Die Aufarbeitung des CS-Falls läuft. Der Bericht des Bundesrats kommt im Frühjahr, der PUK-Bericht Ende Jahr. Dauert das alles nicht viel zu lange?
Die Finma hat inzwischen ihre Interpretation der Ereignisse in einem Bericht publik gemacht. Der Bericht des Bundesrates wird hoffentlich einen konkreten Marschplan für die gesetzgeberischen Reformen vorgeben. Und der PUK-Bericht wird uns hoffentlich darlegen, ob unsere Behörden rechtmässig und effektiv gehandelt haben, so dass wir daraus etwas lernen können. Und Sie haben recht: Es dauert zu lange.
Gemäss Einschätzung des Finanzstabilitätsrats (FSB) wäre eine geordnete Abwicklung der CS möglich gewesen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Im Grossen und Ganzen schon. Ausführungsrisiken gibt es bei einer Operation, die so komplex ist, immer. Viele Entscheidungsträger und Behörden sind betroffen, mit unterschiedlichen Aufgaben und Interessen. Rechtssysteme verschiedener Länder sind involviert. Politische Risiken spielen ebenfalls eine Rolle. So etwas ist kein Spaziergang. Aber das FSB und alle Behörden, die dort mitmachen, haben in den letzten fünfzehn Jahren daran gearbeitet, die Abwicklung einer global systemrelevanten Bank zu ermöglichen. Einer der wichtigsten Bausteine darin sind die Bail-in-Anleihen.
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Bail-in-Anleihen sind die nach der Finanzkrise geschaffenen Spezialanleihen, die im Krisenfall in Eigenkapital gewandelt werden. Warum sind sie so wichtig?
Sie können sich das wie einen Reservetank beim Motorrad vorstellen: Wenn der Sprit zur Neige geht, können Sie auf den Reservetank umschalten und zur nächsten Garage fahren, um aufzutanken. So ähnlich funktionieren die Bail-in-Anleihen. Das Benzin ist ihr Eigenkapital und die Bail-in-Anleihen sind der Reservetank. Das Auftanken schliesslich ist die Sanierung und Rekapitalisierung danach.
Und damit hätte auch die CS weiterfahren können?
Die Bail-in-Anleihen verleihen der leckgeschlagenen Bank viel Kapital, das sie in der Sanierung «verbrennen» kann. Bei der CS wären es 57 Milliarden Franken gewesen. Das hätte funktionieren können. Alle Experten, mit denen ich gesprochen habe und die nahe an den Vorbereitungen waren, haben bestätigt, dass die Abwicklung der CS sehr gut vorbereitet war.
Sind die AT-1-Anleihen, die die Finma im Fall der CS abgeschrieben hat, nicht auch Bail-in-Instrumente?
AT1-Anleihen haben einen ähnlichen Zweck wie Bail-in-Anleihen, aber kommen vor der Eröffnung der Abwicklung zum Tragen.
Weshalb entschied man sich doch für die Übernahme-Lösung?
Sie war einfacher. Anstatt, dass die Finma die Sanierung durchführte, hat die UBS diese Aufgabe übernommen. Ohne den Bail-in aller Gläubiger waren auch die rechtlichen Herausforderungen geringer. Ich hätte die Abwicklung aber bevorzugt, weil die Übernahme wesentliche Schönheitsfehler hat.
Die wären?
Erstens ist es problematisch, dass die Bail-in-Obligationäre keinen Beitrag geleistet haben. Sie sollten die Kosten der Sanierung tragen, weshalb sie auch jahrelang einen hohen Coupon erhalten. Die Tatsache, dass die Bail-in-Anleihen nicht benutzt worden sind, reduziert heute deren Glaubwürdigkeit als verlustabsorbierendes Instrument. Manche Experten sprechen bereits von «too big to bail-in». Zweitens haben wir in der Schweiz nur noch eine globale systemrelevante Bank. Das wird die Aufgabe der Finma in Zukunft erschweren. Bei diesem zweiten Punkt muss man allerdings sehen, dass auch eine Abwicklung der CS mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Verkauf der Bank an einen Wettbewerber geendet hätte. Dann wäre das Ergebnis am Ende gleich gewesen.
Wo sehen Sie nun am meisten Reformbedarf im Hinblick auf die UBS?
Wir müssen alles daransetzen, dass die UBS, wenn es notwendig werden sollte, tatsächlich abgewickelt werden kann. Das setzt viel internationale Kooperation voraus. Es setzt ebenfalls voraus, dass die Entscheidungsträger von Finma, SNB und EFD jederzeit mit einer solchen Entscheidung umgehen können, weil sie das Szenario oft geübt haben.
