Sie war ihr Leben lang finanziell unabhängig. Arbeitete in leitenden Positionen. Und doch sieht sich Corina Schweiger (52) aus Untersiggenthal AG in ihrer Existenz gefährdet. «Mir droht der soziale Absturz», so die diplomierte Pflegefachfrau im Gespräch mit Blick. Die steigenden Lebenshaltungskosten wachsen ihr über den Kopf. Schweiger kämpft mit den Tränen, Trost spendet ihr derzeit nur ihr Hündchen Scooby.
Wie konnte es so weit kommen? Die gebürtige Rumänin mit österreichischem Pass lebt sei fast zehn Jahren in der Schweiz, besitzt die Niederlassungsbewilligung C und ist in ihrer Gemeinde gut integriert. Doch plötzlich wird sie schwer krank, hat mehrere Spitalaufenthalte. Ein «gynäkologisches Problem», auf das sie aus Scham nicht näher eingehen mag. Ihr ist es aber wichtig, der Öffentlichkeit aufzuzeigen, dass ein kleines Versäumnis immense Auswirkungen auf die Existenz haben kann.
Schweiger ist durch eine zu wenig beachtete Masche im sozialen Sicherheitsnetz der Schweiz gefallen: Sie hat keine Krankentaggeldversicherung, ist gegen einen Krankheitsfall unzureichend finanziell abgesichert. Eine solche Versicherung gegen Erwerbsausfälle ist in der Schweiz nicht obligatorisch.
Ein Lohnausfall wegen teilweiser oder vollständiger Arbeitsunfähigkeit führt schnell zu finanziellen Engpässen. Schutz bietet die Krankentaggeldversicherung. Sie gleicht den Verdienstausfall aus: Typischerweise 80 Prozent des Lohns während maximal 720 Tagen, nach einer Wartefrist von 7 bis 90 Tagen – wobei es Abweichungen gibt. Sie ist für Arbeitgeber freiwillig, kann aber im GAV vorgeschrieben sein. Die Prämien richten sich nach versicherter Lohnsumme, Branche, Wohnort, Risiken, Alter und Geschlecht. Viele Schweizerinnen und Schweizer wissen gar nicht, ob sie über eine Krankentaggeldversicherung verfügen. Eine Rücksprache mit dem Arbeitgeber kann sich lohnen.
Ein Lohnausfall wegen teilweiser oder vollständiger Arbeitsunfähigkeit führt schnell zu finanziellen Engpässen. Schutz bietet die Krankentaggeldversicherung. Sie gleicht den Verdienstausfall aus: Typischerweise 80 Prozent des Lohns während maximal 720 Tagen, nach einer Wartefrist von 7 bis 90 Tagen – wobei es Abweichungen gibt. Sie ist für Arbeitgeber freiwillig, kann aber im GAV vorgeschrieben sein. Die Prämien richten sich nach versicherter Lohnsumme, Branche, Wohnort, Risiken, Alter und Geschlecht. Viele Schweizerinnen und Schweizer wissen gar nicht, ob sie über eine Krankentaggeldversicherung verfügen. Eine Rücksprache mit dem Arbeitgeber kann sich lohnen.
Der Dachverband Travailsuisse kennt viele Fälle wie jenen von Corina Schweiger. Viele Arbeitnehmende seien sich nicht bewusst, welche Risiken sie ohne Deckung eingehen. Auch auf politischer Ebene bestehe hier «Handlungsbedarf», wie Schweigers Beispiel zeigt.
Ausgaben und Einnahmen zunächst in Balance
Bei Schweiger lief jahrelang alles bestens. In Wien machte sie ihren Masterabschluss in Pflegewissenschaft. Im Herbst 2015 zieht sie weiter in die Schweiz: Sie tritt eine Stelle als Wohnbereichsleiterin bei den Prosenio Bethesda Alterszentren in Ennetbaden AG an. Findet problemlos eine Wohnung für sich und ihren Hund Scooby in Untersiggenthal AG. Mietkosten: 1818 Franken.
