Übers Scheitern spricht in der Schweiz niemand gern. Über einen Konkurs zu reden, ist ein grosses Tabu. Das macht allerdings auch Sinn – denn sobald eine Firma laut über den Bankrott nachdenkt, will jeder Lieferant erst Geld sehen, bevor er liefert.
Einer, der trotzdem übers Scheitern spricht, ist Matthias Wirth (35). Auch wenn er es nicht als Scheitern, sondern als Lernen sehen will. Zusammen mit seinem Bruder Nicolas (37) hat er vor knapp einem Jahr das Hotel Walzenhausen in der gleichnamigen Gemeinde im Kanton Appenzell Ausserrhoden wieder zum Leben erweckt. Der markante Hotelbau hoch über dem St. Galler Rheintal war zuvor jahrelang leergestanden.
Hotel als zweites Standbein
Seit Ende September ist es bereits wieder geschlossen, und zwar definitiv. «Die Wintersaison ohne Buchungen wäre ein zu grosses Risiko gewesen», ist Wirth überzeugt. «Dazu sind die Betriebskosten für das Hotel im Winter viel zu hoch.» Deshalb haben die Wirths den Vertrag mit den Besitzern gekündigt.
Das war der Plan, der nun gescheitert ist: Ein Event- und Seminarhotel mit 70 Zimmern, Seminarräumen, Frühstücksbuffet und einer Bar sollte dem Haus, das seit der vorletzten Jahrhundertwende das Dorfbild prägt, neues Leben einhauchen. «Wir haben im letzten Winter einen guten Start hingelegt», erzählt Neo-Hotelier Wirth im Gespräch mit BLICK.
Die Brüder kommen aus der Eventbranche, Matthias und seine Mutter veranstalten Seminare im Bereich Theta Healing, einer Technik zur Selbsthilfe. Das Hotel sollte für die Familie zu einem zusätzlichen Standbein werden. «Das Hotelgeschäft setzte auf Hochzeiten, Firmenfeiern, Bike- und Wandergruppen», sagt Wirth. «Wir hatten viele Buchungen für die Sommersaison.»
Keine Lust auf Feiern
Doch dann kamen Corona und der Lockdown, die Lust auf Reisen und Feiern verschwand schlagartig, eine Absage folgte der anderen. «Niemand wollte verschieben, viele hatten eine diffuse Angst, auf den Kosten sitzenzubleiben.» Neue Aufträge kommen derzeit zu wenige rein. «Auch den Firmen ist die Lust aufs Feiern vergangen», sagt Wirth mit breitem Rheintaler Akzent.
Die Betreiber des Hotels Walzenhausen hatten aber auch Glück, sie konnten eine Seminarreihe mit 500 Teilnehmern von April auf August verschieben. «Das hat uns vor dem direkten Konkurs bewahrt», so Wirth.
Etwas Stolz darauf, dass auch die letzte Rechnung bezahlt wird, schimmert durch. Das ist auch bei anderen Hoteliers zu spüren, die zwar nicht übers Scheitern reden wollen, denen es aber umso wichtiger ist, dass der Betrieb ordentlich zu Ende geführt wird – ohne dass offene Rechnungen zurückbleiben.
Verlorenes Geschäft lässt sich nicht nachholen
Wirth hofft, dass die Familie selbst den Covid-19-Kredit zurückzahlen kann: «Das wird zwar ein paar Jahre dauern, aber wir haben den Webshop ausgebaut und können weiter Seminare veranstalten.» Nun halt wieder zur Untermiete in anderen Hotels.
«Für die Entscheidung zur Schliessung muss man sich nicht schämen», macht Wirth anderen Mut. Die Umstände könne man nicht beeinflussen: «Für viele Hotels, die auf Kongresse und Events ausgerichtet sind, ist Corona ein harter Schlag.» Sind keine Reserven da, werde es für viele sehr eng, ist Wirth überzeugt.
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Und räumt mit einem anderen Mythos auf, der Hoffnung auf Kompensation: «All die verpassten Hochzeiten oder Feiern, die können sie nächstes Jahr nicht einfach doppelt nachholen.» Auch deshalb haben die Brüder Ende September die Schlüssel an die indischen Besitzer des Hotels zurückgegeben. Diese wären ihnen zwar bei der Miete entgegengekommen, doch zu unsicher sind die Zeiten, um doch noch weiterzumachen.
Pleitewelle droht
Noch stehen erst wenige Hotels zum Verkauf, noch haben noch nicht viele Beherbungsbetriebe die Pforten definitiv geschlossen. Doch die Befürchtung in der Branche ist gross, dass viele Hotels vor allem in den Städten die kommende Wintersaison nicht überleben – oder Betriebe, die vorübergehend geschlossen sind, nie wieder öffnen werden.