Existenzängste wegen Eigenheim
Wie die Finanzierung mit Vorsorgegeldern einen Teufelskreis lostritt

Eine Studie zeigt: Zwei Drittel derer, die ihr Eigenheim mit Pensionskassengeldern finanzierten, haben Angst, dieses nicht halten zu können.
Publiziert: 27.01.2024 um 12:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2024 um 13:56 Uhr
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Beim Kauf eines Eigenheims gibt es Risiken.
Foto: HZ/MIDJOURNEY
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Carmen Schirm
Handelszeitung

Mit Betongold schläft man sicher, heisst es landläufig. Immobilien schützen vor Inflation, sind ein beständiger Wert in stürmischen Zeiten und eine gute Altersvorsorge. Von jeher beflügeln die eigenen vier Wände die Vorstellungen von Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und Sicherheit. Dabei gibt es beim Eigenheim auch Risiken, die oftmals unterschätzt werden. Vor allem wenn es um die Finanzierung geht.

Viele Eigenheimbesitzerinnen plagen Ängste, wie eine neue Studie der ZHAW mit dem Titel «Ein Zuhause fürs Leben» zeigt. Dafür wurden über tausend Wohneigentümer und Wohneigentümerinnen dazu befragt, mit welchen Mitteln sie ihr Eigenheim finanziert haben. Zudem wurde ihre aktuelle Befindlichkeit erhoben, gerade vor dem Hintergrund, dass die Zinsen in den vergangenen anderthalb Jahren stark gestiegen sind. 

Artikel aus der «Handelszeitung»

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26 Prozent der Eigenheimkäufer benötigten PK-Geld

Rund ein Drittel der Käuferinnen und Käufer (36 Prozent) waren beim Eigenheimkauf auf Familienunterstützung angewiesen. Erst eine Schenkung, eine Erbschaft oder ein Darlehen ermöglichten jeder dritten kaufwilligen Person die Erfüllung ihres Wunsches nach einem Eigenheim. Es zeigte sich zudem, dass rund ein Viertel der Befragten beim Kauf des Eigenheims auf ihr Pensionskassenvermögen zurückgreifen musste – sei es durch einen Vorbezug oder durch eine Verpfändung.

Beim Vorbezug überweist die Vorsorgeeinrichtung das Geld direkt an die Hypothekarbank, wodurch die Hypothekarschuld kleiner wird. Bei einer Verpfändung dient das Pensionskassenguthaben der Bank als Sicherheit.

«Überraschend viele Käuferinnen und Käufer müssen auf BVG-Gelder zurückgreifen», sagt Florian Schubiger, Experte bei Hypotheke.ch. «Üblicherweise werden zuerst das Bargeld und die Säule 3a aufgebraucht. Die Pensionskasse wird häufig erst dann angegriffen, wenn die Mittel nicht reichen oder ein Haus gekauft wird, das am oberen Limit des Einkommens steht.»

Auch Reto Spring, Präsident des Finanzplaner-Verbands, erachtet den hohen Anteil von Käufern und Käuferinnen, die ihre Pensionskasse zum Eigenheimerwerb nutzen, als kritisch. «Schlussendlich ist dieses Geld Bestandteil der eigenen Vorsorge. Wird es nicht zurückgezahlt, entsteht eine Lücke, und das kann im Alter zu einem Problem werden.»

Statistiken zeigen, dass in viel geringerem Umfang Geld zurückgezahlt als bezogen wird. Die Rückzahlungen sind zwar etwas gestiegen. Doch nach wie vor liegen sie jährlich rund drei- bis viermal tiefer als die Bezüge von PK-Geld. 

Risiken sind auch ein volkswirtschaftliches Problem

Die Risiken sind auch ein volkswirtschaftliches Problem. Deshalb hat die Finanzaufsichtsbehörde (Finma) 2012 die Regeln für die Eigenmittelfinanzierung verschärft. Bis dahin durfte der gesamte Eigenkapitalanteil mit PK-Geld abgedeckt werden. Seit 2012 müssen die Käuferinnen und Käufer mehr «echtes» Eigenkapital einbringen.

