Dieser Mann wird Putin gefährlich
Wagner-Chef Prigoschin baut seine Macht aus

Wenn ein Staat einen Krieg zu verlieren droht, endet dieser oft wegen innerer Machtkämpfe. Dieses Szenario könnte auch in Putins Russland eintreffen. Einer bringt sich dafür schon in Stellung: Jewgeni Prigoschin, der Chef der Schattenarmee Gruppe Wagner.
Publiziert: 25.10.2022 um 18:09 Uhr
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Aktualisiert: 15.11.2022 um 14:28 Uhr
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Jewgeni Progischin (61, l.) mit Wladimir Putin (70): Seit Jahrzehnten sind sie Weggefährten. Doch es gibt Zweifel, dass «Putins Koch» weiterhin loyal zum Präsidenten steht.
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Marco LüssiBlattmacher

Als Chef einer Privatarmee mit Tausenden schwer bewaffneten Söldnern und aus den Gefängnissen rekrutierten Schwerverbrechern ist Jewgeni Prigoschin (61) einer der mächtigsten Männer Russlands.

Der Gründer der Gruppe Wagner ist ein langjähriger Weggefährte von Wladimir Putin (70): Sie sollen sich bereits in den 90er-Jahren kennengelernt haben. Prigoschin hatte damals soeben eine 13-jährige Gefängnisstafe wegen Raubes und weiterer Delikte abgesessen und betätigte sich nun in Putins Heimatstadt St. Petersburg als Restaurantbetreiber.

Da der Kreml Prigoschins gastronomischen Angebote zunehmend in Anspruch nahm, erhielt dieser den Spitznamen «Putins Koch». Mit Aufträgen für die Verpflegung der russischen Armee machte er Millionen.

Plötzlich geht er an die Öffentlichkeit

Doch wie loyal ist Prigoschin heute noch gegenüber Putin? Vieles deutet darauf hin, dass er nicht mehr einfach ein treuer Diener des Präsidenten ist, sondern dass «Putins Koch» sein eigenes Süppchen kocht. Immer hatte der Unternehmer Prigoschin sich im Hintergrund gehalten. Er scheute die Öffentlichkeit, und gegen Berichte, er sei der Gründer der Gruppe Wagner, ging er sogar juristisch vor.

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Das änderte sich im Sommer dieses Jahres plötzlich: Zuerst wurde – womöglich von Prigoschin selber – ein Video geleakt, das zeigte, wie er persönlich Gefangene für den Ukraine-Krieg rekrutiert und sich mit markigen Worten an sie richtet. Dann gestand er offiziell, was ohnehin schon alle wussten: Dass er hinter der Gruppe Wagner steht. Immer wieder tauchen seither in den sozialen Medien neue Videos von Prigoschin auf, die zeigen sollen, dass er in der Ukraine eine führende Rolle spielt.

«Prigoschin baut eine Parrallelstruktur auf»

Es scheint, als wolle sich Prigoschin der russischen Öffentlichkeit als Alternative zu Putin präsentieren, als neuen starken Mann. Und da unvorstellbar scheint, dass der schwächelnde Putin seine Macht freiwillig abgibt, trifft Prigoschin offenbar Vorbereitungen für den Fall, dass er seine Privatarmee abseits des Ukraine-Kriegs einsetzen muss – nicht für die Zwecke des Präsidenten, sondern für seine persönlichen.

In einem seiner neusten Lageberichte zum Ukraine-Krieg stellt das Institute for the Study of War (ISW) fest: «Prigoschin gewinnt weiter an Macht und baut parallel zu den russischen Streitkräften eine militärische Struktur auf, die Putins Herrschaft gefährden könnte.»

Macht, aber keine Verantwortung

Dass Prigoschin daran arbeitet, Putin weiter zu schwächen, zeigt sich auch an den Aktivitäten von der Wagner-Gruppe nahestehenden Telegram-Kanälen: Dort wird nicht nur die mangelhafte Versorgung der Mobilisierten kritisiert, sondern auch die Entscheidungen der Militärführung – beides kratzt an der Autorität von Oberfehlshaber Putin.

Prigoschin befindet sich laut dem ISW in einer komfortablen Lage, weil er keine formelle Verantwortung trägt. «Er kann diejenigen, die Autoritätspositionen innehaben, frei kritisieren, ohne befürchten zu müssen, dass irgendjemand auf etwas hinweisen kann, für das er speziell verantwortlich war und das er nicht erreicht hat.»

Prigoschin und Kadyrow schonen ihre Soldaten

Timothy Snyder (53), Geschichtsprofessor an der Yale University und Ukraine-Experte, vermutet, dass Prigoschin seine Kräfte in der Ukraine bereits aufspart, um für einen internen Kampf um die Macht in Russland gerüstet zu sein.

Dasselbe gelte für den anderen prominenten Kriegsherrn mit eigener Armee, den tschetschenischen Diktator Ramsan Kadyrow (46): «Beide rufen zu einer Verschärfung des Krieges auf und verhöhnen das russische Oberkommando in aggressivstem Ton, scheinen aber gleichzeitig ihre eigenen Leute zu schützen», schrieb Snyder in der «NZZ».

Ukraine-Feldzug könnte mit Kampf um Kreml enden

Irgendwann werde der Moment kommen, in dem auch die Kommandeure der regulären russischen Armee beginnen, diese Handlungsweise zu übernehmen. Snyder: «Sie haben einen Anreiz, sich zurückzuziehen, solange sie noch Einheiten befehligen können, wenn die Armee denn in der russischen Politik weiter eine Rolle spielen oder in der russischen Gesellschaft weiterhin Ansehen geniessen will.»

So, glaubt Snyder, sieht der wahrscheinlichste Ausgang des Ukraine-Kriegs aus: «Der ukrainische Feldzug weicht einem Kampf um die Macht im Kreml. In einem solchen Kampf ist es sinnlos, weit entfernt in der Ukraine bewaffnete Verbündete zu haben, die in Russland sinnvoller eingesetzt werden könnten.»

In diesem Szenario werde Putin sich für sein eigenes politisches Überleben aus der Ukraine zurückziehen, so Snyder: «Für alle Beteiligten mag es schlimm sein, in der Ukraine eine Niederlage zu kassieren, aber weitaus schlimmer wäre es, in Russland zu verlieren.»

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