen, in der die Tamales gedämpft werden. Auf dem Weg blieb er vor dem Synthesizer stehen. Dann setzte er sich hin, um eine Melodie einzufangen, die ihm seit Tagen im Kopf herumging. Als die ersten Gäste eintrafen, folgten sie den Klängen ins Studio, und ich schob eine Wähe in den Ofen. Es wurde ein ganz wunderbarer Tag. Er hätte auch meiner Mutter gefallen.

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