Kolumne «Meine Generation» über den WM-Boykott
Mein Glück ist dein Leid

Die Gretchenfrage dieser Tage ist eine Grätschenfrage: Hopp oder Boykott? Für ein Ignorieren der Fussballspiele in Katar spricht vieles. Doch die WM ist kein Einzelfall.
Publiziert: 18.11.2022 um 07:14 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2022 um 14:36 Uhr
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Noa DibbaseyKolumnistin

«Und, luegsch du?» Alle wissen, worum es sich bei dieser Frage dreht. Was «gluegt» wird oder eben nicht. Die WM. Das neue Politikum schlechthin. Die Spannung vor der Beantwortung der Katar-Frage ist weitaus grösser als bei so manchem Fussballspiel. Denn die Antwort ist matchentscheidend. Sie zeigt, zu welchem Team man gehört.

Zu den Fussball-Patrioten? «Ja, in Katar sind schon ein paar Dinge schiefgelaufen», drucksen sie herum. Aber es gehe einfach nicht anders. «Ich muess luege!» Vor allem, wenn die Schweiz spiele. Dann findet man sie stolz im Trikot vor der Kiste vor. Mit einem Bier in der Hand ist die Katarstrophe leicht verdrängt. Die Tschutti-Euphorie siegt.

Andere packen ihre «Boykott Katar»-Kleberli bereits vor Anpfiff der Diskussion auf den Tisch. Vergleichen die Spiele mit «Tribute von Panem» und anderen barbarischen Schlachten. «Da klebt zu viel Blut dran – wer die WM luegt, ist mitschuldig.» Gerade wer Fussball liebt, solle hier nicht mitmachen, heisst es aus diesen Reihen.

Zu viel Coca-Cola-Werbung geschaut?

Diese WM kurbelt Diskussionen über Moral, Privilegien und Elfenbeintürmchen noch einmal an. Wurde Fussball nicht immer als der Sport gefeiert, der die Menschen zusammenbringt? Vielleicht hat das die Coca-Cola-Werbung auch einfach so oft behauptet, dass wir es irgendwann zu glauben begannen. So oder so. Nun scheidet er die Geister. Sepp Blatter hat sich das wohl anders vorgestellt.

Tatsache ist: Es gibt zahlreiche Gründe, sich von dem Fussball-Event fernhalten zu wollen. Die Machenschaften der Fifa sind seit Jahren alles andere als unterstützenswert. Schmiergelder, Menschenrechtsverletzungen. Die Vorbereitungen in Katar kosteten etliche Menschenleben. Unser Entertainment kostet Menschenleben.

Katar, Zalando, Avocado

Die traurige Wahrheit ist, dass so viel von unserem Glück vom Leid anderer, weniger privilegierter Menschen abhängt. Sei es die neuste Zalando-Bestellung, ein Kurztrip mit dem Flugi nach London oder der Avocado-Toast am Morgen. Die WM ist kein Einzelfall.

Sie «nöd z'luege», ist also nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Trotzdem schaue ich nicht. Für mich ist das kein besonders grosses Opfer, ich bin kein Fussballfan. Die gute Nachricht beim Debakel ist: Public Viewing macht kaum Spass bei fünf Grad und eisigem Wind. So fällt es der einen oder anderen vielleicht auch leichter.

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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