Auswanderin zieht es von den Bündner Bergen nach Marokko
Schweizerin findet in Marrakesch eine neue Heimat

Carla Walser aus Churwalden GR hat ihren sicheren Job in der Schweiz an den Nagel gehängt und ist nach Marokko ausgewandert. In Marrakesch hat sie sich ein Riad gekauft und lebt dort ihren Traum.
Publiziert: 09.07.2020 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 20.07.2020 um 10:28 Uhr
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Als die Schweizerin Carla Walser am 1. April 2019 in Marrakesch ankam, haben ihre Freunde für sie ein Surprise-Welcome-Dinner veranstaltet.
Foto: zVg
Corine Turrini Flury

Es war die Liebe, die Carla Walser (39) nach Marrakesch geführt hat. «Nicht ich habe mich hier verliebt, sondern meine Freundin», erzählt Walser im unverkennbaren Bündner Dialekt BLICK. Mit ihrer Freundin war die gelernte Bankkauffrau aus Churwalden GR 2013 erstmals in Marrakesch in den Ferien. Während ihre Freundin sich in ihren künftigen marokkanischen Ehemann verliebte, lernte die Bündnerin, die in Zürich eine Zweitausbildung als Modedesignerin absolviert hatte, die Leiterin der Women's Association kennen. «Zahra wurde in den letzten Jahren eine sehr gute Freundin, und von ihr habe ich extrem viel über die marokkanische Kultur gelernt», sagt Walser.

Bei der Women's Association können marokkanische Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen mit Handarbeiten ein Einkommen für ihren eigenen Lebensunterhalt generieren. Dieses soziale Engagement für Frauen, gepaart mit Kunsthandwerk, entspricht ganz der Haltung der kreativen Schweizerin.

Fortan reiste die gebürtige Bündnerin regelmässig für Ferien nach Marokko, pflegte die Freundschaften und neuen Kontakte und erlag zunehmend der einzigartigen Magie von Marrakesch. «Es gibt viele Vorurteile gegenüber Marokko. Nur schon in den letzten Jahren, seit ich hier bin, habe ich viele Veränderungen erlebt. Marrakesch ist modern und sehr lebendig.» Insbesondere junge Menschen seien sehr offen, und viele Musliminnen verzichten auf Kopftücher.

Eigenes Label kreiert

Ihren Lebensunterhalt verdiente sich die 39-Jährige vor dem Umzug in einer Zürcher PR- und Eventagentur. In ihrer Freizeit widmete sie sich aber verschiedenen Projekten in Marrakesch, baute sich über die Jahre langsam ein zweites Standbein in Marokko auf und verbrachte immer wieder ihre Ferien bei ihren Freunden in Marrakesch. «Die Liebe zum Land und der Kultur wurde bei jedem Mal vor Ort stärker. Die Stadt fasziniert und ist eine unendliche Inspiration», so Walser.

Im Frühling 2018 lancierte die Designerin dann ihr Label Ke'ch Création in enger Zusammenarbeit mit der Women's Association Al Kawtar sowie weiteren lokalen Kunsthandwerkern aus Marrakesch. Zwei Monate hat Walser im Frühling 2018 in Marrakesch verbracht und sich der Produktion und Entwicklung ihrer ersten Kollektion mit Kleidern und Accessoires gewidmet.

Eigenes Riad aus dem Erbe der Eltern

«Durch einen Freund hat es sich während dieser Zeit ergeben, dass ich mir spontan ein traditionell marokkanisches Riad gekauft habe.» Diesen Traum konnte sich die Schweizerin vom Erbe ihrer verstorbenen Eltern verwirklichen. Rund 150'000 Franken hat sie für ihr Eigenheim in der Medina von Marrakesch bezahlt. Walser sagt: «Mit diesem Geld hätte ich mir in der Schweiz vielleicht gerade mal einen Parkplatz kaufen können.»

Das Haus war bereits stilvoll renoviert, und die Bündnerin musste es nur einrichten. Das hat sie mit viel Liebe und Hingabe getan. Durch die investierte Erbschaft und die Eigenleistung im Riad ist der emotionale Wert ihres Eigenheims entsprechend hoch: «Mir bedeutet diese Riad sehr viel, denn es finden sich viele Erbstücke darin. Ein Verkauf ist kein Thema.»

Umzug in ein neues Abenteuer

Im Winter 2018 hat sich Carla Walser dann entschlossen, ihren langjährigen Job in der PR-Agentur in Zürich zu verlassen und mit dem Umzug nach Marrakesch ein neues Abenteuer zu wagen.

Im April 2019 war es so weit: Alle Habseligkeiten aus der Schweiz waren im Camion verstaut und die Koffer gepackt für das neue Leben im eigenen Riad in Marrakesch.

