Zum Fotoshooting in der Zukunftsgarage der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ) kurvt CEO Urs Rengel (59) natürlich im Elektro-VW. Rengel kennt noch die Pionierzeiten der Elektromobilität: Sein auf Elektroantrieb umgebauter Renault Twingo von vor zehn Jahren hatte kaum 100 Kilometer Reichweite – und genügte ihm dennoch im Alltag.
Herr Rengel, vor zehn Jahren haben Sie prognostiziert: Bis 2025 rollen 100’000 E-Autos in der Schweiz. Steht Ihre Prognose noch?
Urs Rengel: Aktuell sind insgesamt 50’000 Stromer auf Schweizer Strassen – inklusive der Plug-in-Hybride mit zusätzlichem Verbrenner. Bis 2025 werden wir sicher die doppelte Zahl haben.
Ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 boomte das Elektroauto. Haben Sie das erwartet?
Wir haben es erhofft. Für mich persönlich war schon lange klar, dass sich diese Technik durchsetzen wird.
Solch ein Boom wurde seit Jahren prognostiziert – und blieb dann doch aus. Waren die EKZ darauf vorbereitet?
Wir haben vor sieben Jahren untersucht, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Hälfte des Privatverkehrs im Kanton Zürich elektrifiziert wäre. Selbst solch ein hoher Anteil würde das Stromnetz nicht aus den Angeln heben. E-Mobilität ist kein Problem für die Versorgungssicherheit.
Wird Elektromobilität heute anders wahrgenommen als noch vor zehn Jahren – von Ihren Kunden, von der Politik?£
Ganz sicher. Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima ist das Interesse an der Energieversorgung generell gestiegen – und wir sind sensibler hinsichtlich der CO2-Emissionen. Das Elektroauto lärmt nicht, stinkt nicht, fährt sportlich und ist alltagstauglich. Diese Erkenntnis setzt sich bei immer mehr Menschen durch.
Müssen Sie jetzt schon investieren, um auf den Strommehrbedarf durch künftige Elektroautos vorbereitet zu sein?
Beim Netzausbau denken wir 30 bis 40 Jahre in die Zukunft. Eine Million zusätzliche E-Fahrzeuge würden einen Mehrbedarf von drei Milliarden Kilowattstunden pro Jahr verursachen – aber das sind lediglich fünf Prozent des gesamten Schweizer Stromverbrauchs. Das Übertragungsnetz würde das durchaus noch verkraften. Wir müssen nur die Stromverteilung intelligenter steuern.
Aber es gibt jetzt schon Limitationen im Netz gegen Verbrauchsspitzen: Unser Wasserboiler zu Hause heizt nur zu Niedrigtarifzeiten.
Das ist intelligentes Netzmanagement! 100 Teslafahrer in einer Überbauung, die alle um 19 Uhr ihr Auto einstöpseln – das verkraftet das lokale Netz nicht. Dabei müsste von den 100 Fahrern wohl maximal nur einer sofort laden, weil er um 22 Uhr schon wieder losfahren möchte. Die übrigen könnten problemlos mit dem Laden warten. Solche Bedürfnisse müssen wir kennen. Leider wird uns nur geschätzt die Hälfte aller Elektroauto-Käufe gemeldet; das macht es schwierig.
Sofort einstecken aus Angst vor dem Liegenbleiben: Warum ist diese Angst so hartnäckig?
Psychologisch kann ich sie nachvollziehen, aber praktisch ist sie unbegründet. Zumal die reale Alltagsfahrleistung in der Schweiz unter 40 km liegt.
Das Netz lässt sich als sogenanntes Smart Grid steuern, wenn alle Verbraucher übers Internet kommunizieren können. Wie weit sind die EKZ damit?
Die Energiestrategie 2050 setzt auf dezentrale Produktion: Jede Photovoltaik-Anlage, die ein E-Auto lädt, braucht eine lokale Steuerung, die je nach Sonneneinstrahlung den Ladevorgang steuert. Dafür sind aber detaillierte Daten zum Verbrauchsverhalten und zur jeweils aktuellen Stromproduktion nötig. Auf der Kundenseite wissen wir gut Bescheid. Aber die Angebotsseite ist volatiler geworden, zum Beispiel durch die grossen Windparks in Norddeutschland. Es wird anspruchsvoller, das Stromangebot zu regulieren.
