Trotz der dramatischen Lage in Afghanistan hat sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (34, ÖVP) einmal mehr «klar» gegen eine freiwillige, zusätzliche Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen in Österreich ausgesprochen.
Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt «alles dafür tun», um die Situation in dem krisengebeutelten Land zu verbessern, doch Österreich müsse sich auch eingestehen, dass «nicht alles in unserer Macht liegt». Das sagt Kurz im Puls 24-Sommergespräch, das am Sonntagabend ausgestrahlt wird und von dem vorgängig Auszüge veröffentlicht wurden.
«Besonders schwierige Integration»
Österreich habe in den vergangenen Jahren bereits einen «überproportional grossen Beitrag geleistet» und beherberge eine der grössten afghanischen Communitys Europas. Er sei deshalb «nicht der Meinung, dass wir in Österreich mehr Menschen aufnehmen sollten». «Das wird es unter meiner Kanzlerschaft nicht geben», betonte Kurz mit Verweis auf die «besonders schwierige Integration» von afghanischen Asylsuchenden.
Von einer «besonders schwierige Integration» hatte Kurz gesprochen, nachdem in Wien mehrere afghanische Flüchtlinge ein 13-jähriges Mädchen mit Drogen vollgepumpt, sexuell missbraucht und getötet hatten.
Nachbarländer unterstützen
Den Menschen solle stattdessen in benachbarten Staaten geholfen werden, wiederholte Kurz den von ÖVP-Politikern geäusserten Vorschlag der vergangenen Tage. Konkret sah er etwa Turkmenistan und Usbekistan, die bisher nur relativ wenige Afghanen aufgenommen hätten, in der Pflicht.
Zwar stehe «absolut ausser Streit», dass die radikal-islamischen Taliban, die Afghanistan in den vergangenen Wochen im Eiltempo erobert hatten, «grausam» und die Lebensbedingungen in dem Land «furchtbar» seien. Doch müsse man sich klarmachen, dass «wir nicht alles in der Hand haben, wir können nicht bestimmen, wie es in anderen Ländern zugeht», so der Kanzler. Bürgerkriegsartige Zustände und immer wiederkehrende Unruhen seien «lange Geschichte und Tradition in diesem Land».
In einer Statistik des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR werden Österreich mehr als 40'000 afghanische Flüchtlinge zugerechnet. Das ist die zweithöchste Zahl in Europa nach Deutschland mit 148'000.
Warnung vor «Fehler von 2015»
«Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen», wurde Kurz zudem in einer von seinem Büro an die Nachrichtenagentur APA übermittelten Stellungnahme zitiert. Der ÖVP-Chef meinte damit die Flüchtlingswelle im Sommer und Herbst vor sechs Jahren, als er als Aussenminister bereits fast zwei Jahre im Amt gewesen war.
Der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus warnte am Samstag in diesem Zusammenhang in einem Radio-Interview davor, Angst vor einer möglichen Flüchtlingswelle aus Afghanistan zu schüren.
Die heutige Situation sei nicht mit jener von 2015 zu vergleichen, betonte er im Ö1-«Mittagsjournal». 2015 hätten Millionen von Menschen problemlos aus Syrien über die offene Grenze in die Türkei fliehen können, wo auch die allermeisten geblieben seien, sagte Knaus. «Heute ist die Situation radikal anders. Die Menschen kommen aus Afghanistan – wie wir ja sehen auf den dramatischen Bildern aus Kabul sehen – nicht raus.»
Seit mehreren Jahren gehört Afghanistan zu den wichtigsten Herkunftsländern von Asylsuchenden auch in der Schweiz. Im Jahr 2020 stammten von insgesamt 11'041 Asylgesuchen in der Schweiz laut der Flüchtlingshilfe 1681 Gesuche von Afghaninnen und Afghanen. Zwischen 2019 und 2020 hat demnach die Anzahl Asylgesuche von Personen aus Afghanistan um über 20 Prozent zugenommen. (gf)