Jedes Mal, wenn ich in Deutschland war und zurück in die Schweiz komme, ist es, als kehrte ich aus dem Krieg zurück. In ein Luxussanatorium mit riesigem Park, mit Blumen, Schmetterlingen und Krankenschwestern, die aussehen wie Models. Denn meine Landsleute befinden sich noch immer im permanenten Streit und in aggressiven Rangeleien. Es geht immer um etwas Dramatisches, weswegen sich alle bis aufs Blut bekriegen. Und zwei Wochen später haben alle alles vergessen und widmen sich einem anderen Thema, der Klamauk fängt von vorne an.
Sind Flüchtlinge willkommen oder nicht? Ist der Islam gut oder schlecht? Diese Themen sind seit letztem Sommer in Deutschland ein Dauerbrenner. Dazwischen war man kurz bestürzt über die Anschläge in Paris und Brüssel, was zu neuen Streitereien führte. Aber dann, vor zwei Wochen, kam das Drama mit unserem letzten Menschen mit Humor und Gehirn im deutschen TV: Jan Böhmermann und sein satirisches Gedicht über Erdogan. Sie werden es mitbekommen haben, denn das Thema bestimmte ja die Weltnachrichten – und Sie können sich vorstellen, was bei uns, im Land der Streiter und Krieger, los war.
Allerdings: Ich verfolgte die Diskussionen nur virtuell, auf Facebook und im Fernsehen. Ich weiss also nicht, wie es an deutschen Esstischen, in den Bars und Stammtischen diskutiert wurde.
Der «Fall Böhmermann» machte sich jedenfalls in den allerletzten Ritzen und Ecken des Internets breit. Es gab alles: News, Meinungen, Fakten, Satire der Satire, Karikaturen, noch mehr Meinungen, Berichte und natürlich jede Menge Streit. Die, die gegen Erdogan und für Böhmermann waren.
Die, die gegen Merkel und gegen Böhmermann waren. Die, die für Merkel und für Böhmermann waren. Die, die es halblustig, nicht so lustig oder total lustig fanden. Irgendwann flehten die Ersten um Gnade. Es wurden Gruppen gegründet, in denen man nicht über Böhmermann sprechen durfte, es aber dennoch tat.
Dann starb Prince: Innert Minuten riss sich die Böhmermann-Gemeinde das Erdogan-Bärtchen vom Gesicht und wandelte sich in einen innigst trauernden Prince-Freund. Profilbilder wurden lila hinterlegt, seine Lieder zitiert, und jeder erinnerte sich an seine persönlichen Prince-Momente. Das ging bis vorgestern. Seither ist Ruhe. Kein Massenstreit, keine Aggressionen. Deshalb überlege ich mir ernsthaft, Facebook zu löschen. Ich wüsste zwar nichts mehr, hätte keinen Kontakt mehr zu meinen deutschen Bekannten, (bei Schweizern spielt Facebook seltsamerweise nicht so eine Rolle, die posten Sonnenuntergänge von ihren Terrassen und sind herrlich unbeteiligt). Mir würde es um einiges besser gehen.