Massenkündigung aller Assistenzärzte
Jetzt droht sogar ein Streik am Spital Einsiedeln

Der Knall in Einsiedeln kam nicht ohne Vorwarnung. Branchenkenner kannten das Spital schon lange als Sorgenkind. Die Gewerkschaft VPOD spricht von einem drohenden Streik. Das Spital hatte seinerseits schnelle Verbesserungen angekündigt – und krebst nun zurück.
Publiziert: 18.08.2022 um 19:37 Uhr
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Die Massenkündigung am Spital Einsiedeln kam für Branchenkenner nicht überraschend.
Foto: Martin Schmidt
Sarah Frattaroli

Sie werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt, allein gelassen und müssen massenhaft Überstunden schieben: Assistenzärztinnen und Assistenzärzte in der Schweiz. Seit es am Spital Einsiedeln SZ zum Knall kam und alle sieben Assistenzärzte gleichzeitig ihre Kündigung einreichten, hat Blick mit diversen Nachwuchsmedizinern von verschiedenen Spitälern gesprochen. Der Tenor ist eindeutig: Die Arbeitsbedingungen für Assistenzärzte sind miserabel.

Das wirkt sich unweigerlich auf die Qualität ihrer Ausbildung aus. Monika Brodmann Mäder hat die Oberaufsicht über die Weiterbildung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Sie ist Präsidentin des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF). Sie stimmt den Assistenzärzten, die derzeit ihrem Frust laut Luft machen, in Teilen zu. «Wir müssen die Weiterbildung modernisieren», sagt sie. Denn: «Heute hängt die Qualität viel zu sehr vom Engagement einzelner Kaderärztinnen ab.»

Chefs, die am Spital für die Ausbildung der Assistenzärzte zuständig sind, mögen zwar gute Ärzte sein. Zu guten Lehrern macht sie das aber noch lange nicht. Trotzdem will Brodmann Mäder nichts davon wissen, dass Schweizer Ärzte wegen Mängeln während ihrer Assistenzzeit am Ende Wissenslücken haben. «International stehen wir bei der ärztlichen Weiterbildung gut da.»

Miserable Note für Spital Einsiedeln

Brodmann Mäder verantwortet für das SIWF mehr als 4000 Weiterbildungsstätten für junge Ärztinnen: vom Universitätsspital bis zum kleinen Regionalspital. «Darunter gibt es 20 bis 30 Sorgenkinder.»

Bestes Beispiel: Einsiedeln. Das Spital schnitt bei der letztjährigen Bewertung durch die Assistenzärzte mit Note 3,5 ab – der Branchenschnitt liegt bei 5. Brodmann Mäder bestätigt denn auch: «Das Spital Einsiedeln gehört schon länger zu unseren Sorgenkindern.» Mehr kann sie zum konkreten Fall nicht sagen.

Im Extremfall führt das SIWF Qualitätskontrollen vor Ort durch, um sich mit eigenen Augen ein Bild von der Weiterbildung an den Problemspitälern zu verschaffen. Das passiert an einem bis zwei Spitälern pro Jahr. Ob das auch in Einsiedeln der Fall war, will Brodmann Mäder nicht sagen.

«Genügend Gründe, um zu streiken»

Deutlicher wird Viviane Hösli (38), Gewerkschaftssekretärin des VPOD Zentralschweiz. «Das Personal machte das bislang nur mit, weil es viele Ortsansässige darunter hat, denen das Spital am Herzen liegt.»

Die Bevölkerung stimmte 2020 für den Erhalt des Spitals Einsiedeln – zu einem hohen Preis, wie sich nun zeigt. «Es geht ja nicht ‹nur› um die Ärzte. Auch beim Pflegepersonal und bei den übrigen Angestellten sind die Arbeitsbedingungen katastrophal», kritisiert Gewerkschafterin Hösli. Und droht dann: «Das Personal hätte genügend Gründe, um zu streiken.»

Die Gewerkschaft kann den Streik nicht orchestrieren. Am Spital Einsiedeln gibt es keinen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), die Gewerkschaft hat daher kein entsprechendes Mandat. Hösli lässt aber durchblicken, dass sie sich wünscht, dass das Personal selber aktiv wird. Ohne GAV gibt es auch keine Friedenspflicht – ein Streik ist damit jederzeit möglich.

Als Präsidentin der Personalkommission wird Els Dockx (56) auf der Homepage des Spitals Einsiedeln aufgeführt. Sie ist auch Mitglied des Verbands VPOD. Dockx konnte bislang allerdings nicht von Blick erreicht werden.

Kanton schweigt weiterhin

Gewerkschafterin Hösli sieht für die vertrackte Situation in Einsiedeln auch die kantonalen Behörden, konkret den Regierungsrat, in der Mitschuld. «Sie stehlen sich aus der Verantwortung.» Tatsächlich gibt sich das zuständige Amt für Gesundheit des Kantons Schwyz auch eine Woche nach den nationalen Schlagzeilen weiterhin zugeknöpft. Man äussere sich nicht «zum Leistungsauftrag eines einzelnen Spitals oder generell zu Fragen, die das Arbeitsverhältnis zwischen dem Spital und seinen Mitarbeitenden betreffen», heisst es nur.

Die Ameos Gruppe hatte letzte Woche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen «in den nächsten Tagen» angekündigt. Auf Anfrage von Blick gibt sich die Spitalleitung nun plötzlich wortkarg. Man wolle keine Stellung nehmen. Weder zum Stand der angekündigten Verbesserungen für das Personal noch zu den GAV-Verhandlungen – oder zu einem drohenden Streik.


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