Kein Teuerungsausgleich für Sozialhilfe-Bezüger
Diese Kantone knausern bei den Ärmsten

Der Kanton Bern weigert sich, wegen der Teuerung die Sozialhilfe anzupassen. Er ist nicht der einzige Kanton, der eine entsprechende Empfehlung nicht umsetzt.
Publiziert: 03.01.2023 um 18:48 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2023 um 10:14 Uhr
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In Caritas-Märkten können Armutsbetroffene günstig Lebensmittel kaufen. Angesichts der Teuerung ist das Angebot sehr gefragt.
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Wer jeden Franken zweimal umdrehen muss, den trifft die Inflation besonders stark. Die Konferenz der Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren der Kantone rief darum im November dazu auf, die Sozialhilfe zu erhöhen. Analog zur Anpassung der AHV- und IV-Renten soll auch der sogenannte Grundbedarf in der Sozialhilfe um 2,5 Prozent erhöht werden. Und zwar um 25 Franken auf 1031 Franken pro Monat. Pro Jahr sind das immerhin 300 Franken.

Die meisten Kantone sind dieser Empfehlung nachgekommen. Jedoch nicht alle.

Bern beobachtet, statt zu handeln

Während der Kanton Bern seinen Beamten nächstes Jahr 1,2 Prozent mehr Lohn zahlt, warten die Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger vergebens auf einen Teuerungsausgleich. Statt zu handeln, zieht es die Berner Regierung vor, erst einmal abzuwarten und die Situation zu «beobachten».

Bern ist der einzige Kanton, der den Sozialhilfe-Grundbedarf seit über zehn Jahren um keinen Franken erhöht hat. Insgesamt bekommen Sozialhilfebezüger in Bern dieses Jahr knapp 650 Franken weniger als in den meisten anderen Kantonen. Der Grundbedarf muss reichen, um Nahrungsmittel, Kleider, ÖV-Billette und alle anderen persönlichen Auslagen zu bezahlen. Miete und Krankenkasse beispielsweise werden separat abgerechnet. Schon 2014 bezeichnete der Gemeinderat der Stadt Bern den ausgebliebenen Teuerungsausgleich als «nicht nachvollziehbar».

Gemeinden protestieren

Dass der Kanton bei den Sozialhilfebezügern so knausert, sorgt bei einigen Gemeinden für Unmut. Eine Erhöhung sei angesichts der Teuerung und der steigenden Strompreise «dringlich angezeigt», findet beispielsweise die Gemeinde Madiswil. Sie und rund zwei Dutzend weitere Gemeinden und Gemeindeverbände haben ihrem Ärger in einem Brief an die Kantonsregierung Luft gemacht.

Doch die Berner Regierung lässt sich davon nicht beeindrucken. Aus deren Sicht gibt es keinen Anlass, den Grundbedarf zu erhöhen. Die Strompreise beispielsweise seien im Versorgungsgebiet der BKW nicht höher als in den letzten Jahren, sagt Gundekar Giebel, Sprecher der Sozialdirektion des Kantons Bern. Ausserdem dürfe zur Beurteilung der Lebenssituation von Sozialhilfebeziehenden nicht nur der Grundbedarf beigezogen werden.

«Sozialhilfebeziehende haben Anspruch auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe sowie ergänzend dazu auf eine Vielzahl von sozialen Leistungsangeboten, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können», rechtfertigt Giebel die Position der Regierung. Auch das Kantonsparlament hat im Rahmen der Beratung des Budgets 2023 einen Teuerungsausgleich in der Sozialhilfe abgelehnt.

«Ausgleich ist notwendig»

Dass die Kantonsangestellten gleichzeitig mehr Lohn erhalten, findet die Berner Exekutive nicht problematisch. Man könne den Sozialhilfe-Grundbedarf und einen Lohn nicht miteinander vergleichen.

Nathalie Barthoulot (54), jurassische Regierungsrätin und Präsidentin der Sozialdirektoren-Konferenz, will sich nicht zum Ausscheren Berns äussern. Sie bleibt aber dabei: «Menschen, die Sozialhilfe beziehen, sind von der Teuerung besonders stark betroffen. Ein Ausgleich ist darum notwendig.»

Auch St. Gallen schert aus

Ein weiterer Deutschschweizer Kanton, der nicht mitzieht, ist St. Gallen. Die Sozialhilfe ist dort Sache der Gemeinden. Diesen wurde zwar auf den 1. Januar hin eine minime Erhöhung empfohlen. Allerdings geht es dabei um die Umsetzung einer bereits älteren Empfehlung, nicht den aktuellen Teuerungsausgleich. Das, während die Löhne der Kantonsangestellten teuerungsbedingt um 1,5 Prozent erhöht worden sind.

Heinz Indermaur, Präsident der St. Gallischen Konferenz der Sozialhilfe begründet das damit, dass man den Grundbedarf im Kanton seit Anfang 2021 bereits um 3 Prozent erhöht habe. Zudem «unterstützen die kommunalen Sozialämter ihre Klientinnen und Klienten in den Bereichen Energiekosten, Wohnnebenkosten sowie Krankenversicherungsprämien und gleichen die dortigen Mehrkosten aufgrund der zurückliegenden Kostenentwicklung aus».

Genf erhöht die Sozialhilfe-Sätze ebenfalls weniger als empfohlen, zudem liegen sie auch nach dem Plus noch tiefer als vielerorts. Weniger als die 1031 Franken monatlich für eine einzelne Person zahlen zudem die Kantone Jura und Solothurn, wobei aber beide den bisherigen Betrag auf 2023 um 2,5 Prozent erhöht haben.

Ausserdem gibt es vereinzelt Kantone, die die Sozialhilfe erst zu einem späteren Zeitpunkt an die Teuerung anpassen. Neuenburg beispielsweise erst auf den 1. April hin, das Wallis an einem noch nicht bestimmten Zeitpunkt «im Frühjahr». Die Nidwaldner Regierung teilt mit, dass mit dem Entscheid in der nächsten Woche zu rechnen sei. Die Erhöhung der Sozialhilfe soll dann rückwirkend auf den 1. Januar erfolgen. Noch nicht kommuniziert hat der Kanton Freiburg, ob und wie stark er die Sozialhilfe-Sätze an die Teuerung anpasst.

In Bern entscheidet nun das Parlament

Schon länger fix ist die Erhöhung derweil unter anderem in Zürich. «Von der aktuellen Situation sind viele Sozialhilfebeziehende besonders betroffen», wird Regierungsrat Mario Fehr in einer Mitteilung der Regierung zitiert. Für sie sei der Kanton «auch in schwierigen Zeiten da». Baselland erhöht den Sozialhilfe-Grundbedarf als einziger Kanton sogar um über 3 Prozent, um aufs gleiche Niveau zu kommen wie die Mehrheit der Kantone.

In Bern ist derweil das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Grünen nehmen die Teuerung zum Anlass, um im Parlament einen neuen Anlauf für höhere Sozialhilfe-Ansätze im Kanton zu nehmen. Voraussichtlich im Frühling wird der Grosse Rat darüber beraten.

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