Milena Moser
Das A-Wort

Neulich wurde ich wieder mal gerügt, weil ich das A-Wort benutzt hatte: Alt. (Was haben Sie denn gedacht?). Alt, im Zusammenhang mit mir selber. «Wie kannst du so etwas sagen», entrüstete man sich. «Du bist doch nicht alt!»
Publiziert: 02.05.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2022 um 12:51 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Milena Moser

Da muss ich widersprechen. Ich werde dieses Jahr 59, das ist nicht uralt, aber es ist definitiv auch nicht jung. Ich bin nicht mal mehr im sogenannten mittleren Alter, da ich ja wohl kaum 118 Jahre alt werde. Auch nach grosszügigsten Schätzungen liegen zwei Drittel meines Lebens hinter mir. Und das spüre ich – im besten Sinne. Was habe ich gelebt! Was habe ich gelernt, geleistet, verhauen, verpasst, gelitten und genossen! Ich spüre die Jahre, nicht nur in meinem Körper, der zugegeben auch schon energiegeladener, frischer und straffer war, sondern vor allem in meinem Geist und in meinem Gemüt.

Ich bewege mich anders, und ich meine damit nicht, dass meine Gelenke plötzlich knirschen und knacken. Nein, ich bewege mich selbstverständlicher und selbstbewusster, vielleicht nicht auf steilen Bergwegen, aber in meinem Leben. In neuen Situationen. In meinem Beruf. Ich weiss, wer ich bin, ich weiss, was ich kann. Und ich bin durchaus stolz darauf.

Gleichzeitig habe ich vorwiegend mit jüngeren Menschen zu tun, in fast allen Zusammenhängen, vor allem auch in beruflichen. Und das geniesse ich sehr. Ich lerne gerade von jüngeren Frauen enorm viel, ich bewundere sie, auch wenn ich sie nicht immer verstehe – muss ich ja auch nicht. Und keine Sekunde trauere ich meiner eigenen Jugend nach. Ich war damals nicht so selbstsicher, so radikal, wie ich es heute bei Jüngeren oft beobachte. Mein Leben wird dafür mit der Zeit immer einfacher. Auch dafür bin ich dankbar.

Was ist also das Problem?

Das Problem mit dem Wort «alt» ist nicht die objektive Tatsache, die es beschreibt, sondern die negativen Assoziationen, die wir damit verbinden. Das gilt auch für andere Begriffe. Ich denke da an eine Lesereise in Ägypten, die ich Anfang der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts (ja, des letzten Jahrhunderts, ich sags doch!) mit der unvergleichlichen, wenig später verstorbenen Schweizer Autorin Rosmarie Buri bestritt.

Der Titel ihres Bestsellers lautete «Dumm und dick». So hatte man sie ein Leben lang genannt, die beiden Begriffe verfolgten sie, sie wehrte sich gegen sie. Und dann sass sie in einer Hotelhalle in Kairo und wartete darauf, interviewt zu werden. Ich führte den jungen (und unter uns gesagt bildschönen) Journalisten an unseren Tisch. Da blieb er stehen. «Oh, I see Miss Rosmarie», sagte er. «She is a fat lady!» Ich wollte ihn schon scharf zurechtweisen, da sah ich sein Gesicht: Es leuchtete vor Bewunderung. Er war hingerissen. Und ich verstand: Das Wort «fat» – fett, dick – bedeutete für ihn etwas ganz anderes als für mich. Und erst recht für Rosmarie. Während der zwei Wochen, die wir in Ägypten verbrachten, wurde sie auf Schritt und Tritt von begeisterten Männern verfolgt, angehimmelt, zum Teil bis ins Hotel verfolgt, es wurde ihr ewige Liebe geschworen und die Ehe versprochen. Das Wort, das sie ein Leben lang gequält hatte, hatte seine Macht über sie verloren.

Das Wort «alt» hatte diese Macht über mich nie. Vielleicht liegt das an meiner Mutter, die immer sagte, das Leben gehe mit fünfzig erst richtig los. Das empfinde ich durchaus auch so. Und wer weiss, vielleicht sitze ich in ein paar Jahren mit einer jüngeren Kollegin in einer Hotelhalle und warte auf einen Journalisten, der mit leuchtenden Augen sagt: «Oh, I see Miss Milena, she is an old lady!»

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