Was hier geschrieben steht, sollte nicht geschrieben stehen, denn es geht um eine Begebenheit, über die gegenwärtig viel zu viel geschrieben steht. Mit Lust schwatzten Journalisten diese Woche über ein Ereignis im Leben von Alain Berset – ein intimes Ereignis, über das sich wonnevoll spekulieren lässt: die versuchte Erpressung des Bundesrats durch eine Frau.
Von der Geschichte selbst gibt es nichts Inhaltliches zu berichten, da die Geschichte, inzwischen bereinigt, gar keine Geschichte ist und deshalb keinerlei öffentliches Interesse verdient. Über das trotzdem geweckte und bezweckte öffentliche Interesse freilich sind nun leider doch Worte zu verlieren, zunächst als Frage:
Mit welchem Recht stürzten sich Medien auf dieses Thema aus dem privatesten Privatleben von Alain Berset?
Ja, es gibt ein Recht auf Neugierde. Es ist das Ur-Recht des Journalisten, der damit dem Recht auf Klatsch des Lesers, Hörers oder Zuschauers zu dienen behauptet, wie zynische Praktiker der Publizistik ethisch Übergriffiges immer wieder gern rechtfertigen: als moralischen Opfergang im bedauerlicherweise unmoralischen Interesse der jeweiligen Klientel.
Handelt es sich bei den Erörterungen von Alain Bersets privater, ja intimer Kalamität um Futter für frivolen Klatsch?
Nein, es handelt sich um Politik.
Das belegt allein schon die Veröffentlichung durch einen abgewählten SVP-Nationalrat, dessen Namen zu nennen, der Ehre zu viel wäre. Zu nennen allerdings ist sein Publikationsorgan: die «Weltwoche», das Blatt des rechten Eiferers Roger Köppel. Um Journalismus geht es diesem Chefredaktor selten, um Agitation hingegen nahezu immer.
Die Story über das private Malheur des Bundesrates verkaufte die «Weltwoche» unter dem Titel «Berset: Erpressung und Vertuschung». Raunend war das Machwerk als politisch relevante Enthüllung inszeniert, als «Breaking News» im Interesse des Landes. Denn die Geschichte sei geeignet, die Amtsführung des Innenministers zu beeinträchtigen – durch Beschädigung seiner Integrität.
Mitten in Corona-Zeiten ein lädierter Corona-Minister – desaströse Kunde für die Schweiz.
Genau so bringt man Klatsch ins politische Ziel.
Dieses Spiel beherrschen der Autor wie der Chefredaktor – dessen Blatt eben erst Berichte über erotische Avancen des Westschweizer TV-Starmoderators Darius Rochebin durch die Tageszeitung «Le Temps» mit ätzender Schärfe geisselte: als «Fertigmacher-Journalismus».
Dergestalt beliebig lässt sich ideologisch-parteilicher Journalismus betreiben: Je nach Nutzen ist Denunziation des Teufels – oder ein politisches Gottesgeschenk. Und je nach Nutzen wird die MeToo-Seligkeit der Medien instrumentalisiert, um aus Privatem und Intimem eine öffentliche Angelegenheit zu machen – Unsägliches in die Welt zu setzen, öffentlich zu verhandeln, im behaupteten öffentlichen Interesse.
All dies selbstverständlich mit Unschuldsmiene. Wer auf die Methoden des entfesselten Gender-Feminismus setzt, kennt keine private Sphäre mehr, die er zu achten hätte. Die gebenedeite Sternchen-Lehre gilt als das Gute an sich. Sie rechtfertigt jede Verdachts-, Verleumdungs- und Vernichtungskampagne.
Muss Alain Bersets Verhalten in dieser ausschliesslich persönlichen Angelegenheit, die niemanden ausserhalb seiner privaten Lebenswelt auch nur das Geringste angeht, rhetorisch aufgeblasen, gedreht, gewendet werden?
Allerlei Siebengescheite schwangen sich auf, Massstäbe anzulegen, denen der Bundesrat womöglich und je nachdem hätte genügen müssen, was ihm womöglich und je nachdem nicht so ganz gelungen sei.
Mit tiefernstem Gestus und Bedeutung suggerierenden Formulierungen wurden alle nur denkbaren Fürs und Widers erwogen, in der anmassenden Pose, unverzichtbare Aufklärungsarbeit zu betreiben.
Was lehrt der Fall Berset?
Journalist müsste man sein.