Was muss sich konkret in der Aufsicht ändern?
Die Finma braucht einige neue Instrumente. Sie sollte das Recht erhalten, die Öffentlichkeit über laufende Enforcement-Verfahren zu informieren. Das hätte eine prophylaktische Wirkung, ist ihr aber aufgrund von Artikel 22 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes nur in Ausnahmefällen erlaubt. Zweitens sollte die Verfahrensdauer der Rekurse gegen Finma-Verfügungen verkleinert werden. Das kann mit der Einführung eines Summarverfahrens, einer Verkürzung der Fristen und einer Reduktion des Instanzenzuges erreicht werden.
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Wie kann man Banker dazu bringen, dass sie nicht aus Eigennutz hohe Risiken eingehen, weil sie bei Gewinn einen Bonus kriegen, bei Bankrott aber nicht persönlich zur Kasse gebeten werden?
Das sogenannte «Senior Managers Regime» kann hier helfen. Die Verantwortlichkeit für ein Geschäftsfeld wird vorher bestimmt, und wenn etwas in diesem Bereich nicht funktioniert, ist der vorbestimmte Senior Manager verantwortlich, auch wenn ihn oder sie persönlich keine Schuld trifft. Das vereinfacht die Sanktionierung. Der Ende Februar erschienene Bericht des FSB über die Schweiz stützt diese Massnahmen.
Wie realistisch ist es, dass solche Vorschläge umgesetzt werden?
Diese Reformen sind im Parlament angestossen, aber der Gesetzgebungsprozess benötigt Zeit. Ich hoffe, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den nächsten Jahren, wenn die Gesetzesrevisionen verabschiedet werden, nicht vergessen haben, weshalb diese Kompetenzen notwendig sind.
Was kann die Finma tun, ohne auf neue Gesetze zu warten?
Sie sollte klärend wirken, wenn wie bei der CS eine grosse Unsicherheit des Marktes über die Qualität des Kapitals besteht, und eventuell vorhandene Erleichterungen und Übergangsregelungen transparent und offensiv kommunizieren, so dass sie alle verstehen. Solange die Reformen nicht verabschiedet sind, wird sie aber vor allem für die Anliegen der Finanzstabilität in der Politik und in der Öffentlichkeit kämpfen müssen.
Was muss vorbereitet werden, damit die Behörden früh eingreifen können, wenn die UBS in ähnliche Probleme gerät wie damals die CS?
Viele Markteilnehmer hatten den Niedergang der CS schon länger kommen sehen, während die regulatorischen Kennzahlen das Problem weit weniger klar signalisierten. Es sollten Wege gefunden werden, wie die Finma Marktsignale direkter als Entscheidungsgrundlage für Eingriffe verwenden kann. Das darf allerdings nicht automatisch und mechanisch erfolgen. Ausserdem muss die Aufsichtsbehörde genügend Ressourcen haben, um die UBS und die anderen systemrelevanten Banken sehr intensiv zu begleiten. Sie benötigt mehr, als sie heute zur Verfügung hat. Das gleiche gilt für das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF). Das ist der Regulator, welcher für die Rechtsentwicklung verantwortlich ist.
Braucht die UBS nicht einfach viel mehr Eigenkapital?
Mehr Eigenkapital macht jede Unternehmung sicherer, und Bankenkrisen haben ohne Zweifel volkswirtschaftliche Kosten. Es stimmt auch, dass die Banken heute nicht sehr viel Eigenkapital haben müssen, und eine international koordinierte Erhöhung, insbesondere für grosse Banken, scheint wünschenswert. Die Umsetzung von «Basel III final» geht in diese Richtung. Was die Verfechter höherer Eigenkapitalquoten aber ausblenden ist, dass Kapital nicht unerschöpflich ist. Kapital wird letztlich aus Ersparnissen, also Konsumverzicht, gespiesen. Wenn eine Grossbank 100 Milliarden Franken mehr Eigenkapital hält, dann haben alle anderen Firmen zusammen 100 Milliarden weniger. Das verursacht auch volkswirtschaftliche Kosten.
Ausserdem war auch die Credit Suisse relativ gut kapitalisiert und es hat nicht geholfen.
Richtig. Der CS-Fall gibt genau keinen Anlass dazu, mehr Eigenkapital zu verlangen. Sie ist nicht am mangelnden Eigenkapital gescheitert, sondern daran, dass ihre Kunden sie verlassen haben. Hätte sie mehr Eigenkapital gehabt, hätte das kaum etwas Fundamentales geändert. Sie hätte vielleicht ein Jahr weitergewurstelt und wäre dann kollabiert.