Das heisst: Wer Wohneigentum erwerben will, muss mindestens 10 Prozent mit Guthaben ausserhalb der zweiten Säule decken (Spargeld, Wertschriften, Mittel Säule 3a, Erbvorbezug). Zudem ist die Hypothekarschuld innert maximal 15 Jahren auf zwei Drittel des Belehnungswertes der Liegenschaft zu amortisieren.

61 Prozent derer, die ihre Pensionskasse nutzten, haben Angst

Nun geht die Angst um. Gemäss Studie der ZHAW haben 61 Prozent der Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer mit Pensionskassenbezug Angst, sich künftig ihr Eigenheim nicht mehr leisten zu können. «Diese Angst ist nachvollziehbar», sagt Florian Schubiger. «Viele Hauskäuferinnen und -käufer verspüren einen Druck, denn sie wissen, dass ihre Rente im Alter aufgrund des PK-Bezugs stark zurückgeht. Jedes Jahr aufs Neue wird man mit dem Pensionskassenausweis darauf aufmerksam gemacht.» Man hat zwar Vermögen, doch dieses steckt im Eigenheim. Im Alter stehen diese Mittel nicht zur Verfügung und können folglich nicht für die Finanzierung des Lebensunterhalts und die Abzahlung der Schuldzinsen eingesetzt werden.

Eigenheimboom dank Vorsorgegeldern

1985 wurde die obligatorische berufliche Vorsorge eingeführt, die Säule 3a ein Jahr später. 1995 erlaubte der Bund den Einsatz von Vorsorgegeldern für den Kauf von Eigenheimen. Diese Erlaubnis löste in den folgenden Jahren einen Boom aus. Denn die Banken finanzieren höchstens 80 Prozent, die restlichen 20 Prozent Eigenkapital muss jeder Schuldner, die Schuldnerin selber mitbringen. Bis 2012 durfte der gesamte Eigenkapitalanteil mit PK-Geld abgedeckt werden. Seit 2012 ist mehr «echtes» Eigenkapital einzubringen. Das heisst: Wer Wohneigentum erwerben will, muss mindestens 10 Prozent mit Guthaben ausserhalb der Säule decken (Spargeld, Wertschriften, Mittel Säule 3a etc.).

1985 wurde die obligatorische berufliche Vorsorge eingeführt, die Säule 3a ein Jahr später. 1995 erlaubte der Bund den Einsatz von Vorsorgegeldern für den Kauf von Eigenheimen. Diese Erlaubnis löste in den folgenden Jahren einen Boom aus. Denn die Banken finanzieren höchstens 80 Prozent, die restlichen 20 Prozent Eigenkapital muss jeder Schuldner, die Schuldnerin selber mitbringen. Bis 2012 durfte der gesamte Eigenkapitalanteil mit PK-Geld abgedeckt werden. Seit 2012 ist mehr «echtes» Eigenkapital einzubringen. Das heisst: Wer Wohneigentum erwerben will, muss mindestens 10 Prozent mit Guthaben ausserhalb der Säule decken (Spargeld, Wertschriften, Mittel Säule 3a etc.).

Wer 65 Jahre alt wird, tritt in eine andere Lebenssituation. Denn: In der Pension decken die Einnahmen aus der AHV und der Pensionskasse in der Regel nur noch rund 60 Prozent des bisherigen Einkommens. Für eine nötige Renovation fehlt nach der Pensionierung oft das Geld, das Renteneinkommen ist zu niedrig. Und bereits vor der Pensionierung gibt es Risiken. Zumal sich die Lebenssituation mit einem Schlag ändern kann, man den Job verliert, ein Partner verstirbt, oder es zu einer Scheidung kommt. Im schlimmsten Fall ist dann die Eigentümerin gezwungen, ihre Immobilie zu verkaufen. 

