Aldi-Suisse-Chef Jérôme Meyer über Preiserhöhungen, Lieferprobleme und den Streit um die Knospe
«Unsere Bio-Produkte sind 40 Prozent günstiger»

Aldi drängt in die Innenstädte, bezieht selbst an besten Lagen wie an der Bahnhofstrasse in Zürich Discounter-Filialen. Im Exklusiv-Interview mit Blick erläutert Länderchef Jérôme Meyer seine Expansionsstrategie und nimmt Stellung zur Preisinflation.
Publiziert: 28.02.2022 um 01:39 Uhr
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Aktualisiert: 28.02.2022 um 06:30 Uhr
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In Schwarzenbach hat Aldi Suisse seinen Schweizer Hauptsitz.
Foto: Thomas Meier
Interview: Ulrich Rotzinger, Fotos: Thomas Meier

Aldi-Suisse-Chef Jérôme Meyer (42) empfängt Blick bei bester Laune am Hauptsitz in Schwarzenbach SG. Denn in seinen Läden ist – wie in der ganzen Schweiz – jüngst die Maske gefallen. Ein Schritt, «den wir alle herbeigesehnt haben», wie Meyer sagt. «Der Krisenmodus ist zu Ende.» Doch bereits tun sich neue Fronten im Handel auf.

Blick: Die Maskenpreise fallen. Aber warum wird nun sonst alles teurer?
Jérôme Meyer:
Der Detailhandel hat mit Rohstoffpreisen, Fracht- und Energiekosten zu kämpfen, die durch die Decke gehen. Das verteuert auch die Lebensmittel.

Schrauben Sie an den Preisen im Laden?
Es ist kein Geheimnis, dass Getreide und Kaffee teurer geworden sind. Lebensmittel in diesen Bereichen könnten auch bei uns bald mehr kosten. Einzelne Produkte sind bereits teurer geworden.

Welche Produkte trifft es als Nächstes?
Risiken für Preiserhöhungen sehe ich derzeit bei Warengruppen wie Schokolade, Snacks und Mineralwasser. Dass der Grossteil unserer 1800 Produkte in den Filialen teurer wird, steht nicht im Raum. Bisher ist es uns gut gelungen, die Preiserhöhungen so gut wie möglich abzufedern.

Discounter-Kunden in Deutschland stehen vor leeren WC-Papierregalen. Bahnen sich bei Aldi in der Schweiz wieder Engpässe an?
(Lacht) Wenn jetzt nicht wieder alle wie vor dem Lockdown WC-Papier hamstern, gibt es keine Engpässe. Meine Einkäufer haben mir versichert, dass genug da ist, denn das meiste WC-Papier beziehen wir von Schweizer Lieferanten.

Bei welchen Lieferanten klemmt es denn?
Es klemmt vor allem bei Produkten aus dem asiatischen Raum. Die Fracht kommt irgendwann mit zwei bis drei Monaten Verspätung an, jedenfalls nicht zum abgemachten Zeitpunkt.

Wer solche Produkte im Werbeflyer sieht und dann vor leeren Regalen steht, ist wohl noch mehr verärgert.
Das war zu Beginn eine Herausforderung. Mittlerweile können wir das Eintreffen der Ware besser antizipieren. Produkte, bei denen wir uns unsicher sind, kommen nicht mehr in die Werbung.

Fordern Lieferanten auch mehr Geld für ihre Produkte?
Klar versuchen die Markenlieferanten, höhere Preise durchzusetzen. Allerdings beträgt deren Anteil an unserem Gesamtsortiment lediglich zehn Prozent. Die Markenartikler haben bei uns nicht die Macht und das Gewicht, wie sie diese anderswo haben.

Normalerweise ist es Aldi, der die Preise der Lieferanten drücken will!
Solche Vorwürfe hören wir immer noch. Sie sind schnell dahingesagt, halten sich leider lange. Das Gegenteil ist der Fall, wir fixieren Preise und zahlen fair. Sicher nehmen wir jetzt nicht die Preisinflation zum Anlass, den Druck auf unsere 380 Lieferanten in der Schweiz zu erhöhen. Wir optimieren bei uns intern, um die Teuerung abzufedern.