Wie viele Prozent der Verbraucher müssten für ein Schweizer Smart Grid mit den Netzbetreibern kommunizieren können?
Vor allem die grossen Verbraucher müssen ansprechbar sein – Wärmepumpen, Wasserboiler und Elektroautos. Die Kleinverbraucher, die über Tag nur kurz genutzt werden, gleichen sich im Durchschnitt aus.
Elektroautos könnten ein Zuviel an regenerativ produziertem Strom zwischenspeichern. Wie weit ist diese Technologie?
Prinzipiell kann ein Tesla mit einer 100-Kilowattstunden-Batterie den wöchentlichen Strombedarf eines Einfamilienhauses decken – ohne dass man sich einschränken müsste. Allerdings haben die Autohersteller keine Freude daran, weil jeder Ladezyklus die Batterie altern lässt – auch wenn sie auf sehr viele Zyklen ausgelegt ist. Ob sich das durchsetzt, bleibt abzuwarten.
Bis wann wird sich ein Smart Grid realisieren lassen?
Der Ausbau findet kontinuierlich statt.
Wie viel investieren Sie dazu im Jahr?
Die EKZ stecken rund 70 Mio. Franken pro Jahr ins Netz. Damit finanzieren wir vor allem Instandhaltung und Netzausbau – pro Jahr kommen im Kanton ja rund 8000 neue Wohneinheiten dazu. Für mehr Netzintelligenz geben wir etwa 2 Mio. Franken pro Jahr aus.
Das genügt, um den Mehrverbrauch durch E-Autos auszugleichen?
Den Mehrverbrauch kann man so nicht ausgleichen, aber Überlasten in Spitzenzeiten vermeiden. Die Treiber des Netzausbaus sind aber nicht Elektroautos, sondern die zahlreichen neuen Rechenzentren. Solche Zentren werden mit Vorliebe im EKZ-Netz errichtet, weil unsere Durchleitungsgebühren schweizweit die tiefsten sind. Einerseits sorgen sie für konstante Netzauslastung und damit weiter sinkende Gebühren. Aber jedes Zentrum benötigt zwischen 40 und 100 Megawatt zusätzliche Kapazität.
Das heisst: Die E-Mobilität ist kein Investitionstreiber?
Nein. Wenn in einem Einfamilienhaus eine dickere Leitung fürs Elektroauto gebraucht wird, dann zahlt sie der Kunde über den Netzkostenbeitrag selbst. Und das ist auch richtig so: Wenn wir überall dickere Kabel vorsähen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt gebraucht werden, wäre das eine massive Fehlinvestition. Für normale Wallboxen mit 11 oder 22 Kilowatt Ladeleistung ist das Netz meist gut vorbereitet.
Der promovierte Elektroingenieur (59) wurde in Zürich geboren, arbeitet seit 21 Jahren bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich und leitet das Unternehmen seit 2004 als CEO. Er lebt mit seiner Familie in Zollikerberg ZH. Obwohl er als Panzeroffizier seine Liebe zu grossen Dieselmotoren entdeckte, fährt er seit über zehn Jahren nur noch elektrisch.
Der promovierte Elektroingenieur (59) wurde in Zürich geboren, arbeitet seit 21 Jahren bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich und leitet das Unternehmen seit 2004 als CEO. Er lebt mit seiner Familie in Zollikerberg ZH. Obwohl er als Panzeroffizier seine Liebe zu grossen Dieselmotoren entdeckte, fährt er seit über zehn Jahren nur noch elektrisch.
Stichwort Hausanschluss: Sind Vermieter noch zu zögerlich?
