Intrigen, Leaks und Manipulation
Darum ist der Berset-Flug jetzt aufgeflogen

Geheimdienst, Geheimnisverrat und Manipulation? Willkommen bei «House of Cards» in Switzerland. In der aktuellen Folge: das Flugzeug-Leak des SP-Bundesrats.
Publiziert: 16.07.2022 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 16.07.2022 um 14:55 Uhr
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Die Serie «House of Cards», mit Kevin Spacey als Frank Underwood und Robin Wright als seine Frau Claire, war einer der Renner auf Netflix. Es geht um Intrigen, Lügen und Macht. Genau das spielt sich im Moment auch in Bern ab.
Foto: Netflix
Sermîn Faki und Pascal Tischhauser

Gezielte Informationen, Lügen und Intrigen: Darum geht es in der US-Netflix-Serie «House of Cards». Gezielte Informationen, Lügen und Intrigen beschäftigen derzeit auch die Schweiz. Doch anders als die «NZZ» schreibt, geht es nicht um ein «Berner ‹House of Cards›». Zürcher Medien spielen nämlich mit.

Und sowieso ist hierzulande noch alles viel verworrener: Es ist nicht einmal klar, wer die Hauptrolle des Serien-Strippenziehers Frank Underwood innehat. Klar ist nur: Auch bei uns geht es um Macht und Politik und eine Schlammschlacht. Eine zwischen Innen- und Aussendepartement.

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BlickPunkt über Alain Berset:«Es ist mehr Posse als Staatsaffäre»

Manche wurden gezielt informiert

Ein Beispiel gefällig? «Bundesrat Berset löst als Privatpilot einen Einsatz der französischen Luftpolizei aus», meldet nzz.ch am Dienstag um 16.56 Uhr. Kurz zuvor verschickte das Innendepartement (EDI) von Alain Berset (50) eine Stellungnahme. Der SP-Bundesrat habe am 5. Juli einen privaten Flug unternommen, bei dem es zu einer Intervention der französischen Luftpolizei gekommen sei. Statt die Information nur den recherchierenden Medien zu geben, wurde sie an alle geschickt.

Wie alt SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli (61) am Donnerstag schreibt, «wurden die ‹Weltwoche› und die ‹NZZ› informiert», dass der magistrale Hobbypilot zur Landung gezwungen worden war. Beide Blätter wurden also gezielt angegangen. Eine Woche lang hatte man in der Bundesverwaltung gewusst, was dem Genossen in Frankreich passiert war. Doch keiner gab das weiter.

Alles eine Frage des Timings

Dabei wussten viele davon. Berset hatte sicher das EDI davon in Kenntnis gesetzt. Das Verteidigungsdepartement wusste gemäss Blick-Informationen Bescheid. Und wenn sogar der französische Staatspräsident Emmanuel Macron (44) informiert worden war, ist es schlicht undenkbar, dass nicht auch das Aussendepartement (EDA) unterrichtet war.

Und nun wird es brisant: Dreh- und Angelpunkt im EDA ist Generalsekretär Markus Seiler (53) – der frühere Schweizer Geheimdienstchef.

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Die bessere News schlägt die gute

Blenden wir nach diesem Cliffhanger auf ein anderes Geschehen. Am Mittwochabend titelt tages-anzeiger.ch: «Beben in Bundesbern: Sonderermittler nimmt Ignazio Cassis' Nummer 2 ins Visier». Im Rahmen der Crypto-Affäre habe Sonderermittler Peter Marti ein Verfahren gegen Seiler wegen des Verdachts auf Amtsgeheimnisverletzung eröffnet.

Doch das dominierende Thema am kommenden Tag ist sowohl im «Tages-Anzeiger» als auch in allen anderen Medien Berset und sein fataler Irrflug in Frankreich. Die Seiler-Recherche geht unter, wird zu einem Minibeben.

Mission erfüllt!

Darf man da zu einer «Mission accomplished» gratulieren? Dass Journalisten der «NZZ» und der «Weltwoche» genau zu diesem Zeitpunkt mit Informationen zu Bersets Flug gefüttert werden, soll kein Zufall gewesen sein. Das berichten mehrere Polit-Insider.

