cash.ch: Am 1. Januar 2023 ist die Revision des Schweizer Erbrechts in Kraft getreten. Was sind die wichtigsten Änderungen?
Roberto Fornito: Man hat schon früher punktuell Veränderungen vorgenommen am Erbrecht, aber jetzt eine umfassendere Revision gewollt. Dabei ist die wichtigste Änderung, dass die Verfügungsfreiheit erhöht wurde. Konkret wurde der Pflichtteil der Eltern abgeschafft und derjenige der Kinder auf die Hälfte reduziert. Zudem kann man dem überlebenden Ehegatten nebst der Nutzniessung neu die Hälfte des Nachlasses – bisher ein Viertel – zu Eigentum zuwenden.
Welche Punkte der Revision sind auch relevant?
Ehegatten im Scheidungsverfahren verlieren ihren Pflichtteilsanspruch, wenn die Voraussetzungen für eine Scheidung – gemeinsames Begehren oder zwei Jahre getrennt – gegeben sind. Man kann daher den künftigen Exgatten bereits im Scheidungsverfahren testamentarisch enterben.
Inwiefern war diesbezüglich das Erbrecht vor der Revision problematisch?
Früher war es so, dass ältere Ehepaare teilweise Scheidungsverfahren bewusst verzögert haben und auf eine biologische Lösung hofften. Denn die Erbberechtigung erlosch erst mit Rechtskraft der Scheidung.
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Was wurde sonst noch fixiert, was zuvor für Unklarheiten sorgte?
Es war zum Beispiel bisher streitig, wie sich der Pflichtteil der gemeinsamen Kinder berechnet, wenn dem überlebenden Ehegatten die gesamte Errungenschaft zugewiesen wird. Im Ehe- und Erbvertrag kann man auf der Ebene Güterrecht regeln, dass alles, was man während der Dauer der Ehe gemeinsam erwirtschaftet hat, der Überlebende bekommt und nicht in den Nachlass fällt. In den Nachlass geht dann nur das Eigengut.
Was gilt es denn bei der Ehe konkret zu beachten, wenn es um das Vererben geht?
Wenn man verheiratet ist, geht es in einem ersten Schritt darum, dass man auseinanderdividiert, wem was gehört, wenn einer stirbt. In den Nachlass fällt nur das, was dem Verstorbenen gehört hat. Wenn man eine Gütertrennung hat, sind die beiden Massen getrennt. Wenn man eine Gütergemeinschaft hat, hat man einen grossen gemeinsamen Topf, der halbiert wird. Beim ordentlichen Güterstand mit der Errungenschaftsbeteiligung hat man vier Töpfe - Eigengut Ehemann, Errungenschaft Ehemann, Eigengut Ehefrau und Errungenschaft Ehefrau. Hier gibt es Möglichkeiten, dass möglichst wenig in den Nachlass geht, wenn man nur gemeinsame oder keine Kinder hat. Bei einer Patchwork-Konstellation entfallen diese Möglichkeiten zu einem grossen Teil.
Ist die Abgrenzung der Töpfe nach vielen Jahren der Ehe nicht schwierig?
Das ist so. Bei einem Ehe- und Erbvertrag macht man deshalb eine Momentaufnahme. Wenn jemand 50'000 Franken in die Ehe eingebracht hat und man bezahlt mit diesem Geld die Flitterwochen, dann ist dieses Geld weg. Es gibt sehr komplexe Abgrenzungen, die vor allem bei Scheidungsverfahren eine Rolle spielen.
Macht es Sinn, die Vermögenslage frühzeitig festzuhalten, um Streit um den Nachlass zu vermeiden?
Ja, das ist sinnvoll. Nur so lässt sich ermitteln, was dem überlebenden Ehegatten gehört und was in den Nachlass fällt. Mit zunehmendem Zeitablauf weiss kein Mensch mehr, was in die Ehe eingebracht, was geerbt und wie investiert wurde.
Immer mehr Menschen leben im Konkubinat. Was gilt hier?
Den Begriff Konkubinat wird man im Erbrecht nicht finden. Vorschläge zur Besserstellung des faktischen Lebenspartners fanden im Parlament keine Zustimmung. Dieser wird so erbrechtlich wie ein fremder Dritter behandelt. Es besteht kein gesetzlicher Erbanspruch. Man muss aktiv werden, wenn man seinen Lebenspartner oder seine Lebenspartnerin von Todes wegen begünstigen will. Es braucht ein Testament oder einen Erbvertrag. Immerhin kann man nach neuem Recht dem Lebenspartner die Hälfte des Erbes zuwenden, wenn Kinder vorhanden sind – bisher war es nur ein Viertel.
