Der Mercedes Vision EQXX schafft 1000 Kilometer
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Rekordfahrt mit einer Ladung:Der Mercedes Vision EQXX schafft 1000 Kilometer

Rekordfahrt durch Europa und die Schweiz im Vision EQXX
Mercedes-Stromer schafft echte 1000 Kilometer

Über 1000 Kilometer mit einer Batterieladung! Auf seiner Rekordfahrt rollte der Mercedes Vision EQXX auch durch die Schweiz. Blick konnte dabei hinter die Kulissen schauen.
Publiziert: 14.04.2022 um 17:32 Uhr
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Mercedes Vision EQXX: Flache Silhouette, Riesen-Räder, grimmig zusammengekniffene Scheinwerfer und dazu ein Heck wie bei einem GT-Rennwagen aus den 1970er-Jahren.
Foto: Daimler
Andreas Faust und Wolfgang Gomoll

Wenn jedes Ökomobil so aussähe, stünden Elektroautos vielleicht längst in jeder Garage: flache Silhouette, Riesenräder, grimmig zusammengekniffene Scheinwerfer, ein Heck wie GT-Rennwagen der 1970er-Jahre. Aber das Concept Car Mercedes Vision EQXX ist nicht bloss ein Schmuckstück zum Gucken – es fährt. Und zwar über 1000 Kilometer pro Batterieladung.

«Ich liebe dieses Auto heiss und innig», sagt Julien Pillas. Kaum tritt er das Fahrpedal, lässt die Viertürer-Flunder andere Autos stehen wie Statisten. Der digitale Tacho im riesigen Cockpit-Display (47,5 Zoll !) zählt rasend schnell hoch. Nicht schlecht für die vergleichsweise moderaten 245 PS (180 kW) des E-Motors an der Hinterachse. Pillas ist einer von drei Testfahrern, die mit dem EQXX auf Rekordfahrt gingen: Über 1000 Kilometer vom Mercedes-Werk Sindelfingen (D) bis nach Cassis (F) am Mittelmeer. Wir drehen mit Pillas eine Runde im EQXX, um einen Eindruck zu bekommen.

Die Aerodynamik machts

Der EQXX wurde vollkommen auf Effizienz getrimmt. Sein Akku mit 100 kWh ist nur halb so gross wie jener des Mercedes EQS und wiegt mit 495 gut 200 Kilo weniger. Aber die Energiedichte beträgt bei 900 Volt mehr als 0,4 kWh je Liter Volumen und ist damit wesentlich höher als im aktuellen Mercedes-Serien-Flaggschiff EQS. Der Trick: Anoden mit hohem Silizium-Anteil «Das gibt es in keinem Serienfahrzeug», sagt Entwicklungsvorstand Markus Schäfer (56). Die Batterie ist so effizient, dass sie nur durch den Fahrtwind gekühlt wird und keinen Kühlkreislauf benötigt. Deswegen haben die Techniker die Ladeleistung auf 100 kW beschränkt: Aufgrund der hohen Effizienz des EQXX ist das trotzdem für 300 Kilometer in 15 Minuten gut.

Vor 18 Monaten gab Schäfer seinem Team das Ziel: über 1000 Kilometer. «Was ich nicht gesagt habe: Ich will einen einstelligen Verbrauchswert», sagt Schäfer grinsend. Neben der Batterie war Aerodynamik der Schlüssel. Der Vision EQXX erreicht einen cW-Wert von 0,17, unterbietet damit solche extremen Zigarren wie den VW XL1 um 0,02 Punkte. Trotzdem konnten die Hinterräder ohne Verkleidung bleiben, sonst hätten die Designer wohl auch gemeckert. Ganz wichtig ist der ausfahrbare Heck-Diffusor: 0,01 cW-Punkte auf der Autobahn. In der Stadt verschwindet er und kann nicht beschädigt werden. Ebenso wichtig: die speziellen Leichtlaufpneus mit 185 mm Breite.

Simulation als Schlüssel

Am 5. April starteten Pillas und seine Kollegen gen Mittelmeer. Nicht durchs Rhônetal, wo der Mistral hilft, sondern über den Gotthard und weiter nach Mailand (I). Heikel: Der EQXX rollte dabei zum ersten Mal auf öffentlichen Strassen. Mit anderen Autos wurde zwar die Route zuvor abgefahren, «aber», erläutert Schäfer, «wir hatten den EQXX vorher nur virtuell auf der Strecke getestet». Auch während der Fahrt liefen Simulationen mit. Eine Software wurde mit Daten wie der Topografie gefüttert. Dabei rechnete der Computer 1,8 mal so schnell, wie die Fahrt lief, und «dachte» so voraus. Ausserdem liefen Antriebskomponenten ohne Auto und in einem EQB auf einem Prüfstand mit. Im Kontrollzentrum schaute es aus, als gehe es um einen Raumflug. «Das war sozusagen unsere Marslandung», sagt Schäfer.

Los gings morgens um sieben Uhr – bei drei Grad Celsius, im strömenden Regen und bei Gegenwind. Bei einem Grad weniger wäre alles abgeblasen worden. Im Auto: Die Fahrer konzentrieren sich auf den Verkehr, der Beifahrer hängt am heissen Draht zum Kontrollzentrum. Der Fahrstil bitte sachte und langsam? Nein. «Wir sind so gefahren, wie das ein normaler Kunde tun würde», sagt Schäfer. Bis 140 km/h auf der deutschen Autobahn bedeuteten über die ganze Strecke rund 90 km/h im Schnitt: «Wir konnten nicht alles vorhersehen: Wir waren mit Staus, Baustellen und schlechtem Wetter konfrontiert – die Fahrt verlief unter Real-Life-Bedingungen.» Und die Piloten mussten nicht frieren: Per Sitz- und Umluftheizung bliebs warm, auch die Scheibenwischer waren zeitweise im Betrieb und kosteten Strom.

Regen, Steigungen, Defekte

Bis zum Gotthardtunnel lief es eher mässig. Schlechtes Wetter, ständige Steigungen – und der Spannungswandler für die 12-Volt-Batterie stieg aus. Ohne sie fehlt der Elektronik der Strom. Aber bei einem Ampelstopp gelang die Wiederbelebung. Am Tunnelende in Airolo TI hellte sich das Wetter auf; ab Mailand waren noch 500 Kilometer zu fahren. Nach gut zwölf Stunden und 1008 Kilometern kam der EQXX um 19.02 Uhr in Cassis an. Der begleitende TÜV-Ingenieur, der zu Beginn die Ladeklappe versiegelt hatte, attestierte einen Verbrauch von 8,7 kWh/100 km und eine Restreichweite von noch mehr als 140 Kilometern. Bis zu 1150 Kilometer lägen also drin.

Wie gehts weiter? Schäfer kündigt an, dass die Mercedes-Tochter AMG wohl für ein kommendes Modell auf das rasante Design des EQXX zurückgreifen werde. Weniger mit dem Fokus auf Effizienz als auch auf Höchstleistung. Vor allem aber werde die Technik – E-Motor, 900-Volt-Batteriemodule und Riesen-Display – ab 2024 in neuen elektrischen Kompaktmodellen von Mercedes zu finden sein. Ausserdem gäbe es schon fünf Kaufanfragen für den einzigartigen EQXX, sagt Schäfer. Aber da ist wohl nichts zu machen.

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