Lügen Sie viel? Falls ja: Hören Sie bitte auf damit! Sie werden sich vergiften, dann werden Sie krank und sterben. Das ist kein Spass. Ich war letzte Woche bei meinem Shrink. Mein Shrink ist eine hochattraktive, sehr spirituelle Lady um die 70, und ich würde behaupten, der intelligenteste Mensch, den ich kenne. Ich besuche meine Analytikerin seit 20 Jahren in unregelmässigen Abständen, in letzter Zeit aber öfter, weil meine Umwelt sich immer merkwürdiger benimmt und ich sie mir von ihr erklären lassen will.
Also sitze ich in ihrer hübschen Praxis, draussen auf der Terrasse glitzert die Sonne auf dem Schnee, und ich sage: «Alle lügen so viel, ich halte es nicht mehr aus. Dass sie sich und ihre Welt belügen, kann mir ja noch egal sein, aber manche treffen mich extra, um mir ihre dämlichen Lügen aufzutischen, obwohl ich keine Fragen stelle und auch nichts Privates von den Menschen wissen will.» – «Distanzieren Sie sich davon», sagt mein Shrink: «Diese Menschen rufen negative Emotionen hervor, und diese vergiften sie. Lügen sind Gift. Dann müssen sie sich mühsam entgiften. Wollen Sie das?» Nein, das will ich natürlich nicht, dachte ich, dann betrinke ich mich lieber, obwohl mir Alkohol gar nicht schmeckt. Ich frage die Lady: «Warum geht es mir schlecht, wenn ich belogen werde, während sich die Lügner ungerührt durchs Leben lügen?» – «Die sind unempfindlich», sagt sie, «aber sie werden krank, bekommen Schmerzen und sterben vielleicht früh.»
Mir fiel ein, dass meine Lügner tatsächlich alle irgendwas haben: Rückenschmerzen, Arthrose, Migräne, und mein Freund Z. wird bald an der Schulter operiert. «Z.!», sage ich später, «vielleicht hast du Schulterprobleme, weil du so viel lügst und nicht wegen der Schulter!» – «Man kann Lügnern nur mit Gegenlügen begegnen», antwortet er. «Man kann diesen Leuten nicht die Wahrheit sagen, sonst bekommt man eins auf den Deckel.» – «Falsch!», rufe ich, «dann ist man ja total vergiftet, und wenn man dazu so viel Bier trinkt wie du, wird man elend zugrunde gehen.» – «Was willst du machen?», fragt er, «alle lügen!»
Da kommt mir David Bowie in den Sinn, er hat nach seinen Sex-Drugs-Rock ’n’ Roll-Jahren sein restliches Leben damit verbracht, die Gifte aus dieser Zeit zu neutralisieren: «Er ist am Ende an Leberkrebs gestorben, dem Entgiftungsorgan.» Z. stellt die Bierflasche auf den Tisch und sieht mich schockiert an. «Wir haben die letzten zwei Wochen alle Interviews und Dokus über Darling Bowie zusammen angeschaut, die es gibt. Wir wissen jetzt alles über ihn. Du hast recht», sagt er. «Aber was machen wir nun?» Dasselbe wie David Bowie. Uns isolieren. So lange, bis alle Lügner vertrieben sind. Ich fange sofort damit an.