Wer bin ich? Keine Frage schleicht sich öfter in mein System. Gerade jetzt, in den Semesterferien, bleibt mir noch mehr Zeit, mein Dasein zu hinterfragen.
Ich schwanke zwischen Identitätskrise und totaler Euphorie, zwischen «Jetzt hab ich mich wirklich gefunden» und diesem «Who the fuck am I» hin und her. Bitte sagen Sie mir, dass das irgendwann mal aufhört!
Es braucht nämlich extrem viel Energie, gefühlt alle vierzehn Tage eine Neugeburt meines Selbst hinzulegen. Und meine Umwelt macht mir den ganzen Gschpass auch nicht leichter: Ich lebe in einer Welt, in der mir jede Tür offen steht und ich meine sexuelle, körperliche und berufliche Identität ohne jegliche Einschränkung aus der Luft greifen kann.
Gesetz der Selbstverwirklichung
Dafür bin ich auch extrem dankbar. Es ist nicht so, dass ich meine Lebenssituation gegen eine 21-Jährige aus dem Mittelalter eintauschen wollte. Und doch lässt sich eine feine Parallele zu dieser Zeit ziehen: Wie man sich damals noch Regeln und Traditionen unterzuordnen hatte, leben wir heute unter dem Gesetz der Selbstverwirklichung.
Dieses besagt: Ihr dürft werden und machen und tun und lassen, was ihr wollt – Hauptsache, es erfüllt euch! Ziemlich gemein, nicht? Wir haben nämlich keinen blassen Schimmer, was uns genau erfüllt!
In ihrem Buch «Im Spiegelsaal» (empfehlenswerte Lektüre) erklärt sich Liv Strömquist damit das für ältere Generationen unsinnige Phänomen von Influencerinnen. In einer Welt, in der man kaum noch weiss, was recht und schlecht, was nun genau trendy ist, orientieren wir uns mehr denn je an Vorbildern – so muss man nicht selbst wissen, was man nun genau begehrt.
Für alles gibt es Influencer
Ein kleiner Teufelskreis. Denn: Auch hier hat sich mittlerweile allerhand an verschiedensten Bewegungen gebildet. Es gibt sogenannte «Sinnfluencer», die sich vegan ernähren und die Welt mit Pflanzen verbessern wollen. Been there, done that. Andere vermitteln Zweck in politischem Engagement, in Styling und Aussehen, Sport aller Art oder Konsum aller Art. Und es gibt gefährliche Influencer, die zum Frauenhass aufrufen, wie etwa Andrew Tate (Alpha Male).
Diese Diversität hat aber auch einen Vorteil: In Identitätskrisen kann man gut von einem Vorbild zum anderen hüpfen. Für einen kleinen Moment können sie das Erfüllungsloch stopfen. Wie es in vierzehn Tagen aussieht, ist eine andere Frage.
Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.