Milena Moser über Entschuldigungen – und wann sie keinen Sinn machen
«Tschuldigung, ha's nöd extra gmacht!»

Der Titel dieser Kolumne stammt aus dem Lied «Es tuet mer leid» von der Kinderband Schtärneföifi. Und obwohl Generationen mit dieser Musik aufgewachsen sind, scheint die hohe Kunst der angemessenen Entschuldigung ein bisschen verloren gegangen zu sein.
Publiziert: 28.03.2022 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2022 um 12:56 Uhr
Milena Moaser sagt: «Auch das müssen wir lernen: Uns nicht andauernd automatisch, prophylaktisch zu entschuldigen, ohne zu wissen, wofür und warum.»
Foto: Getty Images/Tetra images RF
Milena Moser

Sie stehen so weit voneinander entfernt, wie es das schmale Trottoir zulässt. Zwei Kinder im schulpflichtigen Alter, überdimensionierte, bunt bedruckte und irgendwie schillernd glänzende Taschen auf den Rücken. Eines weint, das andere hat die Unterlippe schmollend vorgeschoben. Eine junge Frau, die mir zu jung scheint, um die Mutter zu sein, aber was weiss ich schon, beugt sich nicht zu dem weinenden, sondern zu dem schmollenden Kind.

«Nein, nicht einfach Tschuldigung, das gilt nicht», sagt sie, und ich ahne, was dem Moment vorausgegangen ist. «Entschuldige dich richtig. So, dass man's auch glaubt.»

Da gab sich das Kind einen sichtbaren Ruck, tritt vor das andere hin und streckt die Hand aus: «Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe. Ich will dir doch nicht wehtun.»

Nicht schlecht, dachte ich. Eigentlich perfekt.

Das scheint auch das schmollende Kind so zu empfinden, es richtet sich auf, greift nach der ausgestreckten Hand und schüttelt sie feierlich. Dann hüpfen sie lachend davon, die riesigen Taschen tanzen auf den schmalen Rücken. Während ich mich noch frage, warum diese Kinder so viel Gepäck mitführen müssen, drängt sich die junge Frau an mir vorbei. Sie lächelt: «Sorry!»

Und ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal an einer Schweigewoche teilnahm. Wie immer, wenn man auf etwas Bestimmtes verzichtet, wird einem erst einmal bewusst, wie sehr man daran hängt. Wie viel Zeit man damit verbringt. Ob das nun das Handy ist oder die Kaffeetasse oder eben das Reden. Eine interessante Erfahrung, vor allem auch, weil mir geradezu peinlich klar wurde, welches Wort sich immer gleich als erstes über meinen Lippen drängen will: «Sorry!» Kaum taucht ein anderes menschliches Wesen in meinem Blickfeld auf, ist auch das Wort schon da: «Sorry, sorry, sorry!»

Damit bin ich keinesfalls allein. Auch das müssen wir lernen: Uns nicht andauernd automatisch, prophylaktisch zu entschuldigen, ohne zu wissen, wofür und warum. Manche kippen dann allerdings gleich ins andere Extrem: «Ja, wenn du so empfindlich bist, kann ich auch nichts dafür!», sagen sie vorwurfsvoll. «Ich bin eben so, wie ich bin, das musst du akzeptieren.» Oder: «Ich bin ehrlich, ich sag meine Meinung, tut mir leid, wenn dir das nicht passt!» Den Schuldball dem anderen zurückzuwerfen, ist auch eine beliebte Strategie. «Ja, wenn Sie so leise bestellen!», fuhr mich neulich eine Kellnerin an, bei der ich schüchtern nachgefragt hatte, ob sie meinen doppelten Espresso vielleicht vergessen habe. «Erzähl mir doch nicht, du seist um Mitternacht schon im Bett gewesen», verteidigte sich eine Bekannte, die eine geplante Zusammenarbeit mit dem Ignorieren des Eingabetermins beendet hatte. Ich hatte tatsächlich geschlafen, was ich ihr umständlich und leicht beschämt zu erklären versuchte. Ja, es endete damit, dass ich mich bei ihr entschuldigte: «Sorry!»

Es ist nun mal nicht leicht. Eine ernst gemeinte Entschuldigung, eine, die «gilt», setzt voraus, dass wir uns eines Fehlers bewusst sind. Und Fehler zu machen, ist uns offenbar strengstens verboten. Das liegt gar nicht drin! Das darf nicht sein! Und so verheddern wir uns in halbbatzigen Formulierungen, dabei wollen wir, wie die Kinder auf dem Heimweg, eigentlich niemandem wehtun ...

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