Wo optimieren Sie denn? Doch nicht etwa bei den Angestellten.
Auf keinen Fall. Wir haben letztes Jahr 439 neue Mitarbeitende eingestellt und benötigen auch im laufenden Jahr mehr Personal. Optimieren heisst, die Organisation nach Sparpotenzial zu durchleuchten. Wir haben unser Sortiment bewusst auf 1800 Produkte begrenzt, um die Verteilkosten tiefer zu halten. Beispielsweise präsentieren wir jetzt mehr Getränke wieder auf Paletten oder Waren im Karton. Das spart Zeit und Geld, weil das Auspacken der Ware entfällt.

Sie rühmen sich mit dem höchsten Mindestlohn in der Branche. Die meisten Angestellten arbeiten wohl nur Teilzeit und verdienen gar nicht 4600 Franken.
Wieder so eine Kritik, zu der ich gerne etwas sage. Bei uns beträgt der durchschnittliche Anstellungsgrad zwischen 75 und 80 Prozent. Je höher der Mindestlohn, desto höher ist auch der anteilige Lohn für die Teilzeit-Angestellten. Zudem wollen die meisten auch gar nicht 100 Prozent arbeiten.

Liegt es an der Pandemie, dass viele nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen?
Das Arbeitsbewusstsein der Leute hat sich in der Pandemie verändert. Auch immer mehr Jungunternehmerinnen und -unternehmer bewerben sich, die eine eigene Firma gründen und nebenbei einen Job zur finanziellen Absicherung suchen. Das war vor der Pandemie nicht so.

Warum verkauft ein Discounter Sushi, Bio und edle Marken?
Weil das gefragt ist. Weil das sehr gut verkauft wird. Und weil wir es schaffen, solche Produkte für alle erschwinglich zu machen, ohne bei der Qualität Abstriche machen zu müssen.

Auch Discount-Bio boomt?
Der Anteil Bio am Sortiment beträgt rund zehn Prozent. Obwohl wir kein Knospe-Label führen dürfen, weil wir dazu viel mehr Bioprodukte im Regal haben müssten als unser beschränktes Sortiment es zulässt, sind unsere Schweizer Bioprodukte genauso gut. Es sind die gleichen Lieferanten, es ist die gleiche Qualität, aber die Produkte sind 40 Prozent günstiger als mit Knospe-Logo.

Nicht nach Discounter tönt auch der zweistöckige Laden an der Zürcher Bahnhofstrasse.
Das passt super zu uns. (Lacht)

Wie bitte?
An diesem Standort sind wahnsinnig viele Leute unterwegs. Wir müssen auch an solchen Lagen präsent sein. Wir ergänzen das jeweilige Quartier gut mit Toplebensmitteln zu einem günstigen Preis. Für uns geht es auf.

Billig an der Bahnhofstrasse, rentiert diese Vorzeigefiliale?
Wir haben nie auf billig-billig gemacht. Wir erklären den Schweizerinnen und Schweizern immer, dass gute Qualität und günstiger Preis auch hierzulande möglich sind. Wir sind mit dieser Stadtfiliale sehr zufrieden, sie ist rentabel wie unsere anderen an Innenstadtlagen auch.

Welche weiteren Städte nehmen Sie ins Visier?
Im Frühjahr eröffnen wir unsere erste Filiale direkt am Gleis 1 am Bahnhof Zürich-Stadelhofen. Wir brauchen weitere solche hoch frequentierten Standorte, um Leute in Berührung mit Aldi zu bringen, die noch keine Filiale betreten haben. Insgesamt zehn neue Filialen stehen dieses Jahr auf unserer Expansionsliste. Mittelfristig wollen wir ein Netz von 300 Filialen in der ganzen Schweiz betreiben.

Hat Aldi die drei Milliarden Franken Umsatz nun geschafft?
Bitte haben Sie Verständnis, dass Aldi keine Geschäftszahlen öffentlich macht. Ich kann aber bestätigen, dass die Schätzungen immer besser werden und wir in den letzten beiden Pandemiejahren prozentual zweistellig gewachsen sind. Mehr als die Hälfte des Umsatzes machen wir übrigens bereits mit Produkten von Schweizer Herstellern.

Aldis Markteintritt 2005 zwang Coop und Migros, mit dem Ausbau ihrer Billiglinien dagegenzuhalten. Sind Sie heute wirklich noch günstiger?
Ganz klar ja. Machen Sie einen Wocheneinkauf bei Migros, Coop, Aldi und Lidl und Sie werden sehen, dass wir günstiger sind, die Billiglinien der Grossverteiler eingeschlossen.