Gibt es weitere Nachteile?
Zahlreiche kantonale Steuergesetze behandeln den faktischen Lebenspartner wie eine fremde Drittperson, was zum Beispiel im Kanton St. Gallen dazu führt, dass 30 Prozent Erbschaftssteuern abzuliefern sind. Andere Kantone wie die Kantone Aargau, Bern oder Basel-Stadt sind da etwas liberaler. Es sind daher immer auch die steuerlichen Auswirkungen zu prüfen, um böse Überraschungen zu vermeiden. Es kann unter steuerlichen Gesichtspunkten sinnvoller sein, den Partner oder die Partnerin über die zweite oder dritte Säule zu begünstigen oder diesem statt das volle Eigentum nur eine Nutzniessung oder ein Wohnrecht zuzuwenden.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
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Wie regelt das neue Erbrecht Schenkungen? Wo lauern hier Fallstricke?
Grundsätzlich gilt nichts anderes als nach altem Erbrecht. Bei Erbverträgen können Schenkungen, die nicht mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag vereinbar sind, angefochten werden. Das war bereits nach altem Recht so. Neu ist, dass im Vertrag ein Vorbehalt angebracht werden muss, wenn der Erblasser zu Lebzeiten weiterhin frei über sein Vermögen verfügen will. Die konkreten Auswirkungen sind jedoch noch unklar.
Können Sie ein Beispiel geben?
Drei Söhne haben mit den Eltern einen Erbverzichtsvertrag abgeschlossen. Alles geht auf den überlebenden Ehegatten. Erst wenn dieser verstirbt, kommen die Kinder zum Zuge. Der eine Sohn ist in das Ausland ausgewandert und hatte nichts mehr mit der Familie zu tun. Der Vater ist gestorben und die Mutter hat 1,6 Millionen Franken und unter anderem Liegenschaften geerbt. Nachdem die Mutter nach weiteren zehn Jahren starb, war nichts mehr da. Das Geld war weg und die Liegenschaften waren bereits zu Lebzeiten der Mutter an die beiden Söhne übertragen worden. Unsere Haltung war dann, dass man gegenüber dem überlebenden Elternteil verzichtet hat und nicht zugunsten der Geschwister. Das Kantonsgericht St. Gallen fand es in Ordnung, da im Vertrag keine Verfügungsbeschränkung enthalten war. Die Schenkungen waren daher nicht anfechtbar. Heute wäre eine Anfechtung einfacher.
Inwiefern macht bei der Nachlassplanung eine Nutzniessung Sinn?
Wenn Ehegatten ihr gesamtes Vermögen in eine Liegenschaft oder in ein Geschäft investiert haben und im Rahmen der Erbteilung die Nachkommen abgefunden werden müssen, fehlt die Liquidität. In solchen Konstellationen ist es sinnvoll, dem überlebenden Ehegatten das Recht einzuräumen, anstelle der maximalen Erbquote – drei Viertel – nur die Hälfte der Erbschaft zu beanspruchen, verbunden mit der Nutzniessung an der anderen Hälfte. Das gesamte eheliche Vermögen verbleibt so beim überlebenden Ehegatten, wenngleich nicht zur freien Verfügung.
Kann man eine Nutzniessung anfechten?
Mit der Nutzniessung kann man auch erreichen, dass der überlebende Ehegatte nicht mehr über Teile des Vermögens verfügen kann, weil das «nackte» Eigentum bereits auf die Letztbegünstigten übergeht. Wird die Nutzniessung einseitig angeordnet und nicht erbvertraglich vereinbart, können solche Verfügungen allerdings den Pflichtteil des überlebenden Ehegatten verletzen und entsprechend angefochten werden.
Auf was soll man beim Vererben von Aktien und Obligationen achten?
Die Vererbung von Aktien und Obligationen ist grundsätzlich unproblematisch, weil es sich dabei um leicht veräusserbare Nachlassaktiven handelt. Ich empfehle jeweils, diese sofort zu verteilen. Bedingungen und Auflagen des Erblassers, muss sich ein Erbe nur gefallen lassen, wenn damit sein Pflichtteil nicht verletzt wird.
Wie verhält es sich bei Immobilien?
