Migros-Chef verteidigt Entlassungen und verrät Details zur Neuausrichtung
«Filialen haben am Ende 1000 gelbe Tiefpreis-Schilder»

Mario Irminger hat den Migros-Konzern auf den Kopf gestellt. Im Interview spricht er über die Reaktionen der Betroffenen und verrät, wo der orange Riese neue Filialen plant und was die Kunden im Jubiläumsjahr 2025 erwartet.
Publiziert: 14.12.2024 um 18:45 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2024 um 10:53 Uhr
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Migros-Hauptsitz am Zürcher Limmatplatz: Beim orangen Riesen blieb 2024 kaum ein Stein auf dem andern.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Die Migros hat eines der turbulentesten Jahre der Firmengeschichte hinter sich
  • CEO Mario Irminger verteidigt im Interview die diversen Firmenverkäufe und Entlassungen
  • Zudem äussert er sich zur neuen Tiefpreis-Strategie, zum Filialausbau und zu den Gewinnmargen von Digitec Galaxus
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

SonntagsBlick: Herr Irminger, kommenden Frühling feiern Sie Ihren 60. Geburtstag. Die Jahre vermischen sich mit zunehmendem Alter. Welche drei werden Sie nie vergessen?
Mario Irminger: Hmm. (Überlegt einen Moment.) Es sind wohl die Jahre, in denen ich eine neue Herausforderung angenommen habe, zumindest was das Berufliche betrifft: 1996 durfte ich bei Heineken das Handelsgeschäft kennenlernen. 2010 fing ich bei Denner als Finanzchef an und wurde ein Jahr später CEO. Und dann natürlich 2023, als ich beim Migros-Genossenschafts-Bund zum Generaldirektor ernannt wurde.

Wo würden Sie 2024 einordnen?
Es war ohne Frage ein aussergewöhnliches Jahr. Die neue Supermarkt AG ist gestartet. Wir haben bekannt gegeben, für verschiedene Formate neue Eigentümer zu suchen. Zudem konnten wir im Herbst unsere neue Strategie für unser Kerngeschäft, die Supermärkte, präsentieren. All diese Dinge haben wir aber bereits 2023 aufgegleist.

Wegen des Konzernumbaus, den Sie verantworten, haben viele Menschen ihren Job verloren. Wie gehen Sie damit um? Gibt es Begegnungen, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?
Ein einzelner Moment nicht, aber das Ganze hat mich belastet. Ich habe emotionale Reaktionen von Betroffenen erhalten, die kein Verständnis hatten, dass es gerade sie trifft. Ich kann das nachvollziehen. Letztlich bin ich aber der Überzeugung, dass die getroffenen Entscheidungen richtig und notwendig waren.

Auch Schwangeren und Frauen im Mutterschaftsurlaub wurde gekündigt – und das bei einer Genossenschaft, dessen Gründer sich dem «sozialen Kapital» verschrieben hatte. Wie gross ist der Imageschaden, den die Migros 2024 erlitten hat?
Kündigungen von Schwangeren und Frauen im Mutterschaftsurlaub waren Einzelfälle. Ich bedaure das sehr. In solchen Situationen können Fehler passieren, und wir sollten versöhnlicher werden im Umgang damit. Wie gross der Imageschaden ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe aber auch viele Rückmeldungen von Mitarbeitenden und Kunden erhalten, die den Umbau für das einzig Richtige halten.

Ein Teil des Umbaus ist abgeschlossen. Für SportX, Melectronics und Bike World haben Sie Käufer gefunden. Ihr Zwischenfazit?
Erst einmal bin ich stolz, die Migros, diesen riesigen Tanker, in Bewegung gebracht zu haben. Durch die Trennung von den Fachmärkten können wir uns wieder besser auf unser Kerngeschäft fokussieren. Zudem haben wir für SportX, Melectronics und Bike World gute Käufer gefunden und somit gute Lösungen für unsere Mitarbeitenden und die Kundschaft.

Da von den Käufern jeweils nicht alle Filialen übernommen wurden, haben Sie nun viele leere Verkaufsflächen. Was machen Sie damit?
Auch die leeren Flächen bringen wir besser weg, als man denken könnte. Es kommen zum Beispiel Apotheken, Drogerien und kleinere Läden. Im Sportbereich, wo wir an Ochsner Sport verkauft haben, gibt es mit Decathlon zudem einen weiteren grossen Anbieter, der expandiert und Interesse hat an grösseren Flächen.