Es gibt Vordenker und Konservative – und komplizierte Situationen, in denen der Vermieter keine Vorleistungen erbringen will. Wir haben eine ganze Abteilung, die informiert, berät und an Eigentümerversammlungen die nötigen Installationen vorstellt. Und wir haben ein Modell entwickelt, bei dem man die Investitionen erst im Nachhinein über den Ladetarif bezahlt. Aber das ändert nichts daran, dass die Grundinstallation – also das Kabel bis in die Tiefgarage – Aufgabe der Eigentümer ist.
Können die EKZ selbst auch E-Mobilität fördern?
Nach einer Gesetzesänderung arbeiten wir seit zwei Jahren gewinnorientiert. Politisch motivierte Fördermassnahmen oder Vorab-Investitionen können wir nicht leisten. Alles, was wir tun, muss sich rechnen.
Wären denn Fördermassnahmen sinnvoll in der Schweiz?
Das ist eine politische Frage: Es gibt Extremvorbilder wie Norwegen; in der Schweiz wird E-Autofahrern nur die Strassenverkehrsabgabe erlassen. Ich vertraue auf den Markt: Die Gesamtkosten eines Elektroautos sind über seinen Lebenszyklus so viel tiefer als bei Verbrennern, dass es sich langfristig durchsetzen wird. Auch ohne Förderung.
Aber Elektroautos sind teurer als Verbrenner.
Ein Vorurteil. Die Anschaffungskosten sind hoch, aber man fährt sie problemlos über den tieferen Kilometerpreis wieder herein.
Ich nenne Ihnen vier weitere typische Vorurteile: Elektromobilität geht nur, wenn wir deutschen Kohle- und französischen Atomstrom beziehen.
Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Wenn ich Strom importiere, dann kann ich gezielt regenerativ produzierten Strom verlangen. Importstrom heisst nicht zwingend mehr CO2 oder Atomstrom.
Es gibt zu wenige öffentliche Ladestationen.
Das Argument zieht aus meiner Perspektive nicht. Als eingefleischter E-Autofahrer lädt man daheim oder – auf Arbeitgeberkosten (lacht) – im Büro. Öffentliche Ladestationen sind nur ein Backup, zumal der Strom dort oft das Fünffache wie zuhause kostet. Wir glauben nicht daran, dass solch ein Netz rentabel zu betreiben ist.
Vor zehn Jahren hiess es noch: Strom gibts umsonst, wenn man beim Warten Kaffee und Gipfli nimmt.
Pure Marketingaktionen. Ich kenne einen Baumarkt in Dietlikon mit zwei kostenlosen Ladestationen – aber die sind seit Jahren immer ausgeschaltet...
Aber warum dann der Fetisch um den Ausbau des öffentlichen Ladenetzes?
Aus meiner Sicht wird die Bedeutung des öffentlichen Ladens überschätzt.
Der Bund investiert in Leitungen bis an die Autobahn-Raststätten. Eine Fehlinvestition?
Das ist eine Fördermassnahme des Bundes. Dabei ist es clever, dass er Bau und Betrieb der Ladesäulen Investoren überlässt. Wir haben von solchen Massnahmen abgesehen, weil wir nicht an deren Wirtschaftlichkeit glauben. Break-Even nach 30 Jahren? Das ist für uns kein tragfähiges Geschäftsmodell.
Aber auf Langstrecken muss man doch laden können?
Der Niederländer auf dem Weg ans Mittelmeer wird für die Schnelllader dankbar sein. Andererseits glaube ich nicht, dass Langstrecken-Vielfahrer ein Elektroauto kaufen werden.
Nächste Aussage: Die Ökobilanz des Elektroautos ist schlechter als bei Verbrennern.
Es findet sich immer ein Professor, der sich für eine Studie für dieses Argument vor den Karren spannen lässt. Die EMPA hat es ausführlich untersucht: Bei der Produktion eines Elektroautos ist die CO2-Belastung hoch, aber nach etwa 80’000 Kilometern wird auf den Lebenszyklus gesehen diejenige eines Verbrenners unterboten.
Und schliesslich: Die Entsorgung der Batterien belastet die Umwelt.
