Das kurze Video ging um die Welt. Majidreza Rahnavard (23) trägt eine Augenbinde; links und rechts von ihm stehen vermummte Männer, vermutlich Angehörige der Sicherheitskräfte. Was in seinem Testament stehe, wird der junge Iraner vor seiner Hinrichtung gefragt. Er wolle nicht, dass die Leute an seinem Grab trauern, antwortet Rahnavard: «Weint nicht, lest nicht den Koran, betet nicht. Seid fröhlich. Spielt fröhliche Musik.»
Seinen Widerstand gegen das Regime gab Rahnavard auch in den letzten Minuten nicht auf. Am frühen Morgen des 12. Dezember wurde er erhängt. Er war das zweite Opfer, das die Regierung im Zusammenhang mit den Demonstrationen hinrichten liess. Doch die Proteste brechen nicht ab.
Auch Daria* (39) macht weiter. Vor einigen Tagen marschierte sie mit ein paar Hundert Leuten durch das Zentrum Teherans. «Wir hatten keine Schilder, riefen keine Slogans», erzählt Daria in einem Videocall. Dann tauchten plötzlich Sicherheitskräfte auf – und schossen mit Gummigeschossen und scharfer Munition auf die Demonstranten. Daria kam mit blauen Flecken davon, dieses Mal.
«Tod dem Diktator!»
Viele ihrer Freundinnen sind bereits im Gefängnis. Dennoch ruft Daria weiterhin jeden Abend von ihrem Balkon, zusammen mit Hunderten anderen, «Tod dem Diktator!» Dass ihr deswegen Polizeibesuche drohen, schreckt sie nicht.
Fürchtet sie nicht, verhaftet zu werden? Oder gar zum Tode verurteilt? «Wir haben keine Angst», sagt Daria. Es klingt ein wenig, als ob sie sich selbst Mut zusprechen müsste: «Wir haben keine Wahl. Tun wir es nicht, wird alles noch viel schlimmer!»
Die EU hat Anfang Woche ein neues Sanktionspaket gegen einzelne Verantwortliche der iranischen Regierung beschlossen. Die Schweiz hat diese bisher nicht übernommen. Das sorgt für Kritik. So fordert Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42) die Übernahme der EU-Sanktionen sowie weitere personalisierte Sanktionen. Sie verlangt zudem, «dass sich der Bundesrat für jene Personen einsetzt, die vom Regime zum Tode verurteilt wurden». Das Aussendepartement (EDA) weist darauf hin, dass man zu Wochenbeginn den Vertreter der iranischen Behörden in der Schweiz einbestellt habe. «Das EDA machte ihm unmissverständlich klar, dass die jüngsten Hinrichtungen und das Vorgehen gegen die Demonstranten inakzeptabel seien. Parallel dazu intervenierte die Schweizer Botschaft in Teheran beim iranischen Aussenministerium.» Allerdings ist fraglich, wie gross der Hebel des Westens ist, durch weitere Sanktionen einen Kurswechsel zu erzwingen. Zumindest haben die bisherigen Sanktionen das Regime zu keinem Umdenken bewegt.
Die EU hat Anfang Woche ein neues Sanktionspaket gegen einzelne Verantwortliche der iranischen Regierung beschlossen. Die Schweiz hat diese bisher nicht übernommen. Das sorgt für Kritik. So fordert Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (42) die Übernahme der EU-Sanktionen sowie weitere personalisierte Sanktionen. Sie verlangt zudem, «dass sich der Bundesrat für jene Personen einsetzt, die vom Regime zum Tode verurteilt wurden». Das Aussendepartement (EDA) weist darauf hin, dass man zu Wochenbeginn den Vertreter der iranischen Behörden in der Schweiz einbestellt habe. «Das EDA machte ihm unmissverständlich klar, dass die jüngsten Hinrichtungen und das Vorgehen gegen die Demonstranten inakzeptabel seien. Parallel dazu intervenierte die Schweizer Botschaft in Teheran beim iranischen Aussenministerium.» Allerdings ist fraglich, wie gross der Hebel des Westens ist, durch weitere Sanktionen einen Kurswechsel zu erzwingen. Zumindest haben die bisherigen Sanktionen das Regime zu keinem Umdenken bewegt.