Die deutsche Drogeriekette Rossmann will in der Schweiz innerhalb von fünf Jahren 100 Filialen eröffnen. Firmenchef Raoul Rossmann liess durchblicken, dass die Migros nicht besonders scharf sei auf Rossmann als Mieterin.
Das liegt auf der Hand: Mit unserem Angebot im Supermarkt, aber auch mit unseren Medbase-Apotheken würden wir uns selber konkurrenzieren mit einem Drogerieanbieter wie Rossmann im Haus.

Der Verkauf von Hotelplan ist noch nicht abgeschlossen. Es gilt aber als ausgemacht, dass die deutsche Dertour-Gruppe zum Zug kommen soll. Können Sie das bestätigen?
Zu laufenden Verhandlungen geben wir keine Auskunft. Es braucht noch ein paar behördliche Abklärungen. In Grossbritannien zum Beispiel, wo die Hotelplan-Gruppe auch tätig ist, benötigt man bei einem Eigentümerwechsel in der Reisebranche eine behördliche Genehmigung, um Schadenfälle für die Konsumenten zu verhindern. Wir werden den Verkauf deshalb voraussichtlich erst im ersten Quartal 2025 kommunizieren können.

Dertour besitzt bereits Kuoni. Bei einem Hotelplan-Kauf hätte die Gruppe rund 150 Filialen in der Schweiz. Wie verhindern Sie, dass es nach der Übernahme zu einem massiven Abbau kommt?
Wie gesagt: Über potenzielle Käufer und allfällige Konsequenzen möchte ich nicht spekulieren. Wir versuchen aber bei jedem Verkauf, für die Kunden und unsere Mitarbeitenden die bestmögliche Lösung zu finden. Um Arbeitsplätze zu erhalten, würden wir gar einen tieferen Verkaufspreis in Kauf nehmen.

Bei der Industrie-Tochter Mibelle ist die Herausforderung, dass der Kosmetikbereich attraktiv ist, das Geschäft mit Waschmitteln und Margarinen aber weniger. Finden Sie jemanden, der das ganze Paket kauft?
Ein Käufer wäre der Idealfall. Wir schliessen aber auch mehrere Käufer nicht aus. Auch hier gilt: Es geht darum, für Kundschaft und Mitarbeitende die beste Lösung zu finden.

Ist es denkbar, dass Sie den Bereich der Wasch- und Reinigungsmittel am Ende behalten?
Nein, das schliesse ich aus.

Im Oktober haben Sie angekündigt, den Preis von mehr als 1000 Alltagsprodukten auf «Discount-Niveau» zu senken. Bei wie vielen Produkten wurde dieses Versprechen bereits umgesetzt?
Bis jetzt erst im Frische-Sortiment. Bis Ende Januar sollen aber rund 500 Produkte auf dem Tiefpreisniveau sein, in erster Linie im Food-Bereich. Bis Sommer 2025 wollen wir das Tiefpreisniveau dann bei deutlich mehr als 1000 Produkten erreichen.

Beim Obst und Gemüse kennzeichnen Sie die «Tiefpreise» mit einem auffälligen gelben Schild. Ziehen Sie das bei allen Produkten durch?
Selbstverständlich. In einer grossen Migros-Filiale werden am Ende mehr als 1000 gelbe Tiefpreis-Schilder zu finden sein. Wir investieren 500 Millionen Franken in die Verbilligung unserer Produkte – pro Jahr. Diese Reduktion muss auch sichtbar sein.

Als Denner-Chef sorgten Sie einst für Furore, weil Sie Coca-Cola direkt aus Tschechien und Polen importierten. Ist so was auch bei der Migros denkbar?
Der Schweiz-Zuschlag und die Gewinnmargen der Markenhersteller sind noch immer sehr hoch. Parallelimporte und auch Auslistungen sind deshalb auch bei der Migros nicht ausgeschlossen. Das sind mögliche Druckmittel, um für unsere Kundschaft tiefere Preise zu erreichen. Primär versuchen wir jedoch, durch konsequente Verhandlungen zum Ziel zu kommen.

Zur Person: Mario Irminger

Mario Irminger (59) führt seit Mai 2023 den Migros-Genossenschafts-Bund als Präsident der Generaldirektion. Was ihn für den Job empfahl, waren seine Erfolge bei der Migros-Tochter Denner, die er zwölf Jahre lang leitete. Zuvor arbeitete er 15 Jahre lang für Heineken Switzerland. Irminger lebt am linken Zürichsee-Ufer und hat einen erwachsenen Sohn.