Bei Batterien hoher Kapazität geht es nicht um Entsorgung, sondern um deren Zweitnutzung und im Anschluss daran ums Recycling. Normale Haushaltsbatterien, die in der Kehrichtverbrennung landen, sind ein Problem. Aber nicht die Fahrakkus von E-Autos.
Verfolgen Sie Zweitnutzungsprojekte?
Wir forschen seit zehn Jahren aktiv an der Nutzung von Batterien als Zwischenspeicher.
Auch mit Autobatterien?
Noch nicht, aber durchaus denkbar. Noch gibt es kein zählbares Volumen an alten Batterien.
Was sagen die EKZ den «Laternenparkern», die elektrisch fahren wollen?
Ich fürchte, sie werden leider die letzte Kundengruppe sein, die aufs E-Auto umsteigen wird. Ohne fixen Parkplatz mit Steckdose fährt man kein E-Auto.
Warum nicht zum Beispiel Ladedosen in die Masten der Strassenbeleuchtung integrieren?
Wir haben das als Pilotprojekte unter dem Oberbegriff Smart City ausprobiert. Wenn man die Kosten dann dem Benutzer in Rechnung stellte – und das wäre nötig –, dann hätte der leider gar keine Freude mehr an seinem Elektroauto. Die Alternative für Laternenparker wäre, dass er einen Stromer im Carsharing nutzt.
Wasserstoff gilt als Treibstoff der Zukunft. Wären dann alle Investitionen in die Elektromobilität verfehlt?
Wasserstoff ist nur ein Energieträger, den man mit Strom produzieren kann. Das ist schön am Strom: Zusammen mit Luft und Wasser lässt sich jeder Energieträger herstellen. Methan, Wasserstoff, Ethanol – selbst Kerosin. Aber nur, solange man die Wirtschaftlichkeit nicht beachtet. Künstlicher Diesel aus regenerativem Strom, der zehn Franken je Liter kostet, hat keine Marktchancen.
Was ist mit der Energiebilanz beim Umwandeln?
Produziere ich aus Strom Wasserstoff, dann verliere ich 40 Prozent. Wird er in der Brennstoffzelle zur Stromproduktion genutzt, verliere ich abermals 50 Prozent. Man opfert die Energieeffizienz dem Emissionsvorteil. Um zum Geschäftsmodell für die EKZ zu werden, ist die Technologie noch zu weit weg. Auch wenn jetzt die ersten Wasserstoff-Lastwagen in der Schweiz rollen.
Toyota entwickelt Brennstoffzellen für die Stromproduktion zu Hause. Dann wären die EKZ irgendwann überflüssig.
Die Dezentralisierung der Stromproduktion ist ein Megatrend, geht aber natürlich sehr langsam voran. In Affoltern haben wir jüngst ein Wohnprojekt mit Stromversorgung per Wasserstoff realisiert, das energetisch komplett autark arbeitet – es wird sogar im Sommer Energie für den Winter gespeichert. Vielleicht werden in der Zukunft die Netzkosten eine Art Versicherungsprämie dafür sein, dass man noch Strom beziehen kann, wenn die eigene Anlage ausfällt.
Das Elektroauto ist derzeit also die beste Lösung?
Als Elektroingenieur weiss ich: Es wird sich durchsetzen, wenn man Effizienz und Wirtschaftlichkeit einbezieht. Diesel verbrennen ist nur in Sibirien effizient, weil nur 25 Prozent der Energie in Vortrieb, aber 75 Prozent in Wärme umgesetzt werden. Diesel oder Erdgas sollte man zuerst verstromen, statt sie direkt zu verbrennen. Selbst wenn wir den importierten Diesel in Strom umwandelten und dann elektrisch fahren und per Wärmepumpe heizen würden, könnten wir die Gesamteffizienz unserer Energiewirtschaft verdoppeln. Das wäre zwar keine Dekarbonisierung, aber eine Steigerung der Effizienz. Bei Erdgas teilweise um den Faktor drei.
Wann fährt die Schweiz also elektrisch?
2030 werden Elektroautos die Hälfte aller Neuwagen ausmachen.