Geflüchtete Afghanin (20) legt ihr Budget offen
«Ich habe 1800 Franken pro Monat auf dem Konto»

Für die Beobachter-Serie legen Leute ihr Einkommen offen. Fatima Rahimi kommt knapp durch – solange keine Stromrechnungen ins Haus flattern.
Publiziert: 14.12.2024 um 10:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2024 um 12:50 Uhr
Die junge geflüchtete Afghanin öffnet für den Beobachter ihr Portemonnaie.
Foto: Zvg

Auf einen Blick

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Katrin Reichmuth
Beobachter

In der Beobachter-Serie «Die Abrechnung» zeigen unterschiedliche Menschen ihren Kontoauszug – und erzählen, wie sie mit ihrem Budget leben. Wie viel Geld steht ihnen zur Verfügung? Wofür geben sie es aus?

Zum Beispiel die Afghanin Fatima Rahimi, die in Wirklichkeit anders heisst.

Meine Person

Ich bin 20 und vor über zwei Jahren in die Schweiz geflüchtet. Nach der Machtergreifung der Taliban vor über drei Jahren verschlechterte sich die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan massiv.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Meine Mutter wurde bedroht und musste untertauchen. Seither bin ich auf mich allein gestellt. Ich habe ein humanitäres Visum bekommen und durfte in die Schweiz einreisen, um Asyl zu beantragen.

Meine Situation

Im Dezember 2022 erhielt ich den Asylentscheid: Ich wurde als Flüchtling anerkannt und bekam einen B-Ausweis. Zuerst lebte ich einige Monate in einer temporären Wohnsiedlung in der Stadt.

Seit letztem Herbst miete ich nun ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft im Zürcher Tösstal. Zudem besuche ich seit August die Sekundarschule für Erwachsene. Ich möchte im Sommer eine Lehre als Pharma- oder Dentalassistentin machen. Leider habe ich noch nichts gefunden.

Mein Deutsch ist gut. Ich habe von Anfang an mit allen Leuten Deutsch geredet, auch wenn ich natürlich Fehler machte. Dank der Deutschkurse und mit viel Fleiss komme ich heute in allen Alltagssituationen sprachlich gut durch. Englisch beherrsche ich ebenfalls. Das habe ich durch Filme und Cartoons gelernt. Meine Muttersprache ist Persisch.

Einnahmen

Seit über einem Jahr bekomme ich Sozialhilfe von meiner Wohngemeinde. Das Sozialamt erstellt für mich ein Budget. Es soll sicherstellen, dass der Grundbedarf, die Wohnkosten und die medizinische Grundversorgung gedeckt sind. Für die ersten beiden Positionen erhalte ich zusammen 1480 Franken.

Die Krankenkassenprämie wird direkt von der Sozialhilfe bezahlt. Dazu kommen situationsbedingt Leistungen: In meinem Fall sind das 170 Franken pro Monat für den ÖV zur Schule und das Mittagessen dort. In den Ferien fällt das weg. Weiter bekomme ich einen Integrationszuschlag von 150 Franken pro Monat. Total gelangen so monatlich ungefähr 1800 Franken auf mein Konto.

Ausgaben

Wohnen: Ich miete ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Mit meinem Mitbewohner teile ich die Küche, Bad und das Wohnzimmer. Für die Miete, inklusive Nebenkosten, zahle ich jeden Monat 775 Franken.

Nicht eingerechnet sind die vierteljährlichen Stromkosten des regionalen Elektrizitätswerkes, die jährlichen Serafe-Gebühren (335 Franken) und die Nachzahlungen der Heiz- und Nebenkostenabrechnungen.

Die drei Posten teilen sich mein Mitbewohner und ich hälftig. Die Stromkosten sind sehr unterschiedlich: Mein Anteil der letzten Abrechnung war 80 Franken. Drei Monate davor lediglich die Hälfte.

Die Nachforderung für die Heiz- und Nebenkostenabrechnung war dieses Jahr sehr hoch. Ich hätte 440 Franken auf einmal bezahlen sollen. Dieses Geld hatte ich nicht. Kulanterweise hat mir das Sozialamt die Rechnung bezahlt.