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Und wie lässt sich ein Bank-Run verhindern? Will man das gar nicht, weil man damit die Banker zu riskantem Verhalten incentiviert?
Ein Bankansturm ist eine Abstimmung mit den Füssen, bei der die Kunden ihr Unbehagen mit ihrer Bank zum Ausdruck bringen. Banken sollten immer Respekt davor haben; das hält sie im Zaum. Man kann einen Bankansturm im Prinzip verhindern, indem man den Kunden den Anreiz nimmt, eine unsichere Bank überstürzt zu verlassen, indem man den Einlegern eine Versicherung für Ausfälle gibt. Das ist die Idee der Einlagensicherung. Eine mässige Einlagensicherung ist sinnvoll, weil Kunden mit vergleichsweise kleinen Einlagen sich dann nicht um die Qualität ihrer Bank kümmern müssen. Aber die grösseren Einleger sollten mit der Drohung eines Bankensturms den Banken einen starken Anreiz geben, sorgfältig zu geschäften. Eine zu grosszügige Einlagensicherung zerstört diesen Mechanismus und kann das Bankensystem weniger sicher machen.
Muss man sich nicht schlicht drauf einstellen, dass bei einem Bank-Run auf die UBS, der Staat einspringen und die Bank retten wird?
Der Staat wird in diesem Fall mit Sicherheit in einer gewissen Weise involviert sein. Die Frage ist, wie. Eine minimale Hilfe ist die Bereitstellung von Liquidität, zumindest solange die Bank solvent ist. Das ist eine der grundlegenden Aufgaben der Notenbank. Diese Form von Notliquidität ist an sich nicht problematisch. Schwieriger wird es, wenn der Staat Solvenzrisiken übernimmt. Dann sind wir nahe an einem Bail-Out. Der Steuerzahler steht dann für Verluste einer privaten Bank gerade. Das hat man damals bei der globalen Finanzkrise mit der UBS gemacht. Das Too-big-to-fail-Regime wurde geschaffen, um das so weit wie möglich zu vermeiden. Deshalb war ich auch so überrascht, dass von so vielen Seiten der Vorschlag vorgebracht wurde, der Bund hätte die CS lieber verstaatlichen sollen. Die Menschen scheinen ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben.
Sind institutionelle Reformen nötig, etwa die Führung der Finma und der SNB unter einem Dach?
Ich glaube, die Trennung von Geldpolitik und Finanzmarktaufsicht ist sehr sinnvoll. Die Finma ist letztlich nur bezüglich der Liquiditätsversorgung im Notfall auf die SNB angewiesen. Eine engere Zusammenarbeit zwischen SNB und der Resolution-Abteilung der FINMA, welche für die Abwicklung zuständig ist, kann ich mir vorstellen. Grossbritannien hat die Bankenaufsicht und die Notenbank tatsächlich zusammengeführt, aber sie haben innerhalb der vereinten Institution «chinesische Mauern» aufgebaut, um die Bereiche wieder voneinander zu trennen. Sie kommen nur an der Spitze zusammen.
Was spricht gegen eine Zusammenführung?
Die Finma hat viele Aufgaben. Sie beaufsichtigt nicht nur Banken, sondern auch Versicherungen, Vermögensverwalter, kümmert sich um Geldwäschereibekämpfung etc. Es macht wenig Sinn, alle diese Bereiche mit der Notenbank zu verschmelzen. Zur Rolle des SNB heisst es im Nationalbankgesetz etwas diffus, dass «sie zur Stabilität des Finanzsystems beiträgt». Man sollte das konkretisieren und sagen, dass die SNB die Liquidität im Notfall bereitstellt. Eine Zusammenführung von SNB und Finma wäre auch für die Unabhängigkeit der SNB eher gefährlich. Die Entscheidungen der Finma werden heute ständig vor Gericht angefochten. Das ist heute bei der SNB nicht der Fall.
Und was ist die Rolle des Finanzdepartements?
Das Finanzdepartement muss immer involviert sein. Erstens ist das notwendig, wenn man tatsächlich nicht ohne Übertragung finanzieller Risiken auf den Staat auskommt wie beispielsweise im Rahmen einer staatlichen Liquiditätssicherung, Public Liquidity Backstop genannt. Zweitens ist die Abwicklung einer systemrelevanten Bank von derart grossem öffentlichen Interesse, dass das faktisch immer auch einen politischen Aspekt hat. Man kann das letztlich nicht ganz einer technokratischen Behörde überlassen.