Müssen autofahrende Besucher von Lauterbrunnen BE bald eine Gebühr für den Zugang zum Ferienörtchen bezahlen? Die Gemeinde im Berner Oberland macht Ernst bei der Umsetzung ihrer Pläne, mit denen sie gegen die Auswüchse des Tourismus ankämpfen will.
Das hat Signalwirkung. «Immer mehr Schweizer Orte müssen sich überlegen, wie sie den Tourismus für Reisende wie auch für Einheimische künftig verträglich gestalten können», sagt Tourismusprofessor Jürg Stettler (59) von der Hochschule Luzern.
Die Weltorganisation für Tourismus (WTO) rechnet in den kommenden zehn Jahren mit einer Verdopplung der weltweiten Touristenankünfte. Grösster Wachstumstreiber sind asiatische Staaten. Und viele Asiaten lieben die Schweiz.
Beschränken? Weiter wachsen? Nichts tun?
Die Massnahmen in Lauterbrunnen empfindet Stettler als sinnvoll – «ob sie erfolgreich sein werden, steht auf einem anderen Blatt». Immerhin sei die Massnahme breit abgestützt, im Gegensatz zu anderen Orten, wo Uneinigkeit über allfällige Massnahmen herrscht.
Im appenzellischen Alpstein beispielsweise sind trotz vieler Diskussionen keine Beschränkungen vorgesehen. Luzern versucht seit langem, mit einer Regulierung der Reisebus-Standorte den ausufernden Gruppentourismus beim Schwanenplatz einzudämmen – tut sich aber mit der Umsetzung schwer.
Deshalb sind konkrete Beispiele gefragt. Die Welt blickt aktuell nach Venedig, das vom 11. Mai bis 14. Juli an 29 Testtagen eine Zugangsgebühr testet. Das bringt Geld, aber auch administrativen Aufwand und ist bei Einheimischen nicht unumstritten. Trotzdem glaubt Stettler: «Wenn das klappt, wird dieses Modell bald anderswo umgesetzt, wo der touristische Leidensdruck hoch ist.»
Touristiker fordert Beschränkungen
Globetrotter-Chef André Lüthi (63) fordert Obergrenzen: «Ist an Hotspots eine maximale Kapazität erreicht, muss man den Zugang beschränken, wie bei einem Konzert oder Fussballspiel.»
Beim Blausee BE, wo Lüthi Mitbesitzer der AG ist, hat er ein eigenes Beispiel: «Wir steuern die Besucherzahlen mit einer Limitierung der Parkplätze.»
Ohne Limitierungen gehe es künftig schlicht nicht mehr. Athen hat ein Zeitfenstersystem für den Besuch der Akropolis eingeführt, Marseille ein Reservierungssystem für den Sommerzugang zu den Calanques-Buchten, die peruanische Inkastadt Machu Picchu eine Besucher-Obergrenze pro Tag.
Der Vorteil: Keine Übernutzung. Zufriedene Einheimische und Reisende, «die nicht im Gänsemarsch an der Sehenswürdigkeit vorbei gepfercht werden», so Lüthi.
Reglementierungen bereits in Kraft
Es muss nicht immer so radikal sein. Genau genommen gibt es schon seit Jahren an zahllosen Schweizer Orten Lenkungsmassnahmen.
Die Jungfraubahnen setzen beispielsweise schon länger auf eine Sitzplatzreservation für die Fahrt aufs Jungfraujoch. «So haben nebst Gruppen auch Individualreisende einen Sitzplatz auf sicher», sagt CEO Urs Kessler (62).
Meist werden Autofahrer und Hotelgäste geschröpft. Im Berner Seitental Rosenlaui beispielsweise wird mittels Parkplatzbewirtschaftung die Instandhaltung der Tourismus-Infrastruktur finanziert. Andernorts erfolgt dies über Touristen- oder Bettensteuern.
Paris hat seine Bettensteuer kürzlich verdreifacht. In Amsterdam sind bereits 12.50 Euro pro Nacht als Touristensteuer fällig – Europarekord! Das verringert die Besucherzahl nur gering, schafft aber Mittel für eine bessere Steuerung der Besuchermassen. Stettler: «Auch bei uns werden touristische Hochburgen nicht um unpopuläre Massnahmen herumkommen.»