Die Hand schiesst vor, ein kräftiger Druck: «Hallo, ich bin der Torsten!» So empfängt Lidl Schweiz Chef Torsten Friedrich (45) die Gäste am Hauptsitz in Weinfelden TG. Mitten in der Pandemie übernahm der Deutsche den Spitzenposten beim Discounter. Jetzt ist er bereit, in seinem ersten Interview offen über sich, seine Familie und Expansionspläne für die Schweiz zu sprechen. Das ist ungewöhnlich, denn im deutschen Discount-Imperium gilt Verschwiegenheit als Tugend.
Blick: Herr Friedrich, Sie treten betont locker auf, packen im Lager mit an. Was wollen Sie damit zeigen?
Torsten Friedrich: Ich bin kein Typ, der sich über andere stellt. Ganz im Gegenteil, finde ich es sehr schön, ein Teil des grossen Ganzen zu sein und nichts Besonderes. Wir sind ein eingespieltes Team hier in der Schweiz, kommunizieren auf Augenhöhe, das liegt mir. Ich bin ein «Chef zum Anfassen».
Die Schweizer gelten als reserviert. Wie sind Sie mit Ihrer direkten Art in der Schweiz aufgenommen worden?
Da gab es keine Schwierigkeiten, weder in der Firma noch im Privaten. Ich bin direkt, aber auch ein guter Beobachter und höre erst einmal zu, wenn ich irgendwo ankomme. Die zurückhaltende Art der Schweizerinnen und Schweizer habe ich persönlich nicht erlebt.
Was landet nun in Ihrem Einkaufskorb?
Lokale Produkte kleinerer Schweizer Käse- oder Charcuterie-Lieferanten finde ich super. Darum bauen wir auch unsere Linie «klein aber fein» weiter aus. Gute Ernährung ist mir wichtig, ich kaufe bewusst ein und verzichte meistens auf Ungesundes.
Können Sie am Wochenende abschalten, um Zeit mit der Familie und Buddy, einem Boston Terrier, zu verbringen?
Man ist nicht gefeit davor, hin und wieder auf das Handy zu schauen. Aber alles im erträglichen Mass. Die Wochenenden gehören jedenfalls der Familie, die in den nächsten Wochen lang erwartet endlich zu mir in die Schweiz nachzieht. Die Kinder waren auch bereits probehalber hier in der Schule, sie sind schon ganz vernarrt in die Lehrpersonen.
Seit 1. November 2020 ist Torsten Friedrich (45) Chef von Lidl Schweiz. Der Discounter beschäftigt heute 4500 Personen und betreibt 161 Filialen schweizweit. Der Markteintritt ins Land erfolgte im März 2009. Der gebürtige Leipziger ist seit 20 Jahren bei Lidl tätig. Zuletzt als Vize-Länderchef Österreich und in führenden Positionen bei Lidl International und in Deutschland. Friedrich ist verheiratet und Vater zweier Töchter (8 und 12). Die Familie lebt am Bodensee im Kanton Thurgau. Sein neustes Hobby ist Stand-up-Paddel-Fahren, daneben zieht es ihn für ausgiebigen Wandertouren immer wieder in die Schweizer Alpen.
Seit 1. November 2020 ist Torsten Friedrich (45) Chef von Lidl Schweiz. Der Discounter beschäftigt heute 4500 Personen und betreibt 161 Filialen schweizweit. Der Markteintritt ins Land erfolgte im März 2009. Der gebürtige Leipziger ist seit 20 Jahren bei Lidl tätig. Zuletzt als Vize-Länderchef Österreich und in führenden Positionen bei Lidl International und in Deutschland. Friedrich ist verheiratet und Vater zweier Töchter (8 und 12). Die Familie lebt am Bodensee im Kanton Thurgau. Sein neustes Hobby ist Stand-up-Paddel-Fahren, daneben zieht es ihn für ausgiebigen Wandertouren immer wieder in die Schweizer Alpen.
Ihre Kinder gehen bald im Thurgau zur Schule. Warum haben Sie ein Chinderhuus auf dem Firmengelände finanziert?
Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber. Eben haben wir intern bekannt gemacht, dass alle in der Verwaltung, die das können und wollen, auf Vertrauensbasis zu 100 Prozent im Homeoffice arbeiten dürfen. Wir zahlen Frauen und Männern die gleichen Löhne. Dazu gehört nun auch, dass wir ab 1. Juni eine Kindertagesstätte anbieten. Wir haben hierfür 450'000 Franken investiert und sehen das auch als Bekenntnis zum Standort Weinfelden.
Könnten da auch ukrainische Flüchtlingskinder unterkommen?
Theoretisch ja. Wir sind mit dem Kanton Thurgau im engen Austausch, bieten Hand, interessierten Ukrainerinnen und Ukrainern einen Job bei uns zu geben. Die Kindertagesstätte steht allen offen, eigene Mitarbeitende und ihr Nachwuchs haben allerdings Vorrang.
Der Krieg, aber auch chaotische Zustände in den asiatischen Containerhäfen sprengen die Lieferketten. Wie spüren Sie diese Krise?
Es ist unfassbar, dass wir in der heutigen Zeit, im Jahr 2022 so einen schlimmen Krieg erleben müssen. Das macht uns alle betroffen. Die Auswirkungen sind spürbar. Es fehlt an Verpackungsmaterial, die Einkaufspreise steigen, glücklicherweise haben wir keine Lücken in den Regalen.
Woran liegt das?
Wir haben ein gutes, internationales Netzwerk. Dies hilft uns, alle Produkte verfügbar zu halten. Allein in der Schweiz versorgen uns über 300 Lieferanten. Mit ihnen machen wir bereits die Hälfte unseres Umsatzes. Folglich sehen wir uns gut gewappnet, was immer auch kommt.
Nun rollt eine Teuerungswelle über den Detailhandel ...
Hier braut sich tatsächlich einiges zusammen. Wir sind aber sehr effizient, haben schlanke Strukturen und gönnen uns keinen aufgeblähten Apparat. Diese Kostenvorteile helfen uns, die Teuerungswelle abzufedern. Und dank unserem starken Franken haben wir keine so hohe Inflation wie in Euro-Ländern, zum Beispiel in Deutschland mit einer Teuerung von derzeit über 11 Prozent bei den Lebensmitteln.
Lohnt es sich überhaupt noch, zum Einkaufen über die Grenze zu fahren?
Für Grundnahrungsmittel, die mit einer ermässigten Mehrwertsteuer von 7 Prozent belegt sind, lohnt sich der Einkauf in Deutschland derzeit wohl kaum. Wir haben hierzulande ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, darum sollte man auch aus Bekenntnis zum eigenen Land in der Schweiz einkaufen. Das ist meine ganz persönliche Meinung.
Markenmultis wie Nestlé setzen im Handel offenbar problemlos höhere Preise durch. Können Sie dagegen halten?
Der Druck ist da. Aber wir nehmen natürlich nicht alles hin, verhandeln mit den Markenproduzenten und schauen genau, welche Preisanpassungen gerechtfertigt sind. Es wird Preissteigerungen geben. Aber wir wollen auch künftig beim Preis-Leistung-Verhältnis die Nummer 1 in der Schweiz bleiben.
Sie nehmen das Wort Discounter nicht in den Mund. Schämen Sie sich in der Schweiz dafür?
Ich schäme mich überhaupt nicht dafür. Das angestaubte Image eines deutschen Discounter haben wir vor vielen Jahren schon abgelegt. Wir haben ein modernes, freundliches Filialbild, wir werden immer regionaler und sind ein Schweizer Discounter geworden, weil wir Schweizer Kunden zugehört und uns zügig angepasst haben.
Sie räumen mit Naturschützern das Moor auf, Spenden an Pro Juventute, treten dem Verband Swisscleantech bei, entwickeln mit der Empa Öko-Schutzschichten für Obst und Gemüse, laden die Bevölkerung zum grossen Lagerverkauf an den Hauptsitz ein – was man nicht alles tut für ein gutes Image!
