Letzten März wurde schweizweit von den Balkonen aus für das Gesundheitspersonal applaudiert. Die Wertschätzung des Krankenpersonals war nie so gross wie während der Corona-Krise. Dies wirke sich positiv auf die Nachfrage nach Lehrstellen im Gesundheitssektor aus.
«Werte wie Sinnhaftigkeit, Wertschätzung, Krisensicherheit und Karrieremöglichkeiten machen diese Berufe attraktiv», sagt Luca D'Alessandro von Odasanté, der nationalen Dachorganisation der Gesundheitsbranche.
In der Zentralschweiz seien noch nie so viele Bewerbungen für Pflegefachpersonen eingegangen wie dieses Jahr, berichtet Xund, das Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz. H-plus, der Verband der Spitäler Schweiz, kann diesen Positivtrend bestätigen. Und laut dem Bundesamt für Statistik hat die Zahl der Lernenden von 2019 bis 2020 um über einen Zehntel zugenommen. Gemäss Experten soll sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen. Dies allein löse den Pflegenotstand aber nicht.
2500 Lernende mehr als im Vorjahr
«Auch wenn die Anzahl Bewerbungen zugenommen hat, ist es schwieriger geworden, geeignetes Personal zu finden», sagt Anne Bütikofer von H-plus. Viele Jugendliche seien sich nicht bewusst, wie anspruchsvoll der Beruf als Pfleger oder Pflegerin sei. «Sie wählen oft eine Lehre bei uns als zweite oder dritte Option, und sind sich nicht klar darüber, was sie erwartet», so Bütikofer.
Schweizweit unterzeichneten bis Mitte Juli bereits 58'000 Lernende einen Lehrvertrag. Dies sind gemäss Bund 2500 mehr als im Vorjahr. Und nicht nur bei den Pflegeberufen sorgte Corona für Veränderungen.
So auch in der Baubranche: Obwohl die Branche mit ähnlich viel besetzten Lehrstellen – 2020 gab es 2246 neue Lernende – rechnet, hat der Schweizerische Baumeisterverband ein steigendes Interesse bemerkt. Der Grund: Während der Pandemie seien vor allem «sichere» Berufe gefragt. «Angehende Lehrlinge realisieren vermehrt, dass nicht nur mit Krawatte eine Karriere möglich ist, sondern auch Bauberufe vielfältige Aufstiegsmöglichkeiten bieten», sagt Matthias Engel vom Baumeisterverband.
Eintritte in Fleischbranche stabil
In der ICT-Branche zeigt sich ebenfalls eine positive Veränderung: Gemäss dem ETH-Forschungsprojekt Lehrstellenpuls waren per Ende Juni wie auch im Gesundheitssektor bereits über 90 Prozent der Lehrstellen besetzt.
«ICT-Berufsbildung Schweiz ist sehr erleichtert darüber, dass es trotz der Pandemie nicht zu einem Lehrstellenrückgang gekommen ist. Aufgrund des zunehmenden ICT-Fachkräftebedarfs in fast allen Branchen wäre dies für die Wirtschaft verheerend gewesen», sagt Elisa Marti der ICT-Berufsbildung Schweiz. Die lange Homeoffice-Pflicht aufgrund der Corona-Pandemie habe sich demnach nicht negativ auf die Branche ausgewirkt.
Die Schweizerische Bankenvereinigung hat aufgrund der herrschenden Unsicherheit ebenfalls keinen Einbruch bezüglich der Nachfrage nach Lehrstellen bemerkt. Auch die Lehrantritte in der Fleischbranche konnten sich nach aktuellem Wissensstand auf Vorjahresniveau halten. «Eine Schwierigkeit war jedoch, dass keine Berufswahlveranstaltungen stattfanden. Wir haben versucht dem mit Schulbesuchen und Tagen der offenen Tür entgegenzuwirken», sagt Philipp Sax vom Schweizer Fleisch-Fachverband.
Gastronomie hat gelitten
Unter dem erschwerten Bewerbungsbedingungen hat aber insbesondere die Gastronomie gelitten. «Jugendliche konnten sich nur eingeschränkt bewerben und schnuppern. Wir rechnen deshalb damit, dass die Branche weniger Lehrvertragsabschlüsse verzeichnen wird als letztes Jahr», äussert sich Gastrosuisse zur aktuellen Situation.
Dies bestätigen auch die Zahlen: In der Gastronomie sowie auch in der Nahrungsmittelbranche waren gemäss Lehrstellenpuls Ende Juni noch über 30 Prozent der Lehrstellen unbesetzt. Seit Juni habe die Rekrutierung von Jugendlichen gemäss Gastrosuisse aber wieder Fahrt aufgenommen.
Es gab jedoch auch unerfüllte Hoffnungen. Die Bäcker- und Confiseriebetriebe hofften, durch die Unsicherheit in anderen Branchen wieder von mehr Bewerbungen profitieren zu können. «Dem war leider nicht so», teilte der Verband der Bäcker-Confiseure Bern-Solothurn auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP mit. Trotzdem bleibe das Niveau stabil und die Branche sei nochmals «mit einem blauen Auge» davongekommen. Früh aufzustehen, um Brötchen zu backen, stellt für viele Jugendliche offensichtlich doch noch eine zu hohe Hypothek dar - auch in Pandemiezeiten. (pbe/SDA)