Kolumne «Meine Generation» über Flüchtlinge
Menschen wie «wir»

Die Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern ist enorm. Andere Gruppen von Flüchtlingen haben ganz anderes erlebt. Wir verteilen unser Mitgefühl nach unterschiedlichen Massstäben.
Publiziert: 11.03.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2022 um 20:33 Uhr
Noa Dibbasey

Ich bekomme Gänsehaut und feuchte Augen, wenn ich die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung sehe. Hilfsgüter werden gesammelt und an die Grenze gebracht, unzählige Haushalte bieten den geflüchteten Menschen einen Ort zum Schlafen an, und innerhalb kurzer Zeit wurden riesige Spendenbeträge gesammelt.

Dieses Mitgefühl rührt mich zutiefst. Auch ich selbst empfinde es.

Gleichzeitig bricht es mir auch ein bisschen das Herz. Es ist das erste Mal, seit ich denken kann, dass geflüchtete Menschen auf diese Weise behandelt werden. Hätten Sie mir vor wenigen Wochen erzählt, dass sie nicht an der Grenze abgewiesen, sondern von den SBB gratis durch die Schweiz gefahren werden, hätte ich Ihnen wohl den Vogel gezeigt. Menschen aus dem Nahen Osten oder aus einem afrikanischen Land wurden nach einer traumatischen Fluchtreise nicht im Ansatz so herzlich bei uns begrüsst.

Sind andere Opfer so anders?

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte hier nicht Leid mit Leid vergleichen. Dass bereits über 1,5 Millionen aus der Ukraine flüchten mussten und noch viele mehr um Frieden und Freiheit in ihrer Heimat kämpfen, ist eine unfassbare Tragödie, die auch mich erschüttert. Dass wir ihnen mit so viel Solidarität begegnen, ist das einzig Richtige. Dieser Krieg, der so nahe stattfindet und von einer Weltmacht mit Atomwaffen ausgeht, geht durch Mark und Bein und mitten ins Herz.

Aber sind die Opfer dieses Krieges wirklich so viel anders als bei anderen Konflikten auch? Immer sind es Menschen, die um ihr Leben bangen. Immer sind es Menschen, die sich und ihre Familien vor einem schrecklichen Schicksal bewahren wollen. Der Unterschied dieses Mal: Die geflüchteten Menschen sind wie «wir».

Wie «wir» seien sie alle «europäische Menschen, mit blauen Augen und blonden Haaren». Hier gehe es nicht um Syrer oder Afghanen, die Ukraine sei kein Entwicklungsland – um nur einige Medienberichte zu zitieren. Ach ja, für die «NZZ» handelt es sich seit langem wieder um «echte Flüchtlinge».

Hilfsbereitschaft unabhängig von Hautfarbe

Solche Aussagen bereiten mir einen Kloss im Hals. Einmal mehr ist zu spüren, dass Menschen, die aussehen wie ich, nicht als Teil der Europäischen Gemeinschaft wahrgenommen werden. Das bin ich mir zwar gewohnt, unangenehm ist es noch immer.

Mitzukriegen, dass schwarzen Menschen teilweise die Flucht aus der Ukraine verwehrt wird, wegen der Farbe ihrer Haut, ist nicht nur unangenehm – es ist beschämend.

Krieg ist für jeden Menschen schrecklich, egal wo er stattfindet, egal welcher Herkunft man ist. Hilfsbereitschaft darf keine Frage der Ethnizität sein. Human sein bedeutet: menschlich sein.

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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