Schweiger weiss aber, dass sie aufgrund weniger Beitragsjahre in Österreich und der Schweiz einmal eine eher bescheidene Rente erhalten wird. Um damit über die Runden zu kommen, plant sie ihren Lebensabend in Rumänien. Dafür kauft sie für 90'000 Franken ein kleines Grundstück in den ländlichen Karpaten, nördlich von Bukarest. Finanziert mit einem Darlehen. Für Zins und Amortisation in der Schweiz muss sie monatlich 1379 Franken abstottern. Sie kann es sich leisten: Ihre Ausgaben sind bis dahin gut in Balance zu ihrem Einkommen. Bis die Gesundheit ihr einen Strich durch die Rechnung macht.
Ihre finanzielle Situation verschlechtert sich zusehends: Seit Januar 2021 erhöhen sich altersbedingt ihre BVG-Beiträge automatisch, so dass sie pro Monat netto 300 Franken weniger verdient. Dazu kommt die Umstellung des Steuersystems durch die C-Bewilligung: «Statt der Quellensteuer, bei der ich monatlich rund 900 Franken an den Staat abführte, musste ich neu eine jährliche Lohnsteuer zahlen.» Diese ist deutlich höher als die Quellensteuer. Dazu kommen noch die Bundessteuern.
Die Gesundheit macht nicht mit
Doch immer noch geht alles auf. Schweiger kündigt im Juli 2023 sogar ihren Job und findet «problemlos» eine neue Anstellung im Büro, als Studienschwester für kardiologische Forschung am Unispital Zürich. Diese Tätigkeit ist angesichts ihrer gesundheitlichen Probleme weniger beschwerlich und mit viel Homeoffice verbunden.
Trotzdem verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand weiter. Sie fällt oft aus, kann nur noch wenig arbeiten. Das hat Folgen: Im März 2024 wird ihr Gehalt gekürzt. Ihr Nettolohn sinkt ab April 2024 von 6820 auf neu 4630 Franken.
Das reicht kaum mehr: Zu den 3197 Franken für Miete und Kreditabzahlung gesellen sich 510 Franken für die Krankenkasse sowie die Teuerung bei Strom, TV/Internet und Mobiltelefon, Steuerraten, Hund und ein Leasing für einen kleinen Renault – sie ist wegen ihrer Krankheit auf ein Auto angewiesen.
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Wenig Aussicht auf Besserung
Schweiger gilt nur noch zu 20 Prozent als arbeitsfähig. «Mit diesem Pensum finde ich via RAV nichts Vernünftiges», weiss sie. Ein Antrag bei der IV ist pendent – einen Bescheid erhält sie aber frühestens im September. Folglich müssen die Kosten schnell runter.
Die Schuldenberatung empfiehlt ihr, die Wohnung zu kündigen und eine günstigere zu beziehen. Leichter gesagt als getan: Es gibt heute kaum mehr bezahlbaren Wohnraum. Wenn doch, wird Schweiger abgelehnt, «obwohl ich keine Betreibungen habe». Bei der Gemeinde verweist man sie lediglich auf die Wohnungssuche im Internet oder auf Notschlafstellen. «Eine Mietzusicherung konnte die Gemeinde nicht erteilen, da ich weder schutzbedürftig noch Sozialhilfeempfängerin bin», so Schweiger.
In ein paar Tagen zieht sie trotzdem aus ihrer Wohnung aus. Vorübergehend muss ein Zimmer mit Bett und Dusche für 1000 Franken im Monat in einem kleinen Gasthaus in Untersiggenthal genügen. Sie braucht einen Hauptwohnsitz für das RAV. Die Wohnungssuche geht für sie weiter. Auch überlegt sie den Verkauf des Grundstücks in Rumänien. Es werde wohl aber zu wenig einbringen, wenn es überhaupt Interessenten gäbe, sagt Schweiger.
Sie hadert nicht mit ihrem Schicksal. «Ich fühle mich halt einfach vom System im Stich gelassen», sagt Schweiger. Sie, die während der Pandemie im Gesundheitswesen zur Bewältigung der Krise beitrug, benötigt nun selbst Hilfe. Nicht, indem der Staat ihre Rechnungen bezahlt. Sie wünsche sich nur ein System, das Abstürze wie den ihren verhindert.