Ahmad Mansour, wer den Islam kritisiert, gerät heutzutage schnell selber ins Kreuzfeuer der Kritik. Sie tun es trotzdem. Wieso?
Ahmad Mansour: Weil ich es undemokratisch finde, Dinge zu ignorieren. Die Demokratie sollte in der Lage sein, schwierige Themen zu behandeln.
Ihr Buch richtet sich hauptsächlich gegen den politischen Islam. Wie definieren Sie diesen?
Es geht nicht um den Islam oder die Muslime, sondern um eine im Vergleich kleine Gruppe islamistischer Muslime mit einer klaren Ideologie. Sie nutzt die Demokratie bewusst aus, um undemokratische Wertesysteme zu etablieren. Mit dem langfristigen Ziel, die Gesellschaft zu unterwandern. Als Demokratie müssen wir den politischen Islam bekämpfen.
Sie sind selber Muslim. Was bedeutet Ihnen der Glaube?
Viele Leute wollen hören, dass ich kein Muslim mehr bin, weil sie mich dann besser einordnen könnten. Aber ich brauche die Religion in meinem Leben. Sie gibt mir die Kraft, meinen Mitmenschen und meiner Familie das Beste zu geben, das ich habe. Meine Mutter ist alt und krank geworden. Sie braucht den Glauben, um diese Lebensphase zu überstehen. Religion kann für manche Menschen ein unheimlich wertvoller Schatz sein. Den will ich ihnen auf keinen Fall wegnehmen.
Ahmad Mansour (46) ist ein deutsch-israelischer Islamismus-Experte, Psychologe und Autor. Am 28. September erscheint sein neues Buch «Operation Allah: Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will».
Ahmad Mansour (46) ist ein deutsch-israelischer Islamismus-Experte, Psychologe und Autor. Am 28. September erscheint sein neues Buch «Operation Allah: Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will».
Sie sagen also: Wir sollen den politischen Islam kritisieren, ohne den Islam generell zu kritisieren.
Nein, wir sollten Religionen an sich durchaus auch kritisieren. Am traditionell-konservativen Islam stört mich zum Beispiel, dass er den Menschen sehr wenig Freiheit lässt, ihn selber zu gestalten. Was man hingegen nicht tun sollte, ist, Muslime allgemein als homogene, negative Gruppe einzuteilen. Oder anzufangen, alle unter Generalverdacht zu stellen. Das ist die rote Linie, die eine Demokratie erkennen sollte.
In «Operation Allah» schreiben Sie, dass der politische Islam oft nur schwer zu erkennen ist.
Natürlich, er ist schliesslich keine Organisation, die überall in Europa offizielle Büros hat. Er ist eine Ideologie, die unsichtbar bleiben will. Die mit Demokratie und Menschenrechten argumentiert, um sich besser etablieren zu können. Doch es gibt eindeutige Signale, die uns alarmieren sollten.
Die wären?
Wenn wir merken, dass es eigentlich nicht in Richtung Demokratie und Mitgestaltung geht. Wenn die Vielfalt nur fadenscheinig akzeptiert wird, wenn zum Beispiel Kopftuchpflicht herrscht oder Probleme innerhalb der muslimischen Gesellschaft unkritisch betrachtet werden.
Als Jugendlicher wurden Sie in der Muslimbruderschaft selbst radikalisiert. Wie haben Sie es geschafft, sich zu distanzieren?
Das war ein jahrelanger Prozess. Mit der Zeit fiel mir die Doppelmoral auf. Mein Imam predigte Moral und Gerechtigkeit, unterdrückte aber gleichzeitig die Frauen seiner Familie. Irgendwann merkte ich, dass ich nicht mehr mündig denken konnte. Dass ich etwas folgte, das mir vorschrieb, was ich tun und fühlen sollte, mit wem ich befreundet sein durfte.
Wie schwierig war der Ausstieg?
So schwierig wie man das von Sekten kennt: verbunden mit grossem Druck, Angst und Einsamkeit.
Ist das der Grund, weshalb Sie seit 2015 unter Begleitschutz stehen?
Ja. Dadurch, dass wir Islamkritiker von der Muslimbruderschaft, von Akteuren des politischen Islams und mit freundlicher Unterstützung so mancher naiver Linken als ungläubige Islamhasser dargestellt, diffamiert und teilweise entmenschlicht werden, stehen wir auf der Abschussliste der politischen islamistischen Spinner, zum Beispiel aus dem IS oder der Al Kaida.
Während wir sprechen, gehen im Iran Tausende Menschen auf die Strasse. Grund für ihre Wut: der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini, die von der iranischen Sittenpolizei festgenommen wurde. Weil sie angeblich den Hidschab nicht korrekt getragen hat.
Es ist schon absurd. Dort verbrennen Frauen ihr Kopftuch, weil sie diesen Zwang ablehnen. Hier feiern Feministinnen und Feministen das Kopftuch als Symbol der Religionsfreiheit.
In der Schweiz war das letztes Jahr ein grosses Thema, als wir über das Verhüllungsverbot abgestimmt haben.
Ich erinnere mich. Es ging um Burka und Nikab. Doch auch das Kopftuch ist und bleibt ein Instrument der Unterdrückung der weiblichen Sexualität und der Kontrolle über die Frau. Ein antifeministisches Symbol.
Doch ist das Egerkinger Komitee, das die Initiative ins Leben gerufen hat, nicht gerade für den Kampf für Frauenrechte bekannt. Der ausschliesslich männliche und SVP-nahe Verein steht dem Islam generell äusserst kritisch gegenüber.
Absolut. Islamfeindlichkeit ist nach wie vor ein grosses Problem. Aber ich frage mich, weshalb linke, sozialdemokratische, liberale und Mitte-Parteien nicht in der Lage waren, die Diskussion zuzulassen und das Thema ebenfalls aufzugreifen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass rechtspopulistische Parteien das Schlimmste waren, das Ihrer Arbeit passieren konnte. Wie meinen Sie das?
Weil sie genau solche Themen besetzen, die eigentlich fundamental demokratisch behandelt werden sollten. Doch handeln sie nicht im Sinn der Demokratie, sondern wollen durch Hass, Fremdenfeindlichkeit und Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Religiosität Kapital schlagen. Und da mache ich nicht mit. Diese Parteien sind Teil des Problems. Aber wo sind die anderen? Die Lösung wäre, dass sich alle mit diesen Themen beschäftigen.
Sie schlagen unter anderem eine Moscheesteuer vor, bei der die Gläubigen – wie bei der Kirchensteuer – die Organisation finanzieren. Was würde das ändern?
Um den politischen Islam zu bekämpfen, brauchen wir einen liberalen, europäischen Islam. Dafür müssen wir unter anderem von arabischen Ländern und der Türkei unabhängig werden, die unsere Moscheen und Imame finanzieren.
Wieso ist es schwierig, über den Islam zu sprechen?
Wir haben verlernt, komplexe Themen differenziert zu betrachten. Aber wir können nicht einfach für oder gegen den Islam sein – das ist viel zu einfach gedacht.
Ihre siebenjährige Tochter wächst christlich und muslimisch auf. Was wünschen Sie sich für ihre Zukunft?
Dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Und dass sie Religionen eines Tages wertneutral hinterfragt.