Kolumne «Meine Generation» über Dating
Darfs ein bisschen mehr sein?

Ohne Dating-Apps wie Tinder, Bumble oder OkCupid läuft fast nichts mehr. Und mit ihnen – läuft da was? Wer sucht, der findet sich im Nirwana der Möglichkeiten wieder.
Publiziert: 25.02.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2023 um 10:56 Uhr
Noa Dibbasey

Kennen Sie diese riesigen Märkte im Ausland, auf denen lauter Leckereien, Früchte und viel Fisch und Fleisch an schitteren Ständen ausgestellt sind? Eine enorme Reizüberflutung, die Auswahl ist viel zu gross – aber der Hunger und vor allem die Lust treibt einen durch die gesamte Markthalle, auf der Suche nach einem noch besseren Angebot, nach einer noch pralleren Blutorange oder einem noch saftigeren Stück Rindshuft.

So etwa fühlt sich Online-Dating 2022 an. Nur schon die Auswahl an Apps findet kaum ein Ende: Tinder, Bumble, OkCupid, Grindr etc. Hat man sich dann mal für eine entschieden (ich kenne viele, die sich mehrere Optionen warmhalten), geht es ans Eingemachte: sich durch Abertausende Profile kämpfen, wo sich jede und jeder von der allerbesten Seite präsentiert.

Nach einer Stunde swipen – also jemanden aufgrund reiner Oberflächlichkeiten nach Partner-Potenzial beurteilen – hat man erst die Spitze des Eisbergs erreicht. Die Masse an Profilen ist schier endlos. Das Handy weglegen geht aber nicht, die nächste Person könnte ja mein Traumpartner sein!

Im Romantik-Tief angekommen

Vielleicht romantisiere ich die (Sex-)Partner-Wahl früherer Generationen weitgehend, trotzdem bin ich mir sicher, dass wir dank diesen Apps das endgültige Romantik-Tief erreicht haben. Das ist nicht unbedingt schlecht – nicht alle sind auf die grosse Liebe aus. Sich rein nach Körperlichkeiten zu sehnen, wird nicht mehr belächelt, sondern häufig auch geradeheraus kommuniziert. Ausserdem ist während der Corona-Pandemie kaum etwas anderes übrig geblieben, als sich übers Internet ein Gspusi zu suchen.

Problematisch ist eher, dass schon nach kurzer Zeit die Erschöpfung einsetzt. Man stumpft ab, merkt oft gar nicht mehr, dass sich auf dem anderen Bildschirm ein realer Mensch befindet – und nicht nur ein Objekt, das man nach seiner Attraktivität und seinem Witz beurteilt.

Immer mehr, immer besser

Ghosting gehört zur Tagesordnung, also dem Gegenüber einfach nicht mehr zu antworten und so zu tun, als ob der vorangegangene Nachrichtenaustausch nie stattgefunden hätte. Das Gefühl von Verpflichtung verliert sich in einem Nirwana von Hunderten Alternativen.

Erstaunlich ist dieses Verhalten nicht. Meine Generation ist von Grund auf darauf getrimmt worden, immer mehr und mehr zu konsumieren und nach einer noch besseren Lösung zu streben. Schliesslich sind wir zurzeit die begehrteste Konsumentengruppe, und auch ein Jeff Bezos möchte irgendwie zu seinen Brötchen kommen.

Ich hingegen habe vorerst genug von allerlei Esswaren und sonstigen «Konsumgütern», die mich mit ihrer Options-Endlosigkeit bedrängen. Ich bleib für den Moment hungrig und Single.

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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