Herr Espahangizi, im Iran brennt es, und Sie müssen von der Schweiz aus zusehen. Wie gehen Sie damit um?
Kijan Espahangizi: Ich bin voller Sorgen, aber auch Hoffnung. Seit vier Wochen schlafe ich wenig, informiere mich ständig über die aktuelle Lage, tausche mich mit Menschen im Iran und ausserhalb aus. Mehr als sechs Millionen Iraner leben im Ausland, viele auch in der Schweiz. Wir unterstützen die Bewegung, wo wir können. Für uns ist klar: Das System steht vor dem Kollaps.
Was macht Sie da so sicher?
43 Jahre lang regierte dieses Terrorregime durch Angst und Schrecken. Das wirkt nicht mehr. Tausende von Menschen haben die Angst abgelegt, riskieren ihr Leben. Und wir sehen Risse im System; Regierungsleute, die anfangen, Gelder ins Ausland zu schaffen, Sicherheitsleute, die nicht zum Dienst erscheinen. Zum ersten Mal gibt es unter den Mullahs Debatten, ob man die Kopftuchpflicht abschaffen soll.
Ob als Studiogast im SRF-«Club» oder als Redner an Iran-Protesten in Zürich: Kijan Espahangizi (44) ist gefragt. Er ist iranischstämmig, kam vor 16 Jahren aus Deutschland in die Schweiz und hat mittlerweile den roten Pass. An der Universität Zürich forscht er als Historiker zu Migrationsthemen. Er ist zudem Mitgründer des Thinktanks Institut Neue Schweiz (Ines), der sich damit beschäftigt, wie die Schweiz als Einwanderungsland künftig demokratisch abgestützt werden kann. Espahangizi lebt mit seiner Familie im Kanton Zürich.
Ob als Studiogast im SRF-«Club» oder als Redner an Iran-Protesten in Zürich: Kijan Espahangizi (44) ist gefragt. Er ist iranischstämmig, kam vor 16 Jahren aus Deutschland in die Schweiz und hat mittlerweile den roten Pass. An der Universität Zürich forscht er als Historiker zu Migrationsthemen. Er ist zudem Mitgründer des Thinktanks Institut Neue Schweiz (Ines), der sich damit beschäftigt, wie die Schweiz als Einwanderungsland künftig demokratisch abgestützt werden kann. Espahangizi lebt mit seiner Familie im Kanton Zürich.
Bereits 2009 gingen Hunderttausende auf die Strasse, und auch in den Jahren danach gab es Demonstrationen. Erfolglos. Was ist jetzt anders?
Bislang gingen die Menschen wegen einzelner Missstände wie Wahlbetrug, Wassermangel, Arbeitslosigkeit oder Korruption auf die Strasse. Jetzt sind es Studierende, Öl-Arbeiter, Leute in den Städten, auf dem Land, Menschen aller ethnischer Regionen. Selbst die Männer haben verstanden: Wir sind nur frei, wenn die Freiheit der Frauen gewährleistet ist. Alle stehen füreinander ein, das ist neu.
Doch reicht das für einen Systemwechsel?
In den Köpfen hat sich die Revolution längst abgespielt. Es gibt kein Zurück mehr. Ich muss kurz ausholen.
Ja, bitte.
Das war ein Prozess. 2009 hofften die Menschen, dass sie innerhalb der Islamischen Republik eine Demokratie schaffen könnten. Das Terrorregime hat diese Hoffnung brutal zerschlagen. Die Menschen haben daraus gelernt: Dieses System lässt sich nicht reformieren. Sie sind auf Umsturz aus.
Protestforscherin Jamila Raqib gab sich im Onlinemagazin «Republik» skeptisch: Noch fehlten der Bewegung Strukturen, die es für einen demokratischen Übergang brauche. Wie gross ist die Gefahr, dass es am Ende wird wie Ende der 70er, als nach der Absetzung des Schahs die Mullahs übernahmen?
