Ich habe grösstes Verständnis für Alain Bersets Hobby. Seien wir doch ehrlich: Würde es uns nicht alle reizen, einmal frei wie ein Vogel allein über den Wolken zu schweben? Kurs gegen Westen, über die Jurakette, die endlose Weite in Richtung Atlantik vor Augen. Unten die grünen Hügel des Burgunds, am Horizont die Höhen des Massif central – lässt sich der Ozean bereits erahnen? So ein Trip muss atemberaubend sein. Und sicher erholsam nach zwei Corona-Jahren, in denen wohl niemand ernsthaft mit dem Gesundheitsminister hätte tauschen wollen.
Doch es gibt da zwei Probleme. Erstens: Bersets ständige Heimlichtuerei. Ob es um den Erpressungsversuch einer ehemaligen Geliebten geht, um die anschliessende Intervention der Behörden, um Vorwürfe der Indiskretion, um die fünftägige Inhaftierung seines Intimus oder um den Irrflug über Frankreich: Die Omertà des smarten Magistraten passt nicht zur Politik der SP, die stets Transparenz einfordert – ob von Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft.
Klug ist Bersets Strategie allerdings nur selten: Wer schweigt, gibt die Kontrolle über die Kommunikation aus der Hand.
Hätte der Freiburger von Anfang an zu seiner Passion gestanden, wäre das Flug-Malheur nicht auf so unwürdig-banale Weise aufgeflogen: Die Information wanderte von der französischen Luftpolizei zum militärischen Nachrichtendienst in Bern und machte danach in Armeekreisen die Runde, ehe sie bei Schweizer Politikern und Journalisten landete.
Statt Porträtfotos in «Top Gun»-Manier kursieren nun halt Berset-Witze.
Das zweite, vielleicht grössere Problem hat allerdings seine Partei. Die SP leidet unter der wachsenden grünen Konkurrenz. Weshalb die Genossen mit aller Kraft versuchen, Wählerinnen und Wähler vom eigenen Öko-Kurs zu überzeugen. Man kämpft für die erneuerbaren Energien, will Öl- und Gasheizungen ausmerzen und unterstützt die Gletscher-Initiative.
Ausgerechnet jetzt düst der eigene Bundesrat mit der Cessna durchs Bild und erinnert die Öffentlichkeit an eine Sozialdemokratie aus alten Tagen: In der bundesdeutschen SPD hält sich nach wie vor eine tapfere Braunkohle-Fraktion, in Norwegen steht die regierende Arbeiterpartei wie ein Mann hinter der heimischen Erdölindustrie. Grüne und Grünliberale dürften sich die Hände reiben.
Grösser könnte der Flurschaden für die SP nicht sein.
Zwischen Machtkritik und Moralismus verläuft allerdings ein schmaler Grat. Natürlich soll benannt werden, wenn jemand privat im Widerspruch zu den Werten handelt, für die er politisch einsteht: Der SVP-Nationalrat, der gegen Sozialschmarotzer vom Leder zieht und seine Putzfrau schwarz beschäftigt. Der grüne Zürcher Stadtrat, der für bezahlbaren Wohnraum wirbt und in seiner eigenen Liegenschaft aufgemotzte Apartments zum Luxuspreis verhökert.
Zustände wie in Amerika jedoch, wo Volksvertretern jede kleine Sünde mit theatralischem Pomp vorgehalten wird, wirken unheimlich. Mir ist es wurscht, ob Energieministerin Simonetta Sommaruga Solarpanels auf ihrem Dach installiert oder Migrationsministerin Karin Keller-Sutter zu Hause Ukrainerinnen aufnimmt. Von mir aus darf Wirtschaftsminister Guy Parmelin auch ausländischen Wein trinken und Finanzminister Ueli Maurer in Österreich Ski fahren.
Berset sollten wir aus Gründen der Fairness zugutehalten, dass er sich persönlich kaum je als Umweltapostel in Szene setzte. Dennoch ist der 50-jährige Spitzenpolitiker nun Hohn und Spott ausgesetzt – ein halbes Jahr vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten. Das muss schlimm sein für einen Mann, der die Selbstinszenierung liebt und 2019 aus Eitelkeit gleich zwei Fotobücher über sich selbst produzieren liess.
Auf manchen der Bilder zeigte sich Berset bereits in Piloten-Pose.