Die Vererbung von Immobilien ist aus mehreren Gründen mit Problemen behaftet: Teilungsvorschriften zugunsten des einen oder anderen Kindes führen zwangsläufig zu einer Ungleichbehandlung, namentlich bei Liegenschaften mit einem emotionalen Wert. Die Bewertung von Liegenschaften ist zudem keine exakte Wissenschaft. Den wirklichen Wert erfährt man nicht nach vielen Gutachten, sondern wenn man die Liegenschaft tatsächlich auf den Markt wirft. Und aufgrund der in der Regel aufgeschobenen Grundstückgewinnsteuer übernimmt der übernehmende Erbe die latente Steuerlast.
Inwiefern spielt das Steuerthema hier eine Rolle?
Die Steuer realisiert sich erst bei einem Weiterverkauf und unter Umständen gar nicht, wenn das Grundstück von Generation zu Generation weitervererbt wird. Die Frage, wie latente Steuerlasten fairerweise zu berücksichtigen sind, führt immer wieder zu Streit. Werden Grundstücke bereits zu Lebzeiten übertragen, stellt sich die Frage der Ausgleichung, die im Rahmen der Erbteilung häufig zu Kontroversen führt. Es gibt immer wieder Fälle, wo Kinder sich nicht nur wirtschaftlich, sondern persönlich unfair behandelt fühlen.
Welches sind insgesamt die häufigsten Streitpunkte, die mit der Erbschaft entstehen?
Der Streit dreht sich häufig um Ausgleichungspflichten – wer muss sich was an lebzeitigen Zuwendungen anrechnen lassen –, Bewertungsfragen – namentlich bei Grundstücken und Unternehmen – und letztlich die vermeintliche oder tatsächliche Ungleichbehandlung.
Wie können Streitigkeiten verhindert werden?
Es braucht klare Regelungen. Ein schlechtes Testament ist wie ein Kochrezept, das nicht funktioniert. Wenn eine Person genau weiss, dass es bezüglich der einen oder anderen Frage zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Erben kommen wird, dann geht man dieses Problem bereits zu Lebzeiten aktiv an. Man sollte nach Fairness streben, indem die betroffenen Personen angehört und in den Prozess eingebunden werden. Wo nicht sachliche Gründe dagegensprechen, sollte man die Kinder wenn immer möglich gleich begünstigen. Man kann aber nicht alle Eventualitäten regeln.
Ein Grossteil der Vermögen wird heute über die zweite und dritte Säule weitergegeben. Gibt es hier Besonderheiten, die beachtet werden müssen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Bei der Nachlassplanung muss man sich bewusst sein, dass unter Umständen ein Grossteil des Vermögens nicht nach den erbrechtlichen Regeln des ZGB, sondern gemäss den gesetzlichen Bestimmungen zur zweiten und dritten Säule vererbt wird. Solche Leistungen gehen grundsätzlich am Nachlass vorbei. Nach Inkrafttreten der Revision ist nun klar, dass Banken- und Versicherungslösungen bei der gebundenen Vorsorge gleichbehandelt werden. Es besteht daher ein direkter Anspruch der begünstigten Person gegenüber der Vorsorgeeinrichtung. Diese Leistungen gehören nicht zum Nachlass, werden aber für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche berücksichtigt.
Bietet das in der Vorsorge gebundene Vermögen auch zusätzliche Möglichkeiten?
Für Konkubinatspaare eröffnet sich hier die Möglichkeit, sich gegenseitig zu begünstigen. Inzwischen dürfte es allgemein bekannt sein, dass man gegenüber der Pensionskasse eine schriftliche Begünstigungserklärung zugunsten des Lebenspartners abgeben kann. Die Voraussetzung, dass die Beziehung mindestens fünf Jahre bestanden hat, muss erst zum Zeitpunkt des Todes erfüllt sein. Auch eine reine Todesfallversicherung ist in jungen Jahren eine gute Variante der Vorsorge.
Macht es Sinn, sich die Pensionskasse im Hinblick auf das Vererben auszahlen zu lassen?
Wenn man Geerbtes in die Pensionskasse einzahlt, ist es bei der Auszahlung nicht mehr Eigengut, sondern Errungenschaft. Dies geht daher unter Umständen komplett an den überlebenden Ehegatten. Wenn dies gewollt ist, ist dieser Weg sinnvoll.
Wann macht eine Erbengemeinschaft Sinn?