Aldi schreibt sich Nachhaltigkeit gross auf die Fahnen, verkauft Jeanshosen für weniger als zehn Franken. Das geht nicht auf!
Ich behaupte, dass Ökologie und Ökonomie viel besser zusammenpassen, als wir denken. Bei den Textilien haben wir mit den Produzenten eine Charta aufgestellt. Sie garantieren uns faire Löhne und Arbeitsbedingungen. Auch in der Schweiz haben wir Projekte wie Fairmilk lanciert, damit die Bauern einen fairen Preis bekommen.

18 Jahre beim Discounter

Der Elsässer Jérôme Meyer (42) ist seit 1. Oktober 2020 Länderchef von Aldi Suisse. Er gehörte bereits zum Team, das den Schweizer Markteintritt des deutschen Discounters 2005 vorbereitet hat. «Dieses Jahr werde ich volljährig bei Aldi», sagt Meyer, der bislang sein ganzes Berufsleben bei Aldi verbracht hat. Heute zählt der Discounter 226 Filialen schweizweit, unterhält 3 Verteilzentren und beschäftigt 3900 Mitarbeitende. Geschäftszahlen hält das Unternehmen unter dem Deckel. Noch wohnt Meyer mit Frau und vier Kindern in Freiburg. «Im Juni kriege ich den roten Pass», sagt der Franzose zur bevorstehenden Doppelbürgerschaft. Danach steht der Umzug ins Toggenburg an, um näher am Aldi-Hauptsitz in Schwarzenbach SG zu sein.

Thomas Meier

Der Elsässer Jérôme Meyer (42) ist seit 1. Oktober 2020 Länderchef von Aldi Suisse. Er gehörte bereits zum Team, das den Schweizer Markteintritt des deutschen Discounters 2005 vorbereitet hat. «Dieses Jahr werde ich volljährig bei Aldi», sagt Meyer, der bislang sein ganzes Berufsleben bei Aldi verbracht hat. Heute zählt der Discounter 226 Filialen schweizweit, unterhält 3 Verteilzentren und beschäftigt 3900 Mitarbeitende. Geschäftszahlen hält das Unternehmen unter dem Deckel. Noch wohnt Meyer mit Frau und vier Kindern in Freiburg. «Im Juni kriege ich den roten Pass», sagt der Franzose zur bevorstehenden Doppelbürgerschaft. Danach steht der Umzug ins Toggenburg an, um näher am Aldi-Hauptsitz in Schwarzenbach SG zu sein.

Warum verkaufen Sie dann Erdbeeren im Januar, die aus Spanien hergebracht werden müssen?
So schade ich das auch finde, es gibt eine Nachfrage dafür. Aber wir nehmen Kritik ernst und verzichten seit diesem Jahr auf die Bewerbung von Erdbeeren, wenn sie gerade nicht Saison haben. Das macht bei den Konkurrenten sonst keiner.

Aldi hat die Digitalisierung in den Filialen verschlafen. Dann kam die Pandemie und plötzlich läufts. Wie gehts mit dem Lebensmittel-Lieferdienst voran?
Wir bringen eine neue Technologie immer erst dann in den Einsatz, wenn diese unsere Prozesse ganzheitlich besser macht. Wir haben 160 Millionen Franken in neue Ladenkonzepte investiert. Der Digitalisierungsschub ist da, Scan & Go und Self-Checkout sind sehr gut angelaufen. Begeistert bin ich vom Lieferdienst Aldi Now in Zürich.

Sie machen Zürcher Filialen zum Lager für Ihren Food-Lieferdienst. Sind bald weitere Städte dran?
Ein sogenannter Picker stellt im Laden die Bestellung zusammen und übergibt sie dem Logistik-Partner zur Auslieferung. Das spart Kosten. Wir haben jetzt Zeitfenster von einer Stunde. Nach Zürich dehnen wir den Lieferradius auf den Grossraum bis Winterthur aus. In einer zweiten Etappe gehen wir sicherlich dann in Richtung der Städte Bern und Basel.

Der Lieferdienst kommt, und was bleibt nach der Corona-Krise?
Trotz Turboöffnung nehmen wir Rücksicht auf die Leute in der Gesellschaft, die sich an die Schutzmassnahmen gewöhnt haben. Plexiglas an den Kassen, Hygienemittel an den Eingängen, um die Wägeli-Stange zu reinigen, gibt es bei uns weiterhin.

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