Kolumne «Meine Generation» über offene Beziehungen
Der Dreier und s'Weggli

Vielen Jungen ist es in der Zweierkiste zu eng. Sie probieren anderes aus fürs Leben und Lieben, suchen nach passenden Formen von offenen Beziehungen. Und finden sie nicht immer.
Publiziert: 21.10.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2022 um 14:37 Uhr
Noa Dibbasey

«Wir sind jetzt offen!» Nein, ich hausiere nicht jeden Morgen vor meinem Lieblingscafé und warte, bis die Barista die schwere Holztür aufschliesst. Ich führe auch nicht sonderlich oft Gespräche mit einst Introvertierten, die plötzlich zu Party-Animals werden. Trotzdem habe ich diesen Satz im letzten Jahr etwa so oft zu hören bekommen wie die neue Platte von Ed Sheeran.

Mein Umfeld redet von Beziehungen. Offene Beziehungen sind der letzte Schrei. Alle wollen eine haben. «Eifach mal usprobiere, weisch.» Die einen probieren sich in Polyamorie – verschiedene Partnerinnen, die man verschieden liebt. Andere wählen die klassische offene Beziehung – ein Partner, verschiedene Sexualkontakte.

Typisch Generation Z. Nach strengeren Klimavorschriften möchte sie jetzt auch das Fremdgehen regulieren. Der Untergang für den guten, alten Dorftratsch. Zwei Drittel davon besteht schliesslich aus Untreue-Delikten!

Selbstexperimente auf mehreren Gleisen

Kein Wunder, beginnen wir, die Monogamie zu hinterfragen. Ist es nicht normal, zu Lebzeiten mehr als eine Person zu begehren? Inwiefern möchte ich die Person, die ich liebe, in ihren Bedürfnissen einschränken? Ist wirklich Sex das verbindende Glied in einer Partnerschaft? Ist das noch romantisch? Oder sind offene Beziehungen nur wieder ein Symptom unserer ekligen Konsumgesellschaft?

Diese Beziehungskiste öffnet Fragen, die nur im Selbstexperiment zu beantworten sind. «Wir sind jetzt offen», sagen sie darum und versuchen sich im Mehrgleisigfahren. Durchleben ein Wechselbad der Gefühle. Besprechen dieses mit ihrem Partner. Ganz oft. «Das grenzt fast an ein 40 Prozent Pensum.» Und dann: «Ab heute wieder geschlossen!» Nicht bei allen, aber bei vielen. Die meisten kehren nach dem Probiererli zum Status quo zurück.

Reden, reden, reden

Ich fühle dabei keine Schadenfreude. Obwohl dieses Hin und Her dazu führt, dass mir regelmässig und von verschiedensten Freunden ein Ohr abgekaut wird. Denn egal, ob man mit dem Dreier, dem Weggli oder beidem klarkommt – man hat sich gezwungenermassen in Beziehungskommunikation geübt. Über unterschiedliche Bedürfnisse, Eifersucht und Gier.

Da sehe ich einen immensen Unterschied zur Generation «am Küchentisch schweigen und jegliche Probleme unter den Teppich kehren». Denn wir sind, wenn schon nicht in einer offenen Beziehung, dann wenigstens in einem offenen Gespräch.

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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