In ihr Riad ist auch eine Freundin mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Baby eingezogen sowie eine weitere Freundin. «In Marokko ist das Leben in einer grösseren Gemeinschaft und mit der Familie nichts Aussergewöhnliches, und dieser Lebensstil entspricht mir.»

Aus langjähriger Freundschaft wurde Liebe

Kurz nach ihrer Ankunft in Marrakesch verliebte sich Walser in einen langjährigen marokkanischen Freund. Diesen Sommer wird die 39-Jährige ihren Freund Ismail (28) heiraten. «Die Hochzeit war für April geplant, aber wegen Corona mussten wir alles verschieben.»

Von der Familie ihres Verlobten ist die Bündnerin von Anfang an herzlich aufgenommen worden. «Sie sind sehr modern und liebevoll», meint Walser. Ihr künftiger Schwiegervater ist ebenfalls ein Künstler und arbeitet oft mit der Schweizerin zusammen. So malt er beispielsweise verschiedene Motive auf Babouches oder Taschen. «Mein zukünftiger Mann ist Astrophysiker und unterrichtet an der wissenschaftlichen Uni in Marrakesch. Er ist zwar Moslem, aber er ist sehr rational. Religion ist für uns weniger bedeutend. Wir sind beide eher spirituell.»

Aus ihrem Riad ist die Schweizerin wieder ausgezogen und bei ihrem Verlobten eingezogen. Sein Haus ist ganz in der Nähe, ebenfalls in der Altstadt von Marrakesch. Ihr eigenes Riad wird seit kurzem über Riad BE Marrakech an Gäste vermietet. Mit der Vermietung kann die Schweizerin einen Teil ihres Einkommens generieren.

«Mein Shop ist seit Mitte März wegen dem Lockdown geschlossen»

Im Herbst 2019 hatte die Schweizerin zudem das Glück, dass sie mit ihrem Label Ke'ch Création einen kleinen Shop im Souk, dem Markt in der Altstadt, eröffnen konnte. Hier bietet sie neben ihren Kleidern auch handgefertigte Accessoires von lokalen Kunsthandwerkern an. «Leider ist mein Shop seit Mitte März wegen dem sehr strikten Lockdown in Marokko aber geschlossen.»

Langweilig wurde es Walser aber auch in der aussergewöhnlich ruhigen Corona-Zeit in Marrakesch nicht. Sie hat ihren Onlineshop aufgebaut. Seit dem Lockdown wohnt zudem Chaima, die Schwester von Ismail, beim Paar. Die junge Studentin hat sich spontan als Model für Shootings zur Verfügung gestellt. «Als Fotostudio musste meine Terrasse von unserem Zuhause dienen. Improvisation ist in Marokko alles, was zählt!»

Erholung und Inspiration ausserhalb der Stadt

Heimweh hat die Schweizerin nicht. Statt die Bündner Berge sieht sie jetzt von ihrer Terrasse aus das Atlasgebirge.

So oft als möglich entflieht sie aber mit Freunden der Grossstadt. «In der Steinwüste Agafay, rund 50 Fahrminuten von Marrakesch, kann man die schönsten Sonnenuntergänge betrachten und in einem Berber Zelt eine Tajine essen.»

In den Sommermonaten, wo die Temperaturen bis 46 Grad ansteigen, besucht sie zudem mit Ismail oft auch eine Schweizer Freundin, die mit ihrem Partner am Strand von Tafedna ein Surf-Hotel führt. «Mit ihrem Hund Rex mache ich dort ausgedehnte Spaziergänge und versuche, mich vom oft hektischen Leben in Marrakesch zu erholen. Da kommen mir auch immer die besten Ideen.»

Optimistisch in die Zukunft

Ganz abgemeldet hat sich die selbständige Frau in der Schweiz aus versicherungstechnischen Gründen nicht. Bei Besuchen in der Schweiz trifft sie sich mit ihrem Bruder und Freunden. Zudem stattet sie den Boutiquen, die ihre Waren aus Marokko in Zürich verkaufen, jeweils Besuche ab.

Das letzte Mal war sie im März mit ihrem Partner in der Schweiz für die Hochzeitsvorbereitungen. Mit dem letzten Flug vor dem Lockdown haben es die Verliebten zurück nach Marrakesch geschafft und hoffen jetzt, dass es mit dem neuen Hochzeitstermin klappt.

Walser hat in Marrakesch ihre Liebe, eine neue Familie und beruflich ihr Glück gefunden. Ihr Label befindet sich noch im Aufbau, aber inzwischen kann die Schweizerin mit ihren Einnahmen in ihrer zweiten Heimat gut leben und ist optimistisch. «Die Zukunft lässt sich hier schlecht planen, jedoch ist diese Stadt voll mit Möglichkeiten, und kreative Ideen lassen sich hier einfacher umsetzen.»

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