Sie nennen hier sehr viele Nachhaltigkeitsthemen, die bei uns schon länger laufen. Das gehört zu unserer Unternehmenskultur in der Schweiz und hat nichts mit Image zu tun. Unseren Planeten gibt es nur einmal, wir sind uns hier unserer Verantwortung bewusst. Das gilt übrigens auch für den ganzen Lidl-Konzern.
Sie vergessen, dass für viele der Preis am Schluss entscheidet. Ist ein Lidl-Warenkorb günstiger als jener von Grossverteilern, die ebenfalls Billiglinien in den Regalen haben?
Auf jeden Fall. Unsere Devise lautet: Bei uns bekommen Sie für 50 Franken den vollsten Einkaufswagen. Das ist so und wird auch so bleiben.
Die Migros-Supermärkte könnten schon bald Bier, Schnaps und Wein verkaufen. Befürchten Sie, Kunden zu verlieren?
Solche Befürchtungen habe ich nicht. Unser Fokus liegt allerdings auch auf dem Frische-Bereich, bei Obst- und Gemüse sind wir sehr stark. Wegen des Alkohols kommt der Schweizer Kunde nicht zu uns in den Laden.
Der Schweizer Detailhandel macht mit Alkoholika aber mehr Umsatz als mit Obst und Gemüse!
Bei uns ist das jedenfalls nicht so.
Über Geschäftszahlen wollen Sie nicht sprechen. Die Marktforscher von GfK berichten über zweistellige Wachstumsraten und einen Jahresumsatz von 2 bis 2,5 Milliarden Franken ...
... was so ziemlich gut zutrifft. Wir haben weiterhin ein starkes Wachstum. So viel darf ich sagen. (lacht)
Sie betreiben nun 161 Filialen in der Schweiz. Ist Ihr Expansionshunger gestillt?
Wir sehen schweizweit noch einiges Potenzial, besonders in den Städten. Auch in diesem Jahr eröffnen wir 10 bis 12 neue Filialen. Und wir sind bereit, unser Kleinstflächen-Konzept auszurollen, wenn wir geeignete Standorte mit hoher Kundenfrequenz auftun können.
Wie sehen solche Mini-Filialen aus?
Die Kleinstfilialen haben oft keine Parkplätze, haben anstatt wie üblich 1100 lediglich eine Verkaufsfläche von rund 500 Quadratmetern und Automatenkassen, sogenanntes Self-Check-out. Interessant ist das vor allem für diejenigen, die sich noch auf dem Arbeitsweg schnell mit einem Sandwich, Getränken oder anderen Produkten für den Sofortgebrauch eindecken wollen.
Über 90 bestehende Filialen haben Sie nun mit Self-Check-out ausgerüstet. Wird jetzt nicht mehr geklaut?
Bei uns jedenfalls nicht, denn wir setzen im Gegensatz zur Konkurrenz auf Ausgangstore. Diese Schranken nach dem Bezahlautomaten öffnen sich erst, wenn man den Kassenbon über einen Scanner hält. Es ist ein Hemmnis da, trotzdem aber einfach in der Handhabung.
Kundenbindung ist alles. Vor einem Jahr lancierten Sie die Lidl-Plus-App, die gezielt Rabatte verteilt. Wird das überhaupt genutzt?
Wenn ich mir die Downloads der App anschaue, definitiv ja. In den nächsten zwölf Monaten knacken wir die Grenze von einer Million registrierten Kundinnen und Kunden, die mehrheitlich aktiv und regelmässig die digitalen Kassenbons, Sammel-Aktionen und andere Inhalte nutzen.
Was fehlt, ist ein Lidl-Online-Shop für Lebensmittel. Konkurrent Aldi liefert bereits im Raum Zürich, Winterthur und St. Gallen, und das innert 24 Stunden nach Bestelleingang.
Der Online-Shop ist Teil eines internationalen Konzeptes bei Lidl. Auch der wird in einer gewissen Zeit auch in der Schweiz kommen. Wir lassen uns aber nicht unter Druck setzen.