In Lauterbrunnen BE trifft sich die Gemeinde, um über Massnahmen angesichts der vielen Touristen zu diskutieren. Das Phänomen des Overtourism, also die Überbeanspruchung von Reisezielen durch Touristen, ist in der Schweiz nach der vorübergehenden Corona-Ruhe wieder voll da.
Das lässt Touristiker André Lüthi (62), CEO der Globetrotter Group mit Sitz in Bern, keine Ruhe. Er fordert deutliche Massnahmen.
Blick: Herr Lüthi, immer mehr Orte wehren sich gegen die Touristenmassen – auch in der Schweiz. Zerstört sich die Tourismusindustrie gerade selber?
André Lüthi: Das kann man so nicht sagen. Die Tourismusindustrie ist sich ihrer Verantwortung bewusst und unternimmt viele Anstrengungen, damit sie weder für Einheimische noch für die Umwelt zur Belastung wird. Dazu kommt, dass sie weltweit Millionen Arbeitsplätze schafft und Wertschöpfung generiert.
Gewiss, aber manche Orte sind nicht mehr in der Lage, vom Tourismus zu profitieren. Sie leiden daran.
Das ist effektiv so. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür. Die Bekanntesten sind Venedig, Dubrovnik, Barcelona oder auch Angkor Wat in Kambodscha oder der Taj Mahal in Indien. In der Schweiz wird es an gewissen Orten auch prekär, wie nun eben in Lauterbrunnen. Das hat nicht nur mit mehr touristischen Angeboten zu tun – es gibt immer mehr Menschen und immer mehr von ihnen können auch Reisen unternehmen.
Das führt dann zu Situationen, die für Touristen wie auch für Einheimische frustrierend sind. Warteschlangen bei Sehenswürdigkeiten und im Restaurant, prekäre WC-Situationen, Abfallprobleme. Da ist klar: Es braucht Massnahmen.
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Was ist Ihr Vorschlag?
Es braucht Lenkung. An beliebten Orten wird es ohne Tages-Kontingentierung nicht mehr gehen. Das sieht man in Venedig, das bald Eintrittsgebühren verlangt und die Besucher beschränken will. Darüber diskutiert aber auch Lauterbrunnen. Sehenswürdigkeiten müssen wie Fussballspiele oder Konzerte funktionieren: mit einer maximal möglichen Anzahl Besucher pro Anlass oder Tag. Im digitalen Zeitalter sollten vorgängige Reservationen kein Problem mehr sein.
Das lässt sich für Städte doch nicht umsetzen.
Da ist es effektiv schwieriger. Bei der Anreise mit Schiffen oder Bussen würden sich Beschränkungen relativ leicht umsetzen lassen, indem Abstellplätze limitiert werden. Die Bergbahnen könnten beispielsweise Obergrenzen festlegen. Viele Städte wehren sich, indem sie auch die temporäre Untervermietung von Wohnraum, wie ihn Airbnb anbietet, regulieren. Letztlich müssen alle für sich passende Lösungen finden. Da braucht es auch Mut von politischer Seite.
Der Chef der Globetrotter Group hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. André Lüthi ist ursprünglich gelernter Bäcker/Konditor. Doch nach der Lehre zog es den Berner in die Ferne. Danach schaffte er den Einstieg in die Reisebranche, stieg vom Sachbearbeiter zum Mitbesitzer und Präsidenten von Globetrotter auf, dem grössten unabhängigen Reiseanbieter in der Schweiz. Lüthi war über 45-mal im Himalaja, mit dem Kanu in Alaska und auf diversen Berggipfeln in Russland und Südamerika. Lüthi ist im Vorstand des Schweizerischen Reiseverbands und vertrat während Corona die Interessen der Branche gegenüber Bundesrat und Gesellschaft.
Der Chef der Globetrotter Group hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. André Lüthi ist ursprünglich gelernter Bäcker/Konditor. Doch nach der Lehre zog es den Berner in die Ferne. Danach schaffte er den Einstieg in die Reisebranche, stieg vom Sachbearbeiter zum Mitbesitzer und Präsidenten von Globetrotter auf, dem grössten unabhängigen Reiseanbieter in der Schweiz. Lüthi war über 45-mal im Himalaja, mit dem Kanu in Alaska und auf diversen Berggipfeln in Russland und Südamerika. Lüthi ist im Vorstand des Schweizerischen Reiseverbands und vertrat während Corona die Interessen der Branche gegenüber Bundesrat und Gesellschaft.
Finden Sie es nicht seltsam, dass Sie als Touristiker eine Einschränkung des Tourismus fordern?
Wir sprechen hier nicht von Verboten. Es geht darum, Obergrenzen zu setzen, mit denen allen – sowohl Reisenden als auch Einheimischen – gedient ist. Ich würde mir auch ein Umdenken bei den Reisenden wünschen: etwas mehr abseits der Hotspots ein Land und seine Kultur kennenlernen. Das würde dem eigenen «Reisebefinden» wieder mehr Qualität verleihen.
Viele wollen aber günstig für 2 bis 3 Tage nach Mallorca oder sonst wohin reisen. Das bleibt.
Ja, das verstehe ich auch. Mir geht es nur darum, dass der Tourismus, gemeinsam mit Politik und Behörden, Wege findet, damit für die Einheimischen, die Reisenden und die Natur wieder eine gesunde Balance gefunden wird.