Es sieht nicht gut aus für Kreml-Chef Wladmir Putin (70). Weder auf dem Schlachtfeld in der Ukraine, noch in Moskau. Der Präsident verliert an Macht und genau das könnten einstige Vertraute ausnutzen, um ihn zu stürzen.
Ein Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB, der seit Kriegsbeginn immer wieder vertrauliche Nachrichten an den russischen Exil-Dissidenten Wladimir Osechkin (41) schickt, befürchtet blutige Kämpfe um Putins Nachfolge.
Besonders zwei Namen fallen immer wieder: Jewgeni Prigoschin (61), Chef der berüchtigten Söldner-Truppe «Wagner Gruppe» und Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow (46). Beide Männer haben eine Armee um sich geschart und immer wieder Putin und seine Kriegsführung kritisiert. Gleichzeitig sind die Zustände beim russischen Militär katastrophal. Genau das spiele Kadyrow und Prigoschin in die Hände, kamen Militärexperten des «Institute for the Study of War (ISW)» in einer Analyse schon Anfang November zum Schluss.
«Chaos, Bürgerkrieg, Zusammenbruch»
Nun hat sich die Situation offenbar weiter verschärft. Prigoschin und Kadyrow könnten mit Gewalt versuchen, Putin zu stürzen. In einem aktuellen Mail vom November spricht der FSB-Agent von einem Bürgerkrieg, der «unvermeidlich» sei. Ein einfacher Machtwechsel sei in Russland nicht möglich.
«Es gibt keine Möglichkeit, in Russland ‹alles zu ändern›, sodass das Land als Ganzes funktioniert und nicht in den Abgrund des Terrors stürzt», schreibt der FSB-Whistleblower. Und er führt aus, wie der Kampf um Putins Nachfolge ablaufen könnte. «Am Anfang könnte es zur Aufruhr kommen, bei der es nur zu Plünderungen und chaotischen Scharmützeln zwischen allen Beteiligten kommt.»
Mehr über Prigoschin und Kadyrow
Putins Sicherheitskräfte würden versuchen, diese Aufstände niederzuschlagen und so käme es zu einem «echten Krieg» mit der Wagner-Armee im eigenen Land. Möglich sei auch, dass es blutige Auseinandersetzungen um die Ressourcen und Regionen im Land geben könnte. Und das hätte fatale Folgen für Russland. «Chaos, Bürgerkrieg, Zusammenbruch – ja, das liegt alles vor uns», schreibt der FSB-Agent in seinem Mail.
«Putin ist das Gesicht des aktuellen Systems»
Dass es in Russland tatsächlich zu einem blutigen Machtwechsel kommen könnte, hält Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Geschichte Russlands an der Uni St. Gallen, für unwahrscheinlich. Solche Spekulationen gäbe es schon seit Wochen. Prigoschin und Kadyrow dürfe man nicht überschätzen. «Prigoschin hat keinen breiten Rückhalt bei Interessengruppen im Kreml. Es gibt eine starke Gruppe, die auf ein Ende des Kriegs hinarbeitet und den Status quo ante wiederherstellen wird. Dafür ist Prigoschin kein guter Gewährsmann», sagt Schmid zu Blick. Kadyrow habe über Tschetschenien hinaus keine Verbündeten im Machtapparat des Kremls. Und er wisse auch, dass er in Moskau wenig erreichen könne.
Es sei aber richtig, dass Putin von allen Seiten in die Kritik gerät. «Die Ultranationalisten wollen ein verstärktes Engagement im Krieg, die liberalen Insider wollen ein Ende des Kriegs, die Oligarchen sehen in ihm nicht mehr den Garanten ihrer Privilegien», fasst Schmid zusammen.
Einen oder gleich mehrere Putschversuche hält der Russland-Experte dennoch für fraglich: «Putin ist das Gesicht des aktuellen Systems. Ein Sturz erscheint mir eher unwahrscheinlich.» Schmid könne sich aber ein spanisches Szenario vorstellen, so wie damals beim Diktator Francisco Franco (1892-1975). Erst mit dem Tod Francos endete die Diktatur. Als Putin-Nachfolger halte Schmid einen «loyalen Technokraten» für plausibel – der sich kaum zum Krieg geäussert habe.