Telefon und Internet: Mein Handy habe ich in Afghanistan gekauft. Es funktioniert auch in der Schweiz einwandfrei. Die monatlichen Kosten für mein Handyabo liegen bei knapp 20 Franken. Darin enthalten sind unlimitiertes Internet und Anrufe innerhalb der Schweiz.

Mit Freundinnen in Afghanistan telefoniere ich hin und wieder übers Internet. Manchmal haben sie aber kein Netz. Dann rufe ich sie an, lasse klingeln, bis jemand abnimmt, und hänge sofort wieder auf. So weiss ich, dass alles in Ordnung ist. Dieser kurze Anruf kostet mich dann gleich zehn Franken.

Gesundheit: Die Sozialhilfe übernimmt monatlich die Prämien für meine Grundversicherung. Das sind 302 Franken. Zudem werden der Selbstbehalt und die Franchise übernommen.

Die Sozialhilfe verlangt, dass ich die tiefstmögliche Franchise habe – um die Kosten und das Risiko gering zu halten.

Ich war dieses Jahr einmal beim Augenarzt, weil meine Augen so trocken waren. Die Ärztin hat mir Augentropfen verschrieben, die muss ich nicht selber zahlen.

Mit meiner Zahnstellung habe ich schon lange Probleme. Eigentlich müsste ich zwei Zähne ziehen und dann eine Spange einsetzen lassen. Das kostet aber sehr viel und wird nicht übernommen.

Anscheinend handelt es sich nicht um eine sogenannt zweckmässige Zahnsanierung. Das heisst wohl, dass der Eingriff aus Sicht des Amtes nicht unbedingt notwendig ist.

Versicherung: Ich habe eine Hausrat- und Privathaftpflichtversicherung. Die jährliche Prämie beträgt 205 Franken. Die Sozialhilfe übernimmt die Kosten vollständig.

Mobilität: Ich nehme jeden Tag den Zug zur Schule, ausser in den Schulferien. Das dauert von Tür zu Tür eine Stunde, und ich durchfahre vier Zonen. Mit dem Jugendtarif kostet das monatliche Zonenabo 86 Franken. Dieser Betrag wird mir während der Schulzeit jeden Monat vom Sozialamt überwiesen.

Verpflegung ausser Haus: Ich erhalte 88 Franken für die auswärtige Verpflegung am Mittag. In den Schulferien erhalte ich kein Geld. Das vegetarische Menü in der Mensa kostet 10 Franken, ein Kebab beim Take-away nebenan 12 Franken.

Anfang Monat habe ich noch mehr Geld auf dem Konto, dann esse ich ungefähr zweimal pro Woche am Mittag auswärts. Ende Monat habe ich dann meistens kein Geld mehr und nehme was von zu Hause mit.

Manchmal gönne ich mir einen Coffee-to-go (Fr. 4.60). Denn: Ich wechsle am Flughafen Zürich vom Bus auf den Zug und habe Zeit für einen Kaffee. Seit zwei Monaten habe ich das aber nicht mehr gemacht, weil die Stromrechnung so teuer war.

Ich kann aber entscheiden, ob ich zum Beispiel bei den Kleidern spare und mir damit mehr Geld für Lebensmittel zur Verfügung steht.

Grundbedarf total: Die Sozialhilfe ist von Kanton zu Kanton und auch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. In Zürich erhält eine Einzelperson, die in einer Wohngemeinschaft lebt, monatlich 789 Franken.

Damit muss ich nicht nur Lebensmittel, Hygieneprodukte und Coiffeur bezahlen, sondern auch Kleidung und Schuhe, Ferien und Freizeit sowie Serafe-Gebühren und Stromkosten.

Haushalt: Reis, Pasta und Tiefkühlpizza habe ich eigentlich immer zu Hause. Ich koche viel, weil das am günstigsten ist. Aber manchmal bin ich einfach zu müde, und dann schiebe ich etwas aus dem Tiefkühler in den Ofen.

