Am 1. Januar 2023 ist die Revision des Schweizer Erbrechts in Kraft getreten. Erstmals seit 100 Jahren ist es damit zu wichtigen Änderungen gekommen, was angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Zusammenleben nicht erstaunt: Scheidungen sind an der Tagesordnung, Patchwork-Familien nichts aussergewöhnliches und das Konkubinat eine Alternative zur traditionellen Ehe.
Was ab Anfang dieses Jahres gilt - und was man generell regeln und beachten muss.
Wer in der Schweiz erbberechtigt ist
Mit dem neuen Gesetz stehen die überlebende Ehepartnerin oder der überlebende Ehepartner, die überlebende eingetragene Partnerin oder der überlebende eingetragene Partner und die Nachkommen an erster Stelle. Letztere umfassen Kinder, Enkelinnen und Enkel, Urenkelinnen und Urenkel. Der faktische Lebenspartner oder die faktische Lebenspartnerin ist nicht erbberechtigt. Trotz entsprechender Vorschläge wurde das Erbrecht diesbezüglich nicht geändert.
Wenn die oder der Verstorbene keine Ehepartner, eingetragene Partner oder Nachkommen hat, so erben die Eltern oder deren Nachkommen, wie zum Beispiel die Schwester der oder des Verstorbenen. Gibt es auch keine Eltern oder Kinder der Eltern, dann erben die Grosseltern oder deren Kinder. Hinterlässt die Erblasserin oder der Erblasser keine Nachkommen, so fällt die Erbschaft an den Kanton, in dem die verstorbene Person den letzten Wohnsitz gehabt hat. Oder an die Gemeinde, die von der Gesetzgebung des betroffenen Kantons als berechtigt bezeichnet wird.
Daher gilt: Wenn nicht anders festgelegt, erhalten Kinder und Ehepartnerin je die Hälfte des Nachlasses. Dies ist der gesetzliche Erbteil. «Ich brauche kein Testament und keinen Erbvertrag, wenn ich die gesetzliche Regelung kenne und damit einverstanden bin. Eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern ist sich bewusst, dass ihre beiden Kinder den gesamten Nachlass zur Hälfte erben und will dies auch so», sagt Rechtsanwalt Roberto Fornito von der Anwaltskanzlei Bratschi auf Anfrage von cash.ch.
Wie die Situation beim Konkubinat aussieht
Obwohl in der Schweiz als Form des Zusammenlebens weit verbreitet, hat sich an der Stellung von Konkubinatspartnern die Revision des Erbrechts - wie bereits oben angedeutet - nichts geändert. Diese haben weiterhin kein gesetzliches Erbrecht. Begünstigungen von Konkubinatspartnern müssen also weiterhin testamentarisch oder vertraglich geregelt werden.
Wer aus steuerlichen Gründen nicht heiratet - auch um die doppelte Einzelrente der AHV zu beziehen - muss sich auch bewusst sein, dass unter Umständen hohe Erbschaftssteuern anfallen, wenn sich nicht verheiratete Paare gegenseitig begünstigen. Im Kanton St. Gallen beträgt der Steuersatz 30 Prozent. In gewissen Kantonen wie Zürich oder Basel-Stadt bestehen privilegierte Steuersätze oder höhere Freibeträge für Konkubinatspaare und im Kanton Schwyz zahlt man generell keine Erbschaftssteuer.
Was sich bei den gesetzlichen Pflichtteilen ändert
«Mit der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Revision hat es zahlreiche Änderungen gegeben. Die wichtigste ist meines Erachtens der Entfall des Pflichtteils der Eltern und die Reduktion der Pflichtteile der Kinder von drei Viertel auf die Hälfte», sagt Rechtsanwalt Fornito. Lebt ein Ehegatte oder eingetragener Partner noch, hat dieser und die Kinder Anspruch auf einen Mindestanteil von einem Viertel am Erbe.
Dadurch vergrössere sich die Verfügungsfreiheit bei Personen mit Nachkommen auf die Hälfte des Nachlasses - von bisher ein Viertel (nicht verheiratete Personen mit Nachkommen) beziehungsweise drei Achtel (verheiratete Personen mit Nachkommen). Zudem ist es bei verheirateten Personen ohne Nachkommen nicht mehr notwendig, mit den Eltern einen Erbverzichtsvertrag abzuschliessen, wenn man den überlebenden Partner als Alleinerben einsetzen will. Die Pflichtteile der Eltern fallen weg.
Aber aufgepasst: «Verheiratete Personen ohne Nachkommen glauben häufig, der überlebende Ehegatte erbe von Gesetzes wegen alles. Das ist nicht automatisch der Fall. Wenn der überlebende Ehegatte mit dem elterlichen Stamm des verstorbenen Ehegatten erbt, ist sein Erbanteil drei Viertel», sagt Fornito gegenüber cash.ch. Seien noch Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen des verstorbenen Ehegatten vorhanden, erben diese somit einen Viertel, sofern sie nicht mittels Verfügung von der Erbschaft ausgeschlossen werden. Es gebe zwar seit der Revision keine Pflichtteile der Eltern mehr, an der gesetzlichen Erbfolge habe sich aber nichts geändert.
Wie das neue Erbrecht Schenkungen regelt
Gegenüber früher gilt neu bei der Erbregelung mit einem Erbvertrag der Grundsatz des Schenkungsverbot. Was bedeutet, dass Schenkungen - abgesehen von Gelegenheits-Geschenken wie der Batzen zum Geburtstag oder der Gutschein zur Hochzeit - nach Abschluss eines Erbvertrags grundsätzlich anfechtbar sind. Dies kann umgangen werden, wenn der Erbvertrag solche Schenkungen ausdrücklich erlaubt.
