Der Nachlass der Eltern ist für die Kinder nicht selten Grund für Streitereien. Vor allem das hinterlassene Elternhaus birgt Potenzial für Konflikte – denn es lässt sich schlecht aufteilen.
«Vielfach handelt es sich bei der elterlichen Liegenschaft um einen substanziellen Anteil ihres gesamten Vermögens», sagt Mattia Hotz (38), Nachlassexperte der UBS.
Wenn mehrere Kinder vorhanden sind, stellt sich die Frage, wer das Haus bekommen soll – und wie der Ausgleich an die Geschwister aussieht. Ist genügend anderes Vermögen vorhanden, um die Kinder untereinander gleichzustellen?
Kein Kind benachteiligen
«Meist wollen Eltern ihre Kinder gleich behandeln», sagt Gabrielle Sigg (43), Leiterin Willensvollstreckung beim VZ Vermögenszentrum. So will es auch das Erbrecht. Doch nicht immer ist das möglich. Beispielsweise dann, wenn neben der einen Immobilie nicht genügend andere Vermögenswerte vorhanden sind.
«Ist dies der Fall, muss das Kind, das die Liegenschaft übernimmt, seine Geschwister mit dem eigenen Vermögen ausbezahlen, was eine grosse finanzielle Belastung darstellen kann», sagt Hotz.
Alternativ können sich die Eltern entscheiden, die Kinder nicht gleich zu behandeln. Also das Kind, das die elterliche Liegenschaft übernimmt, zu bevorzugen. «Eine solche Massnahme führt jedoch häufig zu Konflikten zwischen den Kindern und sollte daher gut überlegt sein», so der Nachlassexperte.
Die Bewertung ist entscheidend
Doch selbst wenn Eltern alle Geschwister gleich behandeln wollen, gilt es einige Stolpersteine zu überwinden. Als Erstes muss die Frage geklärt werden, wie der Wert des Hauses festgesetzt werden soll. Ist es der Marktwert der Immobilie zum Zeitpunkt der Erbteilung oder soll es der Wert sein, der in einem Testament festgelegt wurde?
Ein Beispiel: In einem Testament steht, dass das Haus für 500'000 Franken an die Tochter gehen soll. Das Testament ist allerdings schon zehn Jahre alt. Der Marktwert des Hauses wäre heute bis zu dreimal so hoch.
Wird das Haus mit 500'000 Franken bewertet, schuldet die Schwester ihrem einzigen Bruder 250'000 Franken als Ausgleich. Wird es mit 1,5 Millionen Franken bewertet, muss sie ihrem Bruder 750'000 Franken ausbezahlen.
Die Bewertung des Elternhauses kann ausschlaggebend dafür sein, ob sich ein Kind die geerbte Immobilie überhaupt leisten kann oder nicht. «Am besten hält man daher im Testament eine Anordnung fest, wie die Liegenschaft bewertet werden soll», sagt Hotz. Beispielsweise durch den Mittelwert zweier Gutachten.
Was ist mit der Grundstückgewinnsteuer?
Und dann kommt noch ein weiterer Fallstrick hinzu: Was ist mit der Grundstückgewinnsteuer? Die Steuer fällt dann an, wenn ein Hausbesitzer seine Immobilie verkauft und einen Gewinn erzielt. Solange das Haus in der Familie bleibt, ist die Grundstückgewinnsteuer aufgeschoben – aber dennoch latent vorhanden.
«Es kommt vor allem darauf an, ob das Kind die Liegenschaft verkaufen möchte oder nicht», sagt Sigg. Wird das Elternhaus verkauft, kann die Grundstückgewinnsteuer erheblich ausfallen. In den letzten 20 Jahren sind die Preise von Immobilien in der Schweiz stark gestiegen. Wie hoch die Steuer ist, unterscheidet sich je nach Kanton und Besitzdauer.
«In der Praxis hat es sich bewährt, dass man bei der Bewertung der Immobilie die latente Grundstückgewinnsteuer zur Hälfte abzieht», empfiehlt Sigg.
Ein geerbtes Haus ist nicht gratis
Kinder, die das Elternhaus erben, sollten sich zudem fragen, ob die Immobilie für sie überhaupt tragbar ist. Nicht immer haben die Eltern ihr Haus abbezahlt. Wer das Elternhaus bekommt, übernimmt auch die Hypothek.
So viel Konfliktpotenzial das Erben einer Immobilie auch birgt, so einfach lässt es sich vermeiden: indem Eltern sich schon zu Lebzeiten Gedanken dazu machen und mit ihren Kindern darüber sprechen.
«Wir stellen in unseren Beratungen immer wieder fest, dass die Wünsche und Vorstellungen von Eltern nicht mit denjenigen der Kinder übereinstimmen», sagt Nachlassexperte Hotz. Das Thema Erben und Vererben sei in vielen Familien noch immer ein Tabu, über das wenig gesprochen werde.
Viele Kinder etwa seien aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr daran interessiert, die elterliche Liegenschaft zu übernehmen. «Ein klärendes Gespräch innerhalb der Familie kann hier helfen, eine für alle Beteiligten gute Lösung zu finden», sagt der Nachlassexperte der UBS.
Ähnlich sieht es Sigg. «Das Erbe soll von Anfang an transparent gemacht und in der Familie diskutiert werden», sagt die Nachlassexpertin. Sie plädiert dafür, dass Familien zusammen eine Lösung erarbeiten und diese schriftlich festhalten. Neben einem Testament eignet sich dafür auch ein Erbvertrag, der sowohl von den Eltern als auch von den Kindern unterschrieben wird. «So lässt sich Streit auf jeden Fall minimieren», sagt Sigg.