Gülşah Gabriel (43) hält es für möglich, dass Corona künftig weniger gefährlich sein könnte. Die deutsche Biologin und Virologin untersucht, wie sich verschiedene Grippeviren bei der Übertragung von Vögeln auf Säugetiere und Menschen verhalten.
Die saisonale Influenza beispielsweise infiziere primär die oberen Atemwege, sagt Gabriel, die am Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie in Hamburg forscht, dem «Spiegel» in einem Interview. Dies sei eine wichtige Eigenschaft für die Verbreitung von Viren, denn sie werden beim Husten, Niesen oder Sprechen von Mensch zu Mensch transportiert.
Gefährlich, aber weniger ansteckend
Die sehr letale Vogelgrippe H7H9 hingegen, an der 30 bis 50 Prozent der Infizierten sterben, infiziere hauptsächlich die unteren Atemwege. Sie sei deshalb viel gefährlicher, aber wenig ansteckend zwischen Menschen.
«Corona ist da auf einer Zwischenstufe. Wenn sich das Virus stärker anpasst, könnte man erwarten, dass es sich in den Atemwegen auch eher oben ansiedelt und dann milder wird», sagt Gabriel dem «Spiegel».
Von Schweinegrippe lernen
Sie könne zwar nicht beantworten, ob das geschehen werde, räumt die Forscherin ein. Aber sie könne sehen, was man aus der Schweinegrippe-Pandemie 2009 gelernt habe. Dort hätten im ersten halben Jahr die Übertragbarkeit und die Pathogenität zugenommen. Damit wird in der Medizin die Fähigkeit eines auf den Körper einwirkenden Einflussfaktors, beispielsweise Viren oder Bakterien, eine Krankheit auszulösen, beschrieben.
«Die Viren, die ein Jahr später zirkulierten, waren noch ebenso oder sogar stärker ansteckend, aber die Krankheitsschwere hat abgenommen.» Zwar könne man nun nicht einfach von Influenza auf Corona schliessen. Aber es gebe mehrere Coronaviren, die schon länger bei Menschen zirkulieren und relativ milde Erkältungen auslösen. Die Wahrscheinlichkeit gehe also in die Richtung, dass auch dieses Coronavirus, Sars-CoV-2, milder werde, sagt Gabriel. «Wie lange das dauert, kann man aber auch nicht sagen.»
«Das sollte kein Glücksspiel sein»
Gabriel blickt auch in die Zukunft und sagt, es sei bereits klar, dass die nächste Pandemie kommen werde. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werde auch diese von einem respiratorischen Virus ausgehen. Darum sei es wichtig, die Grundlagenforschung in dem Bereich zu erweitern.
«Wenn die nächste Pandemie kommt, können wir aktuell nur hoffen, dass irgendjemand zufällig an diesem Virus geforscht hat, damit man Ansatzpunkte zur Bekämpfung hat. Das ist doch ein Glücksspiel – aber es sollte keines sein. Auf die nächste Pandemie sollten wir besser vorbereitet sein.» (vof)