Erbvolumen nimmt weiter zu
Schweizer erben fast 90 Milliarden – doppelt so viel, wie die AHV auszahlt

Erbschaften spielen eine wichtige Rolle in der Wirtschaft. Das zeigt schon nur die schiere Summe, die schweizweit vererbt wird.
Publiziert: 20.02.2024 um 00:11 Uhr
|
Aktualisiert: 20.02.2024 um 11:14 Uhr
1/5
Fast 90 Milliarden Franken wechseln in der Schweiz pro Jahr mittels Erbschaft die Hand.
Foto: Andrea Piacquadio/Pexels
RMS_Portrait_AUTOR_293.JPG
Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Wie viel wird vererbt?

Im Jahr 2022 wechselten laut Marius Brülhart (56), Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne, rund 88 Milliarden Franken per Erbschaft den Eigentümer. Davon umfassten Schenkungen und Erbvorbezüge 23 Milliarden Franken, also etwa einen Viertel des Gesamtvolumens. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben der AHV beliefen sich im selben Zeitraum auf rund 47,8 Milliarden Franken.

Hat sich diese Summe in den letzten Jahren erhöht?

Ja. Laut Brülhart sind zwischen 2014 und 2021 die Erträge der Erbschafts- und Schenkungssteuern im Schnitt um jährlich 4,7 Prozent gestiegen. Das ist ein beinahe dreimal so starker Anstieg wie das durchschnittliche Wirtschaftswachstum im gleichen Zeitraum (1,6 Prozent).

Wie entwickelt sich die Erbmasse weiter?

«Das Erbvolumen wird wahrscheinlich weiterhin zunehmen, sowohl in Franken als auch im Verhältnis zum Volkseinkommen», sagt Brülhart. Zum einen haben wir in der Schweiz eine international rekordhohe Sparquote, oft bis ins hohe Alter. Zum anderen steigen die Immobilienpreise und Aktienkurse weiterhin stärker als das Volkseinkommen.

Wie ist die Verteilung?

Bei 9 Millionen Einwohnern würden dieses Jahr im Schnitt pro Person in der Schweiz rund 10'000 Franken an Erbschaft anfallen. Doch die Verteilung der Erbsummen widerspiegelt die ungleiche Verteilung der Vermögen: 10 Prozent der Erben in der Schweiz erhalten laut einer ZHAW-Studie rund 75 Prozent des Erbvolumens. Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung erbt gar nichts.

Wie alt sind die Erbbegünstigten?

Laut einer Vorsorgestudie des Versicherungskonzerns Axa erben die meisten Schweizerinnen und Schweizer erst, wenn sie selber das Pensionsalter erreicht haben. Nur 10 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer haben bereits vor Erreichen des 60. Altersjahrs aufgrund eines Todesfalls geerbt. Das widerspiegelt sich in der Vermögensverteilung: Nur 14 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer unter 30 Jahren besitzen ein Vermögen von über 250'000 Franken, bei den 60- bis 65-Jährigen sind es 48 Prozent.

Sollte man Erbvorbezüge oder Schenkungen fördern, um die Wirtschaft zu beflügeln?

Müssten Vermögen nicht möglichst an Menschen übertragen werden, die noch etwas damit anfangen können? Also eine Ausbildung machen, ein Unternehmen gründen oder ein Haus kaufen? «In den Daten sehen wir, dass erhaltene Schenkungen und Erbschaften von Empfängern im arbeitsfähigen Alter in erster Linie dafür genutzt werden, Arbeitspensen zu reduzieren oder früher in Rente zu gehen», sagt Brülhart. Wenn das Ziel sei, die Leistungsanreize der arbeitsfähigen Altersgruppen zu stärken, dann sei es gar nicht so falsch, die Vermögen unter Rentnerinnen und Rentnern zirkulieren zu lassen.

Darf ich bestimmen, wer mein Vermögen erbt?

Seit Januar 2023 ist das teilrevidierte Schweizer Erbrecht in Kraft. Mit den neuen Bestimmungen kann man flexibler und selbstbestimmter entscheiden, wer wie viel des Nachlasses erhalten soll. Laut ZHAW-Studie ist der Anteil jener, die sich mit der Standardlösung begnügen – also der Regelung der Erbschaft durch den Gesetzgeber – weiterhin hoch. Ob die Zahl der Testamente und Vorsorgeaufträge zunimmt, untersucht Brülhart aktuell.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.