Um Streitigkeiten zu vermeiden, sollte man daher im Erbvertrag Anpassungen und Ergänzungen vornehmen: Ob und in welcher Höhe Geschenke möglich sind, sollte man explizit darin festhalten. Erschwerend kommt aber hinzu, dass alle Parteien mit den Neuerungen einverstanden sein müssen. Und wenn eine Vertragspartei bereits verstorben ist, ist eine Änderung nicht mehr möglich.
Auch lauern bei Schenkungen generell Fallstricke: «Bei Vorempfängen glauben viele, dass der Wert der Schenkung per Übertragungszeitpunkt massgeblich sei. Abgestellt wird aber auf den Wert der Schenkung per Todestag. Dies kann zum Beispiel bei einem Grundstück dazu führen, dass Jahrzehnte nach der Übertragung wesentlich mehr auszugleichen ist, als ursprünglich angenommen», warnt Fornito. Man könne dies durch eine Ausgleichungsanordnung oder -vereinbarung nur beschränkt ausschliessen, wenn Pflichtteilsrechte zu beachten sind.
Wie die Nutzniessung geregelt ist
Die Nutzniessung spielt im Erbrecht häufig eine wichtige Rolle, da sie dem Erblasser oder der Erblasserin die Möglichkeit gibt, einer Person das Recht auf die Nutzung eines Vermögenswerts zu erteilen, ohne ihr auch das Eigentum am Vermögenswert übertragen zu müssen. Neu kann man dem Ehegatten oder der eingetragenen Partnerin die Hälfte des Nachlasses als Eigentum und die andere Hälfte zur Nutzniessung zuteilen - bis Anfang Januar war dies ein Viertel und drei Viertel.
Sollte der überlebende Ehegatte oder die überlebende eingetragene Partnerin erneut heiraten, entfällt aber die Nutzniessung am Erbanteil der Kinder. Wenn man neu Ehegatten stärker begünstigen möchte, indem ihm oder ihr die Hälfte des Nachlasses als Eigentum und die andere Hälfte zur Nutzniessung zugesprochen wird, sollte dieser Wunsch im Testament so explizit und so genau wie möglich formuliert werden.
Was bei Tod während des Scheidungsverfahrens geschieht
Ehepartner oder eingetragene Partnerinnen verlieren neu ihren Anspruch auf den Pflichtteil schon während des Scheidungsverfahrens. Bis Ende 2022 war dies erst nach dem Urteil der Fall. Zudem werden Begünstigungen des Ehegatten in einem Testament oder Erbvertrag während des Scheidungsverfahrens neu automatisch nichtig. Die Scheidung hinauszuzögern, bis die betroffene Person stirbt, zahlt sich finanziell nicht mehr aus. Es besteht aber auch folgende Möglichkeit: Mit einem einfachen Testament kann neu der in Scheidung stehende Ehepartner respektive die in Scheidung stehende Ehepartnerin vollständig enterbt werden. Damit kann auch der gesetzliche Erbteil aufgehoben werden.
Was mit Testamenten passiert, die vor dem Jahr 2023 geschrieben wurden
Auch für Testamente, die vor dem 1. Januar 2023 geschrieben wurden, gilt das neue Erbrecht - falls der Todesfall nicht vor dem Datum der Gesetzesrevision eingetreten ist. Wenn also zum Beispiel Schenkungen gemacht wurden oder von Pflichtteilen die Rede ist, kommt automatisch die neue Regelung zur Anwendung. Daher sollte man prüfen, ob das Testament auch mit den neuen Regelungen für einen noch in Ordnung ist oder ob man es ergänzen oder ein neues aufsetzen will. Beides muss man wie zuvor vollständig handschriftlich machen und das Testament mit Datum und Unterschrift versehen. Man kann zudem im ergänzten oder neuen Testament alle vorherigen Testamente widerrufen. Erbverträge wiederum werden beim Notariat abgeändert. Dies geht aber nur, wenn alle Vertragsparteien einverstanden sind.
Wie das Vererben von Aktien und Obligationen funktioniert
Werden Aktien oder Obligationen vererbt und danach veräussert, ist ein privater Kapitalgewinn nicht steuerbar. Werden aber Aktien von US-Unternehmen, US-Devisen oder US-Obligationen vererbt, müssen grundsätzlich auch die Deklarations- und Steuerpflichten in den USA geprüft werden. «Die Übertragung von Aktien oder anderen Wertschriften aus einem Depot des Erblassers auf ein Depot eines Erben kann hohe Bankgebühren zur Folge haben», sagt Fornito von der Anwaltskanzlei Bratschi. Manchmal übernehme das übernehmende Institut die Kosten für den Erwerber. Häufig sei es aber günstiger, das Depot zu liquidieren und aus dem verteilten Erlös Wertschriften zu erwerben. Zudem liegen bis zur Übertragung oder Erbteilung der Nutzen - namentlich Dividenden - und Gefahr bei der Erbengemeinschaft. Weil oft unterschiedliche Interessen und Risikoprofile vorliegen, sollte laut Fornito die Zuteilung möglichst rasch erfolgen.
Was mit der Pensionskasse und Säule 3a passiert
Ein Grossteil der Vermögen wird heute über die zweite und dritte Säule weitergegeben. Diese Sondervermögen - auch Lebensversicherungen - folgen nicht den erbrechtlichen Regelungen, sondern anderen Gesetzen und Reglementen. Man kann daher eine Erbschaft ausschlagen und behält gleichwohl allfällige Vorsorgeansprüche.