Schon für Normalhaushalte ist die Wohnungssuche in städtischen Gebieten eine Herausforderung. Für Armutsbetroffene ist sie jedoch praktisch unmöglich. Bezahlbarer Wohnraum ist vielerorts Mangelware. In Kantonen wie Graubünden, Zug oder Zürich sind die Mieten inserierter Wohnungen im vergangenen Jahr im hohen einstelligen und an besonders begehrten Lagen gar im zweistelligen Prozentbereich gestiegen. Die Zahl der leerstehenden Wohnungen sinkt seit Jahren.
Da bleiben Armutsbetroffene ohne Unterstützung auf der Strecke. Genau hier kommen Nadine Felix (49) und ihr Team ins Spiel. Sie ist Geschäftsleiterin der Stiftung Domicil, die Menschen in finanziell prekärer Situation in Zürich bei der Wohnungssuche hilft. Für immer mehr Menschen ist Felix' Stiftung die letzte Hoffnung.
Blick: Die Kostensteigerungen der vergangenen Jahre treffen Armutsbetroffene und die untere Mittelschicht besonders hart. Spüren Sie das bei der Nachfrage bei Wohnungsvermittlungen?
Nadine Felix: Unser Angebot war schon immer sehr gefragt, doch in den letzten zwei Jahren sind die Anfragen noch mal um 50 Prozent angestiegen. Wir erhalten noch mehr Telefonanfragen, Menschen klingeln bei uns an der Bürotür. Wir können diese Nachfrage gar nicht bewältigen.
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Dann müssen Sie also oft sagen, dass sie nicht helfen können?
Wir konnten unsere Kapazitäten nicht mit der steigenden Anfrage erhöhen. Einerseits erhalten wir laufend Anmeldungen von Sozialämtern. Dann bieten wir jede Woche eine Sprechstunde an, in der sich Personen ohne wirtschaftliche Unterstützung bei uns anmelden können. Mehr Anmeldungen können wir gar nicht entgegennehmen.
Wie läuft eine solche Sprechstunde ab?
Wir prüfen, ob eine Dringlichkeit gegeben ist und ob das Einkommen hoch genug für das voraussichtliche Mietzinsniveau ist. Viele der Familien, die sich bei uns melden, verdienen zu wenig, um sich eine passende Wohnung leisten zu können. Wir informieren sie dann, dass sie Anspruch auf Unterstützungsleistungen hätten, und verweisen sie an die entsprechenden Stellen. Wir selbst können sie nicht finanziell unterstützen.
Die Stiftung bürgt für die Wohnungssuchenden?
Wir besitzen keine eigenen Wohnungen, die wir anbieten könnten. Deshalb suchen wir Kontakt zu Wohnraumanbietern – Eigentümern, Verwaltungen, Genossenschaften –, die bereit sind, bezahlbare Wohnungen an Haushalte zu vermieten, die besonders auf den tiefen Mietzins angewiesen sind. Armutsbetroffene haben oft keine Chance, selbst eine Wohnung zu kriegen. Erst recht, wenn sie noch einen Eintrag im Betreibungsregister haben. Als Solidarmieterin unterschreiben wir den Mietvertrag mit und haften, wenn nach Abschluss des Mietverhältnisses Kosten offenbleiben. Derzeit kommen wir auf 1130 Wohnungen, ein Drittel mieten wir selbst und vermieten sie unter. Für die Übrigen bürgen wir.
Erhalten Sie auch immer öfter Anfragen von Menschen, die gemäss Definition nicht als Armutsbetroffene gelten?
In der Tat erhalten wir vermehrt Anfragen aus der Mittelschicht, die wir leider ablehnen müssen. Unser Auftrag ist es, Menschen mit wirklich kleinem Einkommen und in einer Notsituation zu helfen.
Wer meldet sich bei Ihnen?
Unsere Hauptzielgruppe sind Familien. Wir helfen vor allem armutsbetroffenen Familien, das sind oft alleinerziehende Mütter oder Väter. Doch auch Rentnerinnen und Rentner oder auch junge Menschen in Ausbildung haben Probleme, bezahlbare Wohnungen zu finden. Sie verweisen wir an die zuständigen Stellen. Viele Menschen, die wir unterstützen, haben einen Migrationshintergrund. Für sie ist die Wohnungssuche bei geringem Einkommen noch schwieriger, da ihnen oft ein Netzwerk fehlt, das ihnen zu günstigen Wohnungen verhilft.
Wie lange dauert so eine Vermittlung in der Regel?
In der Stadt Zürich und in der Agglomeration, wo wir tätig sind, hat es viel zu wenig Wohnungen im nötigen Preisrahmen. Bei einer 4-köpfigen Familie wäre das zum Beispiel eine 4,5-Zimmer-Wohnung für 1800 Franken Bruttomiete. Deshalb können wir aktuell kaum Prognosen machen. Oft dauert es neun, zwölf Monate. Es kann aber auch Jahre dauern. Besonders schwierig wird es bei grossen Kernsanierungen oder Abrissen älterer Wohnhäuser. Die neuen Wohnungen sind viel teurer. Dann erhalten wir zahlreiche Anfragen von Familien, die im Quartier verwurzelt und in Vereinen aktiv sind. Die Kinder haben in der Schule ihre Freunde. Und nun finden sie in der Region keine bezahlbare Wohnung mehr.
Wie oft müssen Sie beim Mietzins einspringen?
Wir versuchen bereits im Vorfeld, Hand zu bieten, damit es gar nicht erst so weit kommt. Je nachdem besteht ein Anspruch auf Unterstützung, oder private Hilfsorganisationen wie Caritas oder Winterhilfe können helfen. Sind bei der Beendigung des Mietverhältnisses Rechnungen offen, springen wir ein. Bei jährlich rund hundert Mietverhältnissen, die beendet werden, ist das bei einer Handvoll notwendig. Im vergangenen Jahr waren es mit zehn Fällen überdurchschnittlich viele. Läuft das Mietverhältnis hingegen einige Jahre reibungslos, versuchen wir, die Menschen aus der Solidarhaftung zu entlassen.
Was wäre nötig, damit Armutsbetroffene besser an bezahlbare Wohnungen kommen?
Es braucht mehr günstigen Wohnraum, beispielsweise über Quoten an bezahlbaren Wohnungen bei Grossprojekten. Zudem ist es wichtig, dass bezahlbare Wohnungen an Menschen vermietet werden, die auch wirklich darauf angewiesen sind.