Frühzeitig einen Plan machen

Es gilt daher, sich frühzeitig einen Plan zu machen. Dazu gehört eine Analyse, zu welcher Art von Eigentümer oder Eigentümerin man gehört. Es gibt jene, die bis zu ihrem Ableben in ihrem Eigenheim wohnen bleiben wollen. Sie müssen sich fragen, ob die Immobilie auch langfristig nach der Pensionierung tragbar ist. Anders sieht es bei all jenen aus, für die das Eigentum zu einer Lebensphase gehört. Nach der Pensionierung oder dem Auszug der Kinder haben sie geplant, «sich zu verkleinern». Wer weiss, dass er seine Immobilie wieder verkaufen wird, kann leichtfertiger Pensionskassengelder beziehen, da er nach dem Verkauf wieder Liquidität übrig hat. 

Im Grundsatz: Eine Bank finanziert maximal 80 Prozent des Verkehrswerts der Immobilie. Ist ein Haus zu 80 Prozent belehnt, teilen sich die Schulden in die erste Hypothek (65 Prozent) und in die zweite Hypothek (15 Prozent) auf. Die Finanzaufsicht (Finma) schreibt vor, dass die zweite Hypothek bis zur Pensionierung amortisiert sein sollte, damit auch nach der Pensionierung die Tragbarkeit gewährleistet ist. Die Tragbarkeitsregel besagt, dass nicht mehr als ein Drittel des Einkommens für das Wohneigentum verwendet werden sollte.

In gewissen Hotspots wie Zürich und Genf haben einige Banken die Amortisation der zweiten Hypothek gar auf zehn Jahre reduziert. «Es ist ratsam, die zweite Hypothek so schnell wie möglich abzuzahlen», sagt Finanzplanungsexperte Reto Spring. Er empfiehlt die Fifty-fifty-Regel. «Bis zum Alter von 50 Jahren sollte man die Hypothek auf 50 Prozent reduzieren, denn ab 50 Jahren sind die Einkommensströme nicht mehr so sicher. Deshalb sollte man in jungen Jahren abzahlen oder dann, wenn es einem finanziell gut geht.» 

Wann wird eine Bank aktiv? Von selbst werden Banken in den seltensten Fällen aktiv. Meist wird bei einer Erneuerung der Hypothek – oder sollte man 55 Jahre oder älter sein – die Situation angesichts der Pensionierung angesprochen. Es wird berechnet, ob die Kundin oder der Kunde in der Lage ist, auch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben die Immobilie zu halten und zu finanzieren. Wenn das Einkommen nicht mehr sicher ist, man arbeitslos wird oder ein Partner verstirbt, kann die Bank mehr Eigenmittel verlangen – oder eine vorzeitige Reduktion der Hypothek. «Bis dato passiert das aber nur sehr selten», sagt Reto Spring. 

Wann könnte es kritisch werden? Die aktuellen Zinsen sollten für die Mehrheit der Eigentümerinnen und Eigentümer kein Problem sein. Bereits bei der Kreditvergabe rechnen die Banken in ihren Tragbarkeitsrechnungen nicht mit dem aktuellen, sondern mit einem kalkulatorischen Zins. Und dieser liegt zwischen 4,5 und 5 Prozent. «Sollten die Zinsen auf 7 Prozent steigen, wie das in den 1980er-Jahren der Fall war, müssten wir mit scharfen Einschnitten rechnen», so Spring. «Dann würden die Immobilienpreise einbrechen, die Banken könnten von einem Nachschussrecht Gebrauch machen.» Bei einer Preiskorrektur von 10 Prozent könnte der Eigentümer die Hälfte des Eigenkapitals verlieren – eine Situation, die es in den 1980er-Jahren schon einmal gegeben hat. 

