Eine Krinoline von 1850 und ein Butt-Lifter (auf Schweizerdeutsch: Füdlilupfer), wie ihn Kim Kardashian trägt – was haben die gemeinsam? Zum einen sind beide zurzeit im Londoner Victoria and Albert Museum in der Ausstellung «Undressed» zu sehen. Zum anderen lässt sich an zwei so absurden Kleidungsstücken viel über die Rolle der Frau ablesen.
Sowohl die Krinoline wie der Butt-Lifter betonen Hüfte und Hintern auf absurde Weise. Kleiner Unterschied: Statt dass ein Metallgestänge die Hintern der Oberschichts-Damen verbreitert wie vor über hundert Jahren, geschieht dies nun direkt unter der Haut – via Implantate oder Unterspritzungen. Der Füdlilupfer bringt die überdimensionierte Chose dann bloss noch in Form für Auftritte auf dem roten Teppich.
Weiblicher Hüftumfang als männliches Statussymbol
Weitere Gemeinsamkeit: In der Krinoline waren Damen so eingeengt, dass es manche das Leben kostete. Überliefert ist anno 1861 ein Brand im Continental Theatre in Philadelphia (USA): Das Kleid der Tänzerin Cecilia Gale kam an eine Gaslampe und brannte. Es war unmöglich, sie aus ihrer Krinoline zu befreien – und jede, die ihr zu helfen versuchte, geriet ebenfalls in Brand. Neun Frauen starben. Heute muss man nur «Tod via Hintern-Implantat» auf Englisch googeln und trifft auf unzählige Artikel, die ähnliche Fälle beschreiben.
Die Krinoline sollte mit der Betonung des Hintern die Gebärfähigkeit zum Ausdruck bringen. Da das unförmige Teil die Bewegungsfähigkeit enorm einschränkte, musste die Frau einen reichen Mann zur Seite haben, der sich sie «hält». Und je mehr Stoff ein Rock benötigt, desto reicher der Herr, der sich die betreffende Dame leisten konnte – weiblicher Hüftumfang als männliches Statussymbol.
Im nächsten Schaukasten des Museums sind die spitzen Büstenhalter der 1950er-Jahre zu sehen – eine Ära, in der eine kurze Version der Krinoline wieder in war. Auch zu dieser Zeit blieb die ideale Frau tunlich zu Hause und widmete sich dem Kochen, Putzen und den Kindern. Bewegungsfreiheit ausser Hause war nicht so wichtig.
Koppelt man dies mit der Begeisterung für die Weltraumerkundung, die sich im «Space-Age»-Design auch in der Inneneinrichtung niedergeschlagen hat, erklärt sich die Kombination von Krinoline mit Raketenbrüsten.
Seit den 1960er-Jahren und der Popularität des spindeldürren Models Twiggy kann weibliche Schönheit nicht dünn genug sein – und oft nicht eng genug bekleidet. Im Victoria and Albert Museum zeigt sich dies anhand der reduzierten Unterwäsche der 1990er-Jahre, die mit dem Calvin-Klein-Plakat von Kate Moss ihren Siegeszug antrat.
Im Überfluss des Westens nach den fetten 1980er-Jahren gilt ein gestählter und zunehmend magerer weiblicher Körper als die ideale Form. Klar: Denn die Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen, muss man sich leisten können. Und in Zeiten des Überflusses wirkt Verzicht als wahrer Luxus.
Das Intime hat in Notzeiten grösseren Stellenwert
Üppige Kurven sind im dominanten weissen Marketingumfeld immer noch die Ausnahme. Fett steht heute nicht wie bis anhin in schlechten Zeiten für Wohlstand, sondern für eine Fast-Food-Armuts-Ernährung der Unterschicht.
Dass seit wenigen Jahren in gewissen Kreisen nun absurde Hintern à la Kim Kardashian als neues Schönheitsideal gelten und sich damit eben auch ein Kleidungsstück wie der eingangs erwähnte Butt-Lifter etablieren konnte, hat mit der schwarzen Hip-Hop-Gegenkultur zu tun, die sich gegen die dominierende Ästhetik der dünnen, weissen Frau abgrenzt.
In Zeiten wirtschaftlicher Not erhält das Intime einen grösseren Stellenwert, wie die Schweizer Sexualforscherin Christa Gubler (59) erklärt. Wer es sich leisten kann, der trägt seinen Reichtum nicht mehr nach aussen, um Neid zur vermeiden. Stattdessen investiert man in Unterwäsche wie etwa in den Zwei-Millionen-Dollar-Büstenhalter, den Alessandra Ambrosio in der Victoria’s-Secret-Show 2014 trug.
«Undressed – A Brief History of Underwear» Victoria and Albert Museum. Bis 12. März 2017