Entschädigung gestrichen
IV lässt Hilflose im Stich

Eine Frau ist auf psychologische Hilfe und den Spitex-Fahrdienst angewiesen. Die IV sieht das anders. Erst als der Beobachter nachfragt, bewegt sich etwas.
Publiziert: 01.07.2024 um 18:32 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2024 um 12:46 Uhr
Nina Heller ist auf Krücken angewiesen und kann keine langen Fussmärsche machen. (Symbolbild)
Foto: Getty Images
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Tina Berg
Beobachter

Nina Heller will alles richtig machen. Als die Schmerzen in ihrem Knie leicht nachlassen, behält die IV-Bezügerin das nicht für sich.

«Ich war so ehrlich und gab der IV Bescheid. Ich fürchtete, ich bekäme sonst eine Busse», erzählt sie dem Beobachter. Heute fühlt sie sich von der Behörde im Stich gelassen. «Die sitzen einfach am längeren Hebel.»

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Die 49-Jährige, die in Wirklichkeit anders heisst, hat Anspruch auf eine Invalidenrente. Das bestreitet niemand. Sie leidet an psychischen Problemen, Arthrose und unerträglichen Schmerzen in den Knien. Drei Operationen musste sie in den letzten Jahren deswegen über sich ergehen lassen.

Sie braucht Unterstützung – und die kostet

Sie ist in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Braucht Unterstützung, um den Alltag zu bewältigen. Um zum Arzt, zur Post, zum Einkaufen zu gelangen. 

Und genau darum geht es. IV-Bezügerinnen bekommen zusätzlich zur Rente eine sogenannte Hilflosenentschädigung, wenn sie allein nicht zurechtkommen.

Geld, um die Psychologin und den Fahrdienst zu bezahlen

Nina Heller erhielt seit 2021 im Monat 490 Franken, mit denen sie vor allem die Spitex-Psychologin und den Spitex-Fahrdienst bezahlte.

Sie wohnt am Ortsrand. Bus und Zug sind zu weit entfernt, und zum nächsten Lebensmittelladen ist es eine halbe Stunde Fussmarsch. Das ist keine Option, denn Heller ist auf Krücken angewiesen. Wegen der massiven Schmerzen in den Knien kann sie nicht mehr Auto fahren. Ihr fehlt die Kraft zum Bremsen. 

Im Januar 2022 entschied die IV Luzern, ihr die Hilflosenentschädigung zu streichen. Obwohl sich ihr Zustand nach der kurzen Verbesserung schon wieder rapide verschlechtert hatte. 

Die IV lässt sich mehr als zwei Jahre Zeit

Nina Heller legte Beschwerde ein. Das Kantonsgericht Luzern hob die Verfügung im Juni 2022 wieder auf, die IV müsse nochmals über die Bücher. Die IV selbst räumte im Verfahren ein, dass weitere medizinische Abklärungen nötig seien. Die Zahlungen blieben aber eingestellt.

Die IV-Stelle holte daraufhin medizinische Berichte ein. Sie kündigte im Dezember 2022 aber erneut an, dass Nina Heller künftig kein Geld mehr für die Unterstützung im Alltag bekommen solle – allerdings ohne zu sagen, ab wann das gelte. Hellers Anwalt Viktor Estermann beschwerte sich bei der Behörde. Dann geschah lange gar nichts. 

Im November 2023 hiess es bei der IV schliesslich, dass man noch den Bericht eines Orthopäden abwarte und dann «zeitnah» entscheiden werde. Drei Monate später, im Februar 2024, forderte Estermann die IV auf, das endlich zu tun. 

Inzwischen waren mehr als zwei Jahre vergangen, seit Heller die Hilflosenentschädigung gestrichen worden war. 

Kein Einzelfall

Viktor Estermann findet die Situation unhaltbar. «Die Beweislast ist bei der IV, sie hätte eine Verbesserung des Gesundheitszustands nachweisen müssen, bevor sie die Zahlung einstellte. Dieser Nachweis ist bis heute nicht erbracht.»

Der auf IV-Fälle spezialisierte Anwalt sagt, das laufe nicht nur im Fall von Nina Heller so ab. «Nach meiner Erfahrung wird häufig ohne die nötige Sorgfalt zu schnell abgeklemmt. Die IV ist immer sehr streng, bis es überhaupt Leistungen gibt. Die gleiche Strenge muss sie eigentlich auch bei der Aufhebung von solchen an den Tag legen.» Seine Klientinnen seien nämlich angewiesen auf die Unterstützung. «Das verursacht für sie viel Leid. Ihnen wird der Boden unter den Füssen weggezogen.» 

Der Fall geht in die nächste Runde

Die Frage, wieso die Behörde ohne Belege für die gesundheitliche Verbesserung die Zahlungen einstellte, beantwortet die IV Luzern nicht wirklich. Dass das Prozedere so lange dauert, liege an den notwendigen Abklärungen.

Die IV räumt aber in Bezug auf die Ankündigung im Dezember 2022 ein: «Dabei handelt es sich um einen Fehlentscheid, der nicht den rechtlichen Vorgaben entspricht. Dafür entschuldigen wir uns.» 

Hilflosenentschädigung für die letzten zehn Monate

Die Medienanfrage des Beobachters löste offensichtlich etwas aus. Denn weniger als zwei Wochen danach hatte Nina Heller den Entscheid auf dem Tisch. Inklusive Bescheid, dass sie für zehn Monate bis Ende 2022 rückwirkend die Hilflosenentschädigung ausgezahlt bekomme. Doch für die Zeit danach bleibt die IV bei ihrem Entscheid. Die Gelder werden gestrichen, weil es ihr angeblich besser geht. Dagegen hat ihr Anwalt erneut interveniert. 

Nina Heller sucht derweil nach einer neuen Wohnung, damit sie in Zukunft nicht mehr so abgeschnitten von allem ist.

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