Wir leben heute in einer komplett anderen Welt. Die sechs Millionen Exil-Iraner gab es nicht. Die globalisierte Vernetzung ist eine starke neue Kraft. Und der Protest ist jetzt viel breiter als damals.
Der Arabische Frühling startete vor über zehn Jahren unter ähnlichen Bedingungen – und scheiterte.
Der Iran ist anders als seine arabischen Nachbarländer. Im Iran verstehen sich gemäss einer Studie von 2020 nur noch vierzig Prozent als Muslime. Das Land ist nicht religiös. Wir haben eine lange Tradition von Frauenemanzipation. Meine Grossmutter trug in den 20ern übrigens kurze Haare und sicher kein Kopftuch. Der Hijab gehört nicht zur iranischen Kultur, er ist mit viel Gewalt durch das Regime eingeführt worden.
Sie fordern, dass man die Iranerinnen und Iraner unterstützt, haben einen offenen Brief an den Bundesrat mitinitiiert: Die Schweiz soll das Mullah-Regime zum Terrorregime erklären, Sanktionen von Uno und EU übernehmen, Einreisesperren verhängen, Geld einfrieren ... Würde dies das Regime beeindrucken?
Das ist der falsche Blick. Adressat der Sanktionen sind die Menschen auf der Strasse. Die Schweiz hat als Land ein enorm grosses Gewicht für Iraner und Iranerinnen. Es gibt viele, die in der Schweiz studiert haben. Aktivisten dort sagen, sie wollen eine Demokratie und Freiheit wie wir in der Schweiz. Ihnen könnte man mit Sanktionen jetzt zeigen: Wir stehen hinter euch. Ohne verklausulierte Worte.
Sind Sanktionen allein das richtige Mittel? Bislang war der Westen damit in Bezug auf den Iran wenig erfolgreich.
Massnahmen, die führende Köpfe treffen, bringen viel. Die Schweiz könnte eine Taskforce einsetzen, die überprüft, welche Gelder das Land verlassen, welche in die Schweiz kommen. Und wie man diese konfiszieren könnte. Das ist ein erster Schritt. Der nächste: Die Schweiz könnte eine Wiederaufbaukonferenz wie jene für die Ukraine organisieren.
Vor allem die Bürgerlichen sorgen sich, dass die Schweiz ihre Vermittlerrolle mit zu viel Engagement aufs Spiel setzt. Sie vertritt die Interessen der USA im Iran. Und sie nimmt jene des Irans in Ägypten, Saudi-Arabien und Kanada wahr.
Mit wem denn vermitteln? Die Tage dieses Regimes sind gezählt.
Mit Ihrem Engagement exponieren Sie sich. Machen Sie sich Sorgen um Ihre Sicherheit?
Ich kann darauf nur allgemein antworten. Das islamische Regime signalisiert allen Exil-Iranern: Glaubt nicht, dass ihr sicher seid, wir kommen überall hin. Alles, was Iraner im Ausland sagen und tun, wird seit Jahren kritisch beobachtet. Sie werden fichiert. Das passiert auch hier in der Schweiz. Deshalb ist man vorsichtig. Und deshalb gehen die Proteste im Iran auch uns hierzulande alle etwas an.
Sie kämpfen nicht nur für den Iran, sondern auch Historiker an der Universität Zürich. Passen Wissenschaft und Aktivismus zusammen?
Ich bin nicht 24 Stunden pro Tag Wissenschaftler. Ich bin auch Familienvater, Vereinsmitglied und Bürger dieses Landes. Als solcher habe ich eine Verantwortung, mich politisch einzubringen.
Die Frage stellt sich, weil eine Lausanner Professorin kürzlich ihre Hand auf einer Strasse festklebte, um so auf den Klimanotstand aufmerksam zu machen.
Damit habe ich nichts zu tun. Aber es ist doch so: Wenn sich alle, die einen wissenschaftlichen Beruf ausüben, nicht mehr politisch einbringen könnten, hätten wir ein Problem.