Eine Erbengemeinschaft ist eine Zwangsgemeinschaft, weshalb jeder Erbe grundsätzlich jederzeit die Teilung verlangen und die Gemeinschaft verlassen kann. Stärke und gleichzeitig Schwäche der Erbengemeinschaft ist, dass die Erben nur gemeinsam über den Nachlass verfügen können. Das gibt Sicherheit, birgt aber auch das Risiko, dass ein einziger Miterbe die ganze Gemeinschaft durch sein Veto blockieren kann. Entsprechend ist eine Fortführung der Erbengemeinschaft nur solange sinnvoll, als die Gemeinschaft handlungsfähig ist und noch nicht feststeht, wem die noch unverteilten Nachlasswerte letztlich zufallen sollen. Zum Beispiel bei einer Ferienwohnung, die von allen Erben genutzt wird und der ganzen Familie erhalten werden soll.
Welche sind die drei häufigsten Missverständnisse, mit denen Sie in Bezug auf das Erbrecht konfrontiert sind?
Erstens haben erstaunlich viele Leute keine Ahnung, wer überhaupt erbberechtigt ist und einen Pflichtteil hat. Zitat: 'Ich bin verheiratet und habe keine Kinder, also erbt mein Ehegatte alles'. Das ist falsch. Wenn gesetzliche Erben des elterlichen Stamms - Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen - vorhanden sind, erben diese einen Viertel, wenn sie nicht von der Erbschaft ausgeschlossen werden. Zweitens: Für viele entscheidet allein, was der Erblasser in seinem Testament gewollt hat - 'Willensprinzip'. Das gilt jedoch nur, soweit der Erblasser in der gesetzlich vorgesehenen Form und innerhalb der gesetzlichen Schranken verfügt hat. Wird ein Testament angefochten, weil es nicht eigenhändig, sondern am Computer verfasst wurde, gilt es nicht. Zudem steht es den Erben frei, die Teilung nach eigenem Ermessen und in Abweichung vom Testament durchzuführen, solange keine Interessen Dritter betroffen sind. Vorausgesetzt natürlich, dass sie sich untereinander einig sind. Und drittens: Vor allem in Patchwork-Konstellationen werden häufig 'Schönwetterverträge' abgeschlossen. Diese halten so lange, als das bindende Glied - der leibliche Elternteil - noch lebt. Danach funktioniert die angestrebte Lösung mit gemeinschaftlichem Eigentum, Vor- und Nacherbeneinsetzung oder Nutzniessung nicht mehr. Es ist daher wichtig, vertraglich eine 'Exit-Variante' vorzusehen, die es den Erben erlaubt, sich vollständig auseinanderzusetzen.
Was sind Ihre hilfreichsten Tipps beim Thema Vererben?
Lassen Sie sich von Spezialisten beraten. Eine gute Beratung kostet nur einen Bruchteil eines Erbstreits. Wenn Sie Ihr Testament eigenhändig verfassen, lassen Sie zumindest das Ergebnis von einer Fachperson prüfen. Schreiben Sie Ihr Testament nicht selbstherrlich. Streben Sie eine verbindliche und von allen Betroffenen akzeptierte Regelung an. Schaffen Sie Transparenz. So vermeiden Sie falsche Erwartungen und Enttäuschungen. Es ist viel einfacher, bereits zu Lebzeiten über sein Vermögen zu verfügen. Mit warmen Händen lässt es sich besser 'vererben'.
In welchem Lebensabschnitt soll man sich mit dem eigenen Nachlass auseinandersetzen?
Das ist weniger eine Frage des Alters. Man soll sich mit dem Thema auseinandersetzen, wenn man etwas zu vererben hat und jemandem etwas vererben will. Junge Paare kommen zu mir, wenn sie gemeinsam eine Liegenschaft kaufen oder wenn sie eine Familie gründen. Die meisten Kunden beschäftigen sich mit dem Thema allerdings erst nach 50, weil man sich halt nur ungern mit dem eigenen Tod befasst.
Roberto Fornito ist seit 1997 als Anwalt und Notar tätig, seit 2008 zudem als Fachanwalt SAV Erbrecht. Er betreut Klienten beratend, forensisch und als Urkundsperson im Wirtschafts- und Privatrecht. Der Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit liegt in allen Bereichen des nationalen und internationalen Erbrechts (Testamente, Ehe- und Erbverträge, Nachlassplanung, Willensvollstreckung, erbrechtliche Streitigkeiten, amtliche Erbenvertretungen oder Erbschaftsverwaltungen).