Beruhigung für langjährige Immobilieneigentümerinnen

Doch es gibt auch eine Beruhigung, gerade für Eigentümer, die ihre Immobilie bereits seit vielen Jahren besitzen. Dieses Mittel heisst Wertsteigerung. «Viele Immobilienbesitzerinnen sind wegen der höheren Zinsen beängstigt, kalkulieren aber die Wertsteigerung ihrer Immobilie nicht mit ein», sagt Hypothekenexperte Schubiger. «Das gibt ein Sicherheitspolster.» In den meisten Grossräumen der Schweiz stiegen die Preise in den vergangenen zwanzig Jahren um rund 50 Prozent. «Gedanken müssen sich eher die jungen Menschen machen, die jetzt ein Haus kaufen möchten. Was passiert, wenn die Preise plötzlich fallen sollten?»

Tipps:

Vorbezug oder Verpfändung: Für den Erwerb von Wohneigentum durch Pensionskassengelder gibt es zwei Möglichkeiten: den Vorbezug oder die Verpfändung. Bei einem Vorbezug werden die Vorsorgegelder für ein höheres Eigenkapital und tiefere Hypotheken genutzt. Der Nachteil ist, dass eine Vorsorgelücke droht, die spätestens vor Beginn der Pension mit Rückzahlungen wieder geschlossen werden sollte, sonst drohen im Alter tiefere Leistungen. Bei einer Verpfändung gehen die Vorsorgegelder an die Bank, um durch einen erhöhten Hypothekenbetrag mehr Fremdkapital zu schaffen. Der Nachteil ist, dass höhere Hypothekenzinsen anfallen. 

«Ein Bezug der Pensionskassengelder sollte nur dann gemacht werden, wenn es finanziell nicht anders möglich ist», sagt Florian Schubiger. «In den meisten Fällen ist eine Verpfändung besser, da das Risiko dadurch tiefer ist, im Alter eine Beitragslücke zu haben.» Man bezahlt zwar höhere Hypothekarzinsen, gleichzeitig wird die Bank eine Amortisation fordern, innerhalb von 10 bis 15 Jahren. Man ist somit gezwungen, zu sparen und zurückzuzahlen. Danach ist die Schuld getilgt. 

Rückzahlung: Rückzahlungen in die Pensionskasse sind nicht steuerbefreit. Erst wenn das gesamte Geld, das bezogen wurde, wieder zurückgezahlt wurde, können steuerlich abziehbare Einzahlungen gemacht werden. 

Risikoleistung bei Invalidität oder Todesfall: Gerade junge Familien mit Kindern sollten diesem Thema Beachtung schenken, weil es im schlimmsten Fall passieren kann, dass einer der Elternteile stirbt oder invalide wird. Es gilt daher, abzuklären, ob die Pensionskasse die Risikoleistung, sprich IV-Rente, aufgrund des Kapitals berechnet, welche dann extrem tief wäre. In diesem Fall müsste man beim Bezug von Pensionskassengeldern eine private IV-Rente abschliessen. Andere Pensionskassen wiederum berechnen die Risikoleistung aufgrund des aktuellen Lohns. Doch selbst dann können die Leistungen aus der ersten und zweiten Säule noch zu tief ausfallen, sodass ein Hypothekarnehmer seine Schulden nicht mehr bedienen kann. Im Alter: Für jene, die nach der Pensionierung am freien Markt einen neuen Hypothekargeber suchen, lohnt es sich ganz besonders, zu vergleichen. Denn die Banken rechnen zum Teil völlig unterschiedlich, was zu gänzlich anderen Konditionen führt. Manche Banken rechnen beispielsweise Bargeld kundenfreundlich in die Kreditbewertung mit ein, andere hingegen nicht. Zwar sind AHV und PK-Gelder im Alter tiefer als das Einkommen, das man früher hatte, dafür sind die Einnahmen sicher, im Gegensatz zu einem möglichen Jobverlust im Erwerbsleben.

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