Mario Irminger (59) führt seit Mai 2023 den Migros-Genossenschafts-Bund als Präsident der Generaldirektion. Was ihn für den Job empfahl, waren seine Erfolge bei der Migros-Tochter Denner, die er zwölf Jahre lang leitete. Zuvor arbeitete er 15 Jahre lang für Heineken Switzerland. Irminger lebt am linken Zürichsee-Ufer und hat einen erwachsenen Sohn.

Apropos Denner: Was sagen Ihre früheren Kollegen zur Discount-Offensive der Migros? Die dürften daran wenig Freude haben.
Ich habe keine bösen Reaktionen erhalten.

Wahrscheinlich, weil sich niemand traut, dem Chef die Meinung zu sagen.
Das glaube ich nicht (lacht). Es liegt eher daran, dass der permanente Kampf um die Preisführerschaft zur Denner-DNA gehört. Die Preissenkungen der Migros sind für Denner als führenden Discounter der Schweiz deshalb gar nicht so entscheidend. Zudem hat das Unternehmen genügend Differenzierungsmerkmale: Das Sortiment ist in gewissen Bereichen sehr unterschiedlich, und zudem hat Denner noch kleinere Läden. Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass Denner wegen der Migros Marktanteile verlieren wird.

Migros-Präsidentin Ursula Nold hat vor einigen Wochen gesagt, dass die Nachfrage bei Früchten und Gemüsen seit der Tiefpreisaktion um 7 Prozent gestiegen sei. Gibt es nach so kurzer Zeit tatsächlich schon zuverlässige Zahlen?
Ja, wir verzeichnen ein positives Mengenwachstum. Interessant ist zudem, dass wir in den Filialen, die sich in Grenznähe befinden, stärker wachsen. Das zeigt, dass unsere Preisoffensive etwas bewirkt und auch ein Mittel gegen Einkaufstourismus ist. Ich möchte aber betonen, dass wir uns nicht nur auf den Preis fokussieren. Wir arbeiten auch an der Qualität des Sortiments und wollen zudem stark expandieren, mit 140 eher kleineren Filialen.

Gefühlt hat es schon heute an jeder Ecke eine Migros oder einen Migrolino. Wo sehen Sie Potenzial?
In Agglomerationen, die in den vergangenen Jahren ein grosses Bevölkerungswachstum verzeichneten. Rund um die Stadt Zürich haben wir von Baden bis Wetzikon Nachholbedarf, gerade auch in den Zürichsee-Gemeinden sowie in Zürich-Nord. In der Zentralschweiz sind wir im Einzugsgebiet des Kantons Zug untervertreten. In der Romandie sind wir generell weniger stark präsent, insbesondere entlang des Genfersees. 2030 wird es rund 200'000 zusätzliche Haushalte geben, bei denen die Migros der nächste Lebensmittelladen ist. Ein spezialisiertes Team arbeitet daran, geeignete Standorte zu finden.

Auch bezüglich Nachhaltigkeit gehen Sie neue Wege. Der neue Chef dieses Bereichs hat sich im Gespräch mit SonntagsBlick gar von der grünen Vorreiterrolle losgesagt. Es entsteht der Eindruck, dass Ihnen das Thema ziemlich egal ist.
Diese Einschätzung ist komplett falsch. Nachhaltigkeit ist eine Herzensangelegenheit von mir und hat auch innerhalb der Migros nach wie vor eine hohe Priorität. Wir wollen unseren Kindern eine Welt hinterlassen, die lebenswert ist. Deshalb sind wir daran, eine Nachhaltigkeitsstrategie für die ganze Gruppe zu entwickeln – zum ersten Mal überhaupt.

Von der geplanten Bio-Knospe für Produkte aus dem Ausland wollen Sie aber nichts mehr wissen. Und pflanzliche Fleischalternativen werden in den Supermärkten weniger prominent platziert.
Das bedeutet nicht, dass uns Nachhaltigkeit egal ist. Es ist aber nicht unsere Aufgabe als Händler, unsere Kundinnen und Kunden zu erziehen. Wir wollen anbieten, was in grossen Mengen nachgefragt wird. Und einige der genannten Produkte haben nach wie vor ein Nischendasein.

All diese Veränderungen sind auch eine Kritik an Ihren Vorgängern. Viele der früheren Entscheidungsträger haben aber wieder einen Top-Job erhalten innerhalb des Migros-Universums. Wie erklären Sie das einem einfachen Angestellten, der wegen des Umbaus die Stelle verloren hat?
Wir kritisieren nicht einzelne Personen, sondern versuchen zu begründen, wieso wir gewisse Dinge ändern.

