Die erste Person, die mir vor Augen führte, dass die USA nicht das Land der Träume sind, als das sie sich inszenieren, war mein Geografielehrer im Gymi. Er reise in kein Land, wo noch immer die Todesstrafe gelte, sagte er.
Mir schien das ziemlich einleuchtend. So beschloss mein 16-jähriges Ich, sich dieser Minisanktion anzuschliessen. Wenn auch nicht megakonsequent. Ich konsumiere massenhaft Serien, Filme, Musik und Trends aus den USA. Mein Sprachgebrauch ist gespickt mit Anglizismen. Sanktionen kann ich also etwa so gut wie die Schweiz.
Später sind mehr und mehr Gründe dazugekommen, wieso ich die USA nicht wirklich berauschend finde. Ich habe mich beispielsweise mit den Waffengesetzen auseinandergesetzt, mit Racial Profiling und Massenverhaftungen von Schwarzen und lateinamerikanischen Menschen.
Militärbudget rauf, Schutz der Frauen runter
Vor kurzem erschien ein weiteres triftiges Argument in meiner Agenda: Das höchste US-Gericht will offenbar das Recht auf Abtreibung zu Fall bringen, womit Schwangerschaftsabbrüche in einzelnen Bundesstaaten wieder verboten werden könnten.
Für mich und viele andere junge Menschen fühlen sich solche Meldungen an wie eine Reise zurück ins Mittelalter. Dass eine Frau selbst über ihren Körper entscheiden darf, steht ausser Frage. Umso erstaunter war ich, als ich realisierte, dass in der Schweiz erst seit 2001 eine Fristenlösung für Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche gilt.
Dass nun ein «westliches» Land wie die USA dabei ist, diese Entwicklung rückgängig zu machen, ist befremdend. Und paradox: Die Vereinigten Staaten haben ein Militärbudget in der Höhe des Schweizer Bruttoinlandprodukts – und trotzdem wollen sie die Sicherheit der eigenen Bürgerinnen aufs Spiel setzen.
Geht mich nichts an – und den Staat auch nicht
Denn: Abtreibungen wird es weiterhin geben – neu dann einfach illegal und oft unter prekären Umständen. Gründe, wieso sich Frauen dazu entscheiden, gibt es unzählige. Kein einziger davon geht mich, Sie oder den Staat etwas an.
Dass junge Frauen deswegen international auf die Strassen gehen, finde ich völlig richtig. Abtreibungsverbote sind lebensgefährlich, frauenfeindlich und werden von meiner Generation, soweit ich das überblicke, grossmehrheitlich nicht mitgetragen.
Übrigens gilt es, diese Entwicklung auch hierzulande im Auge zu behalten. Während der Nationalrat die Armee mit einem Zustupf von zwei Milliarden Franken beglückte, sammeln Komitees Unterschriften für Initiativen, die die Abtreibungspraxis in der Schweiz verschärfen wollen.
Hoffentlich sind sie chancenlos. Mein Land kann ich schlecht sanktionieren.
Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.