Daria weiss, was im Gefängnis auf sie wartet. Schon 2009 ging sie auf die Strasse, um gegen die Fälschung der Wahlen durch das Regime zu protestieren – und wurde festgenommen. Die Gefangenschaft war schlimm, sagt sie, die Schläge schrecklich. Viele Worte mag sie nicht darüber verlieren. Sagt nur so viel: «Es ist besser, tot zu sein als verhaftet.»
Die Proteste seien heute anders als jene im Jahr 2009, sagt Daria. «Damals wollten wir das Regime reformieren.» Heute steht mehr auf dem Spiel: «Das Regime muss weg!» Die Iraner wollten leben wie die Menschen in anderen Ländern: «Wir wollen unsere Freiheit. Unser Leben.»
Und doch: Die Hinrichtungen machen den Menschen Angst. Das räumt auch Daria ein. «Meine Familie bittet mich, vorsichtig zu sein und zu Hause zu bleiben.» Sie hält sich nicht daran.
Meinungswandel
Und macht inmitten von Gewalt, Ohnmacht, Verzweiflung einen kleinen Lichtblick aus. Zumindest bei den jungen Männern hätten die Proteste zu einem Umdenken geführt. «Früher kam es vor, dass mir mein Freund sagte, ich solle mich bedecken», sagt Daria. «Heute sagt mir das niemand mehr.»
Durch ihr Gespräch mit SonntagsBlick geht Daria ein Risiko ein. Wer mit ausländischen Medien redet, riskiert, des Verrats bezichtigt zu werden. Zudem hat das Regime vielerorts das Internet verlangsamt, um das Teilen von Videos und Fotos zu verunmöglichen. Telefonieren oder Videogespräche zu führen, ist dieser Tage ein schwieriges Unterfangen.
Farid* (41) aus Teheran meldet sich deshalb via E-Mail bei SonntagsBlick. «Wir haben Angst, weil die Regierung so brutal gegen die Protestierenden vorgeht», schreibt er. Viele Leute wagten sich nicht mehr auf die Strasse und begrenzten ihren Protest auf die sozialen Medien. Farids einzige Hoffnung ist die internationale Gemeinschaft. Nur durch sie lasse sich das brutale Regime stoppen.
Tatsächlich hat sich in den letzten Tagen eine neue Bewegung gebildet: Parlamentarierinnen aus Deutschland und der Schweiz übernehmen Patenschaften für Protestierende, die zum Tode verurteilt wurden. Sie setzen sich in den sozialen Medien öffentlichkeitswirksam gegen die Hinrichtung «ihrer» Aktivisten ein; in Deutschland schrieben einige von ihnen Protestbriefe an den iranischen Botschafter
.
Der Druck hatte offenbar Wirkung. Zumindest gab die iranische Regierung bekannt, die Todesstrafe in einigen Fällen aufzuheben. Allerdings bleiben die Betroffenen in Haft – und damit dem Regime und der Folter seiner Uniformierten ausgeliefert.
Karim* ist noch auf freiem Fuss. Er nimmt regelmässig an den Protesten teil, «um meine Stimme mit der Welt zu teilen». Es freue ihn, schreibt er in einem E-Mail, dass die Welt den Iranern zuhöre. Zugleich zeigt er sich fassungslos über die Gewalt, mit denen die Mullahs gegen die Bevölkerung vorgehen. Einer seiner Freunde sei allein deshalb verhaftet worden, weil er die Proteste mit einem Post auf Instagram unterstützt habe.
«Die Islamische Republik herrscht über Iran wie der Islamische Staat», schreibt Karim. Für ihn ist klar: «Die Demonstrationen müssen weitergehen, bis die Islamische Republik zerstört ist.»
Denn: «Das Regime wird die Forderungen der Bevölkerung nie erfüllen.»
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*Alle Namen wurden zum Schutz der Betroffenen geändert