Meistens kaufe ich im Denner ein, weil er sich auf dem Weg von der Busstation zu meiner Wohnung befindet. Ich trinke weder Alkohol noch rauche ich. Das ist ein religiöser Entscheid.

Meine langen Haare lasse ich nur einmal im Jahr schneiden. Das kostet mich 90 Franken. Ich habe Haarausfall und kaufe mir online ein spezielles Shampoo, dafür gebe ich alle drei Monate 15 Franken aus.

Alles in allem gebe ich für den Haushalt monatlich 670 Franken aus – also etwas weniger, als mir im Budget zur Verfügung steht.

Kleidung und Schuhe: Ich bin mit einem Koffer voller Kleider in die Schweiz gekommen. In der Asylunterkunft haben wir Kleider für den Winter bekommen. Leider war die Qualität nicht so gut, und sie haben nicht lange gehalten.

Viel kaufe ich mir nicht. Aber trotzdem möchte ich mir ab und zu etwas gönnen. Ich lege Wert auf ein gepflegtes Äusseres und mag einen modischen Pullover oder eine schöne Hose.

Meistens kaufe ich bei H&M oder Zara ein. Ich habe mir diesen Winter eine Winterjacke für 150 Franken gekauft. Und: Turnschuhe von Puma für 70 Franken. Im Schnitt komme ich pro Monat auf 80 Franken.

Freizeit: Ich habe wenig Freizeit, weil ich fünf Tage pro Woche mehr oder weniger in der Schule bin. Zweimal pro Woche gehe ich ins Fitness. Die jährliche Mitgliedschaft kostet 900 Franken. Das Fitnesscenter hat mir einen Rabatt gegeben. Diese Kosten übernimmt eine Stiftung. Darüber bin ich sehr glücklich. Das Training tut mir gut.

Am Wochenende verbringe ich meine Zeit mit meinen zwei Freundinnen. Beide habe ich im Asylzentrum kennengelernt. Eine ist ebenfalls aus Afghanistan, die andere aus Syrien. Ausgang interessiert uns nicht. Wir kochen lieber zusammen, schauen einen Film oder quatschen.

Ferien: Eine Freundin von mir wohnt in Bologna. Ich besuche sie dreimal pro Jahr. Je früher ich das Zugbillett kaufe, desto günstiger ist es. Letztes Mal musste ich 100 Franken zahlen. Das war sehr teuer. Ich habe aber auch schon die Hälfte bezahlt. Mehr als 200 Franken pro Jahr kann ich dafür nicht ausgeben.

Altersvorsorge: Darum kümmere ich mich, wenn ich eine abgeschlossene Ausbildung habe und Geld verdiene.

Steuern: Ich zahle keine Steuern.

Was ist der grösste Luxus, den Sie sich je geleistet haben?

Ich war mit einer Freundin in der Stadt, und wir haben uns beide ein Parfüm für 60 Franken gekauft. Das war mit Rabatt. Eigentlich wären es über 80 Franken gewesen.

So fühle ich mich

Ich habe mehr Geld zur Verfügung als noch zu Beginn. Das ist schön. Aber manchmal wird es wirklich knapp. Vor allem, wenn ich Stromrechnungen zahlen muss. Dann muss ich die Schraube anziehen.

So oder so: Ich bin Ende Monat meistens auf null. Es kann auch vorkommen, dass ich meinen Mitbewohner oder meine Freundinnen um Geld bitten muss – meist zwischen 100 oder 150 Franken. Manchmal sind sie aber auch knapp bei Kasse.

Ich möchte eine Ausbildung machen, damit ich später mein eigenes Geld verdiene und unabhängig bin.

Meine ersten zwei Ziele sind: Geld auf die Seite legen, damit ich den Führerausweis machen kann – und dann in eine eigene Wohnung ziehen.

Aufgezeichnet von Katrin Reichmuth 

Hier finden Sie die bisherigen Folgen der Rubrik «Die Abrechnung». 

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