Jörg Blunschi, der langjährige Chef der Regionalgenossenschaft Zürich, hat mit seinen Deutschland-Abenteuern Millionen verspielt, mit Fitnesscentern und der Supermarktkette Tegut. Die Belohnung: das Präsidium der Migros Aare.
Es ist nicht meine Art, in den Medien über Mitglieder von Gremien oder einzelne Mitarbeitende zu sprechen. Des Weiteren wird der Präsident einer Regionalgenossenschaft vom Genossenschaftsrat gewählt. Dessen Mitglieder treffen im Vorfeld viele Abklärungen und wählen am Ende jene Person, die sie für geeignet halten. So funktioniert die Schweiz im politischen Bereich, und so funktioniert auch die Migros. Im Übrigen halte ich Jörg Blunschi für einen erfahrenen, sehr verdienten Detailhandelsexperten.

An einigen Abstechern ins Ausland und branchenfremden Engagements können Sie keine Freude gehabt haben. Wie wollen Sie solche Abenteuer in Zukunft verhindern? Rein rechtlich dürfen die Regionalgenossenschaften auch in Zukunft selbst entscheiden, wie und wo sie ihr Geld investieren.
Es gibt innerhalb der Gruppe mittlerweile einen grossen Konsens, dass wir nur in Geschäftsfeldern aktiv sein sollten, in denen wir über genug Kompetenz verfügen. Im Ausland ist besonders viel Vorsicht geboten. Die Migros hat sich in ihrer bald 100-jährigen Firmengeschichte x-mal im Ausland versucht, erfolgreich waren wir aber selten. Das legt den Schluss nahe, dass wir uns auf das Geschäft in der Schweiz fokussieren sollten.

Sie setzen dieses Credo aber selbst nicht konsequent um: Vor wenigen Wochen haben Sie der Migros-Tochter Digitec Galaxus grünes Licht gegeben für vier weitere Jahre in Deutschland.
Wenn Digitec Galaxus in Deutschland wächst, profitieren davon auch die Kundinnen und Kunden in der Schweiz. Diese Expansion ist deshalb ein Sonderfall. Zudem sind wir überzeugt, dass wir uns auch gegenüber grossen, internationalen Konkurrenten wie Amazon oder chinesischen Anbietern behaupten können. Das gelingt uns im Übrigen auch in der Schweiz: Die neue Konkurrenz durch Temu spürt Digitec Galaxus kaum. Wir bieten ein besser kuratiertes Sortiment, schnellere Lieferzeiten und einen sehr guten Kundenservice. Diese Eigenschaften sind auch in Deutschland gefragt.

Die Anlaufverluste in Deutschland belaufen sich auf mehr als 100 Millionen Franken. Wie viel zusätzliches Geld haben Sie Digitec Galaxus zur Verfügung gestellt?
Es ist ein substanzieller Betrag. Die Summe nennen wir nicht.

In der Schweiz ist Digitec Galaxus sehr schnell gewachsen. Wie steht es um die Profitabilität?
Obwohl es Digitec Galaxus erst seit 2001 gibt, erzielten wir letztes Jahr in der Schweiz einen Umsatz von 2,4 Milliarden Franken. In diesem Jahr werden wir erneut im zweistelligen Prozentbereich wachsen. Das ist beeindruckend. Trotz dieses rasanten Wachstums schreibt Digitec Galaxus schwarze Zahlen und ist unterwegs zu einer marktkonformen Gewinnmarge von 1,5 bis 2 Prozent.

Wir haben das Gespräch mit Ihrem Geburtstag angefangen. Zum Schluss eine Frage zum grossen Migros-Geburtstag 2025: Was dürfen wir zum 100-Jahr-Jubiläum erwarten?
Es wird ein bunter Jubiläums-Strauss an Massnahmen. Lassen Sie sich Anfang 2025 überraschen!

Nur ein kleiner Ausblick: Steht in jeder Filiale ein alter Migros-Verkaufswagen? Oder gibt es Dauerrabatte? Dass es für die Mitarbeitenden ein grosses Fest gibt, ist ja bereits durchgesickert.
Wir planen verschiedenste Aktivitäten. Interessante Promotionen für die Kundschaft sind das eine, aber auch überraschende Events im Migros-Style. Es wird sehr breit sein. Mehr darf ich aber wirklich noch nicht verraten.

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