Auf einen Blick
- Miguel Marfil aus Glarus kämpft wegen schwerer Rückenschmerzen um IV-Rente
- Behörden bezeichnen ihn trotz vieler Operationen und Opioid-Medikation als arbeitsfähig
- Marfil lebt von 495 Franken Mietzuschuss und 750 Franken Lebensunterhalt monatlich
Miguel Àngel Marfil (48) aus Glarus geht gebückt, er schafft kaum 20 Meter ohne Pause, erträgt keinen Tag ohne Schmerzmittel. Er bräuchte dringend einen Rollator. Doch das ist für ihn eine kostspielige Angelegenheit. «Ich weiss nicht mehr weiter», stöhnt Marfil im Gespräch mit Blick.
Mit Auslaufen der Krankentaggeldversicherung vor einigen Monaten bleiben ihm noch 750 Franken zum Leben, die er monatlich vom Sozialamt erhält. Plus ein Mietzuschuss von 495 Franken. Er muss eine Wohnung teilen, seine Mitbewohnerin kommt für den grösseren Anteil der Miete auf. Als wäre sein Leid nicht genug, wurde bei Marfil kürzlich eine Depression diagnostiziert. Der gebürtige Spanier, der sein ganzes Leben in der Schweiz verbracht hat, wäre dringend auf IV-Hilfe angewiesen. Doch das zieht sich nun seit einer Ewigkeit hin, sagt Marfil. «Ich warte seit Jahren auf eine IV-Rente!»
Es geht nur noch mit Opioiden
Seine Probleme beginnen Ende 2016. Marfil arbeitete damals als Polymechaniker bei einer Firma in Niederurnen GL, erledigt seine Arbeit gerne, lebt ein normales Leben. Doch plötzlich plagen ihn schreckliche Rückenschmerzen. Er versucht es zunächst mit Schmerzspritzen: «Ich wollte nicht krankgeschrieben werden!»
Doch bald geht es nicht mehr. Marfil wird infolge eines schweren Bandscheibenvorfalls krankgeschrieben – und bleibt es bis heute. Im April 2018 wird er ein erstes Mal operiert, kurz darauf folgen zwei weitere Operationen. Aufgrund der extremen Schmerzen muss er eine Rückenversteifung vornehmen lassen. Dabei wird die Wirbelsäule operativ stabilisiert. Das lindert die Rückenschmerzen aber nicht nachhaltig. Weil Marfil regelmässig Opioide schlucken muss, darf er sowieso keine Maschinen bedienen.
Als sich abzeichnet, dass eine Rückkehr ins Arbeitsleben unmöglich ist, beantragt er am 5. Dezember 2018 eine IV-Rente. Die Behörden werden ihm später vorwerfen, der Antrag sei verspätet erfolgt. Nach dem gesetzlich festgeschriebenen Wartejahr beginnt die mehrmonatige Rentenprüfung. Dazu gehören Gespräche, Arztgutachten und der Versuch von Eingliederungsmassnahmen mit dem Ziel, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen.
Für Marfil ist die Rentenprüfung ein Horror. Er fühlt sich nicht ernst genommen. Der Berater der Eingliederungsstelle der IV Glarus habe wenige Gespräche mit ihm geführt und ihm lediglich eine Reha nahegelegt. Dafür müsste Marfil aber 3000 Franken Vorauszahlung leisten, wofür ihm die Mittel fehlen.
Der falsche Lendenwirbel schmerzt
«Nichts wurde sauber abgeklärt», ergänzt seine 40-jährige Mitbewohnerin, die nicht namentlich genannt sein will. Sie hilft beim Austausch mit den Behörden und bei alltäglichen Hausarbeiten. Ihr Mitbewohner könne nicht einmal sein Bett allein beziehen, wovon die IV schon lange Kenntnis hat, sagt sie.
Deshalb erstaunt sie und Marfil der Bescheid der Glarner Rentenprüfungskommission nach der Pandemie-bedingt verzögerten Prüfung: Die Sozialversicherungen Glarus gestehen rückwirkend von Juni 2019 bis März 2021 Rente zu, bezeichnen Marfil jedoch im Rentenbescheid, der Blick vorliegt, als «ab April 2021 wieder zu 100 Prozent arbeitsfähig». Zumindest für körperlich leichte, sitzende Tätigkeiten.
Marfil reicht Beschwerde ein, weil er mit seinen heftigen Leiden und der Notwendigkeit starker Medikamente keine Aussichten auf einen Job hat. Die Beschwerde wird jedoch abgewiesen. «Die Begründung war ein Schlag ins Gesicht», sagt Marfil: Die Operation 2018 sei an den Lendenwirbelkörpern 4 und 5 erfolgt, doch seine Schmerzen beträfen neu die Lendenwirbel 3 und 4, weshalb ein neuer Fall vorliege. Marfil behauptet, er habe immer an derselben Stelle Schmerzen empfunden und dies auch so mitgeteilt.
Dann erfährt er über seinen Anwalt, dass seit 2022 eine zweite Rentenprüfung in Gang sei. Informationen dazu erhält er von der IV nicht. Auch seine Mitbewohnerin erhält trotz Vollmacht keine Akteneinsicht und darf mit der Rentenprüfstelle nur via Anwalt kommunizieren. Die Mitbewohnerin nervt sich über die Glarner Sozialversicherungen: «Als ich bei der Integrationsstelle der IV-Glarus einen Besprechungstermin vereinbaren wollte, hiess es, es gebe wegen Mitarbeitermangel keine Terminmöglichkeit.» Das gesamte fünfköpfige Integrationsteam habe innerhalb eines Monats gekündigt.
Lange Warterei auf einen Bescheid
Helen Monioudis, Direktorin der Sozialversicherungen Glarus, widerspricht: Ein kurzzeitiger personeller Engpass im Frühling 2024 wurde «mit verschiedenen Massnahmen» aufgefangen. Sie bestätigt Blick jedoch: «Die schweizweit geregelten IV-Verfahren können über mehrere Jahre andauern, bis eine adäquate Lösung gefunden oder die Rentenprüfung abgeschlossen werden kann.»
Marfil, der im Juli 2024 eine Nackenversteifung vornehmen liess, muss weiter abwarten und sparen. Obwohl im neusten Arztbericht steht, dass er «keinesfalls arbeitsfähig» sei und sich dies durch Integrations- oder Wiedereingliederungsmassnahmen nicht ändern werde. «Ich erfülle längst alle Kriterien für eine Rente», sagt er resigniert. Mit einer speditiven Erledigung des IV-Gesuchs rechnet er trotzdem nicht.