Der Pfarrer Christoph Sigrist kämpft für die Konzernverantwortungs-Initiative. Und verschweigt nicht, in wessen Auftrag er das tut: «Gott ist nicht neutral.»
Der Gottesmann vom Zürcher Grossmünster vergisst auch nicht zu erwähnen, auf wessen Seite Gott steht, was allerdings selbstverständlich schon alle ahnen, von Atheisten über Agnostiker bis hin zu den Strenggläubigen: «Er bezieht Partei für die Armen.»
Man möchte Nietzsche bemühen und rufen: «Gott ist tot!» Aber das hat keinen Sinn, denn Gott gibt es, solange jemand an ihn glaubt. Lasset uns also diesen so sehr lebendigen Gott näher betrachten.
Ist Gott ein Abstimmungskämpfer?
Er würde damit sämtliche Gläubigen ins Unrecht setzen, die anders denken als er. Ist Gott der Souffleur von Beffchen- und Soutanenträgern? Er würde damit dem einfachen Kirchenvolk eine Priesterkaste vor die Nase setzen.
Gott ist nur Gott – und damit alles.
Gottes Abstimmungskampf für die Konzernverantwortungs-Initiative wäre, um es salopp zu sagen, eine Nummer zu klein für IHN, den Herrn von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hier geht es nur um den Abstimmungskampf von Christoph Sigrist, den Bürger, der seinen Beruf in Zürichs imposantestem Bethaus ausübt.
Ist es also verwerflich, wenn sich die protestantische und die katholische Kirche für die Konzernverantwortungs-Initiative einsetzen? Es ist jedenfalls irritierend, denn sie führen eine Instanz ins Feld, gegen die es eigentlich keinen Widerspruch gibt – keinen ethisch-moralischen Einwand.
So sieht es auch Karin Keller-Sutter, als Bundesrätin und Justizministerin ganz praktisch-politisch mit der linksliberalgrünen Volksinitiative befasst: «Ich war immer eine treue Katholikin, aber offensichtlich bin ich jetzt keine gute Christin mehr, wenn ich nicht für die Konzernverantwortungs-Initiative bin. Ich empfinde es als verletzend. Man kann in guten Treuen und mit gutem Gewissen gegen diese Initiative sein.»
Genau das ist das Kreuz mit dem lieben Gott: Er ist politisch einfach nicht brauchbar, denn ihm wohnt inne das Sowohl-als-auch, wie es ja die Berufung auf ihn durch die Bundesrätin einerseits und den Münsterpfarrer andererseits deutlich macht. Oder darf sich die laiengläubige Keller-Sutter nicht auf Gott berufen, der gelernte Gottesfachmann Sigrist dagegen schon?
Die Volksinitiative will Konzerne gesetzlich in die Pflicht nehmen, auf dass sich verantworten müsse, wer fürderhin seine Geschäfte im Ausland auf schändliche Weise betreibt, zum Beispiel durch Kinderarbeit oder mittels Umweltzerstörung. Solches Verhalten wäre dann in der Schweiz einklagbar, selbst wenn es ganz woanders geschieht – in Gottes weiter Welt.
Das Ansinnen ist nicht nur überaus verständlich. Es entspricht auch Bestrebungen, die international tätige Wirtschaft durch einen ebenso internationalen Rechtsrahmen zu bändigen. Und zwar aus guten Gründen: Allzu viele Firmen profitieren skrupellos von skandalösen, in ihren Augen «günstigen» Produktionsbedingungen in der Dritten Welt – Profit um jeden Preis, den ausgebeutete Arbeiter und zerstörte Umwelt zu bezahlen haben.
Wer kann schon gegen ein Volksbegehren sein, das diese Missstände im Falle von Schweizer Firmen strafbar machen und damit erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen will?
Karin Keller-Sutter hat im Parlament einen Gegenvorschlag durchgesetzt: Er geht weniger weit als die Volksinitiative und orientiert sich am Bemühen der Europäischen Union, das Problem in den Griff zu bekommen.
Ja, die Welt der Politik ist dabei, die Welt der Wirtschaft zu gestalten und die rechtsfreien Räume der Globalisierung zu beseitigen.
Deshalb ist die Konzernverantwortungs-Initiative eine gute Sache, wie auch immer das Volk schliesslich entscheidet. Und wie stets mit den guten Sachen geht sie den einen zu weit und den andern zu wenig weit. Doch ohne die Bürgerinnen und Bürger, die das Begehren lanciert haben und dafür kämpfen, gäbe es überhaupt keine Debatte. Oder glaubt jemand im Ernst, dass etwa der Zuger Rohstoffkonzern Glencore auf die Idee verfallen würde, strenge rechtliche Zügel für sich selber zu fordern?
Darum ist allen Stimmen mit Misstrauen zu begegnen, die jetzt der freiwilligen Selbstkontrolle das Wort reden. Obwohl es durchaus Firmen gibt, die aus eigenem Antrieb eine Anstands-Kultur ihrer weltausgreifenden Tätigkeit entwickelt haben.
Doch diese vorbildlichen Einzelfälle entheben die Gesellschaft nicht ihrer Pflicht zur politisch-rechtlichen Gestaltung der Globalisierung. Man sollte tunlichst auch jenen keinen Glauben schenken, die nun einen schweizerischen Alleingang beklagen, den die provokative Volksinitiative beschreite: Ist nicht der «Alleingang» ein Dogma eidgenössischer Eigenständigkeit? Darf ein Land, das immer wieder auf Druck von aussen wartet, bis es sich zu handeln bequemt, nicht auch mal vorangehen?
Wer allerdings den milderen Gegenvorschlag von Karin Keller-Sutter dem rigorosen Initiativtext vorzieht, kommt nicht in die Hölle.
Denn die Bundesrätin ist ebenso glaubwürdig wie der Pfarrer. Bei Gott!