Die Berset-Geschichte verdrängte so die ebenfalls brisante Meldung, dass Seiler – nach FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (61) der wichtigste Mann im EDA – verdächtigt wird, Medien mit geheimen Informationen versorgt zu haben. «Zufall?», sagt jemand, «daran glaube ich in dieser Schlammschlacht schon lange nicht mehr.» Jemand habe offensichtlich gewusst, dass der «Tages-Anzeiger» den Verdacht gegen Seiler öffentlich machen würde.

Wer spielt welche Rolle?

Rückblende 1: Die Aufregung ist gross, als die «Weltwoche» am 23. Juni publik macht, dass Bersets damalige «rechte Hand» Peter Lauener sich der Amtsgeheimnisverletzung schuldig gemacht haben soll. Und sie wird noch grösser, als SonntagsBlick enthüllte, dass Lauener einige Tage in Untersuchungshaft sass.

Steckt dahinter eine Schlammschlacht zwischen EDA und EDI? EDI-Sprecher Lauener wird in den Medien unterstellt, er hätte mit der Weitergabe von vertraulichen Informationen in der Crypto-Affäre Seiler schaden wollen. EDA-Mann Seiler wiederum – der seine Unschuld beteuert – wird das Motiv unterstellt, er habe dem für ihn negativen Crypto-Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) den Wind aus den Segeln nehmen wollen und darum Infos gestreut. Schliesslich war das gezielte Füttern mit Informationen und die gekonnte Desinformation bis vor wenigen Jahren Seilers «daily business» als NDB-Chef.

Rückblende 2: Die Zuger Crypto AG hatte manipulierte Chiffriergeräte verkauft. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA und der Schweizer Geheimdienst NDB konnten die Geräte anzapfen. Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) hatte Anfang 2021 den früheren Zürcher Oberrichter Peter Marti eingesetzt, weil Informationen aus dem noch vertraulichen GPDel-Bericht an Zeitungen gelangt waren – an die «NZZ» und den «Tages-Anzeiger». Wobei Seiler bei der «NZZ» gut wegkam, beim «Tages-Anzeiger» nicht.

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BlickPunkt über Alain Berset:«Es ist mehr Posse als Staatsaffäre»

Glaubhaft abstreiten ist eine Kunst

Der Bericht der GPDel übte Kritik am damaligen Geheimdienstchef Seiler. Er habe spätestens 2017 gewusst, dass die Crypto-Geräte manipuliert sein dürften, die an gewisse Länder geliefert wurden. Offenbar hatte sich Seiler aber geweigert, die Information entgegenzunehmen und sie weiterzuleiten.

«Plausible deniability», so heisst der von der CIA geprägte Fachbegriff in den USA. Von einer «glaubhaften Abstreitbarkeit» redet man, wenn eine Person Mitwissen an moralisch fraglichen oder gar strafbaren Handlungen in ihrem Einflussbereich überzeugend dementieren und ihr somit keine Verantwortlichkeit nachgewiesen werden kann – unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieses Dementis.

Keine Unschuld bei «House of Cards»

Wenn Seiler Informationen weitergegeben hat, wäre das noch aus einem anderen Grund brisant. Weil er, worauf am Freitag die «Aargauer Zeitung» hinwies, in einer einzigartigen Stellung war: Denn es ist möglich, dass er Informationen, die er als EDA-Generalsekretär erhielt, dazu benutzte, seine Handlungen als Geheimdienstchef in ein besseres Licht zu stellen. Der Verhaltenskodex der Bundesverwaltung sagt jedoch klar, die Angestellten «erfüllen ihre Aufgaben unabhängig von persönlichen Interessen». Und sie dürfen keine Informationen verwenden, die nicht öffentlich bekannt sind, um einen persönlichen Vorteil zu erlangen.

Hat jemand dagegen verstossen? Die Frage stellt sich bei Crypto wie auch bei Bersets Flugaffäre. Markus Seiler hält gegenüber Blick fest: «Zu keinem Zeitpunkt hatte ich Kenntnis vom Flug von Bundesrat Berset nach Frankreich und habe folglich niemandem Informationen über diesen Flug weitergeben können.»

In der Realität gilt die Unschuldsvermutung. In «House of Cards» erscheint aber keiner als wirklich unschuldig.

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