Es ist der erste Abstimmungssonntag im Jahr 1984. Am 26. Februar drückt sich das Schweizer Stimmvolk eine zusätzliche Gebühr von 30 Franken pro Jahr aufs Auge. Bei einer Stimmbeteiligung von 52,77 Prozent nehmen 53 Prozent der Stimmbürger den «Bundesbeschluss über eine Abgabe zur Benützung der Nationalstrassen» an. Die Vignette, wie wir sie heute noch kennen, ist geboren.
Ein Jahr später schliesslich führt die Schweiz 1985 die Vignette als erstes Land in Europa ein. Der Berner Grafiker Roland Hirter (79) hatte sie gestaltet. Bis heute hat sie sich optisch kaum verändert – bis auf die jährlich wechselnde Farbe. 1999 wurde ein Wasserzeichen eingeführt, um Fälschungen zu erschweren, und 2000 war das einzige Jahr, in dem die Jahreszahl vierstellig abgebildet wurde.
Für ausländische Autos
Bei der Einführung ging der Bund noch davon aus, dass vor allem ausländische Fahrzeuge auf der Durchreise die so erhobene Maut bezahlen. Alternative Tunnelgebühren für Gotthard und San Bernardino wurden verworfen, um das lokale Gewerbe nicht zu belasten.
Stattdessen sollte sich mit der Vignette vor allem der Transitverkehr am Unterhalt der Nationalstrasse beteiligen. Denn dieser tankte wegen der hohen Benzinpreise selten in der Schweiz und leistete seinen Beitrag deshalb nicht über die Treibstoffabgabe. Im Abstimmungsbüchlein rechnete der Bundesrat noch vor, dass die ausländischen Fahrzeuge 200 bis 250 Millionen Franken bezahlen würden, während Schweizer Fahrzeuge nur 50 Millionen Franken beisteuern würden. Das ist wohl der Grund, wieso heute noch die eidgenössische Zollverwaltung und nicht das Bundesamt für Strassen für die Vignette zuständig ist.
Verärgerter Nachbar
Die Schweiz wurde damals denn auch von Deutschland scharf kritisiert. Der damalige Verkehrsminister Werner Dollinger (1918–2008) bezeichnete die Vignette als Barriere für die europäischen Verkehrswege. Doch nicht nur beim Nachbarn, auch in der Schweiz selber war sie umstritten. 1986 wurde eine Volksinitiative eingereicht, um die Vignette wieder abzuschaffen. Nationalrat Michael E. Dreher (78) versuchte die Abschaffung 1988 mit einer Motion zu beschleunigen, weil er um den Ruf der Schweiz fürchtete: «Die Erhebung verärgert jährlich Hunderttausende von Touristen, was dem Ansehen und der Beliebtheit unseres Landes sehr abträglich ist», schrieb Dreher in seinem Vorstoss.
Die Vorstösse waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Drehers Motion wurde nach zwei Jahren unbehandelt abgeschrieben und die Initiative 1990 zurückgezogen. Stattdessen stimmten die Schweizer zehn Jahre nach der Einführung der Vignette einer Preiserhöhung von 10 Franken zu. Seit 1995 gilt der heutige Preis von 40 Franken. Eine weitere Preiserhöhung auf 100 Franken lehnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im November 2013 ab.
Viele Nachahmer im Osten
Selbst die internationale Kritik aus Deutschland verlor sich. Weitere europäische Staaten nahmen das Schweizer System auf – allen voran Österreich. Das Land führte 1997 ebenfalls eine Autobahn-Vignette ein. Auch Bulgarien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn kennen heute ein solches System. Die meisten bieten aber im Gegensatz zur Schweiz nicht nur kurzzeitige Angebote für Tage, Wochen oder Monate an, sondern haben die Klebeversion längst komplett durch eine elektronische Vignette ersetzt.
Zum 1. August 2023 zog die Schweiz endlich nach, nachdem der Start der E-Vignette mehrfach nur angekündigt wurde. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibts die Klebeversion für die Windschutzscheibe aber weiterhin – zumindest vorerst. Nicht auszuschliessen, dass sie auch bei uns früher oder später nur noch digital erhältlich sein wird. Dann käme es auch nicht mehr zu Problemen wie in den Jahren 1995 und 2000, als die Vignette nicht richtig klebte.
Aber meistens hält sie besser an der Innenseite der Windschutzscheibe, als den Autofahrern lieb ist (hier gehts zum Ratgeber: So entfernst du die Autobahnvignette ganz einfach). Auch dieses Problem gehört mit der E-Vignette der Vergangenheit an – wenn sie denn von den Autofahrern gekauft wird: 2024 entfielen von den etwa 11 Millionen verkauften Vignetten nur rund 35 Prozent auf die digitale Variante.