Montagmorgen, 9.45 Uhr, Hauptsitz der Nationalbank (SNB) in Zürich, Konferenzraum: Sieben SonntagsBlick-Leserinnen und -Leser befragen den Nationalbankpräsidenten – ein Querschnitt der Bevölkerung, ausgesucht aus mehr als 50 Bewerbungen für das Bürgergespräch. Sachlich und höflich gewährt Thomas Jordan Einblick hinter die Kulissen der Nationalbank.
Thomas Jordan: Ich begrüsse Sie alle herzlich bei der Schweizerischen Nationalbank. Schön, dass Sie hier sind! Meine Kommunikationsabteilung riet mir, mich auf unser Gespräch noch besser vorzubereiten als auf eine geldpolitische Pressekonferenz (schmunzelt).
Beat Walmer: Die SNB machte in der Vergangenheit einen guten Job: Sie war mutig, als sie den Mindestkurs aufgehoben hat, auch die Zinserhöhung im letzten Jahr war ein guter Entscheid. Sorgen machen mir die Obligationen, die mit steigenden Zinsen an Wert verlieren. Was für Massnahmen hat die SNB ergriffen, um die drohenden Verluste in ihrem Anlage-Portefeuille abzusichern?
Jordan: Gegen Kursverluste auf unseren Anlagen können wir uns kaum schützen. Die Nationalbank hat den Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen. Wertveränderungen in der Bilanz und Erfolgsrechnung sind immer ein Nebenprodukt. Unsere Anlagepolitik steht im Dienst der Geldpolitik. Die Renditen auf unseren Aktiven folgen jenen der internationalen Anlagemärkte. Da wir aber über Jahre nur einen Teil unseres Gewinns ausgeschüttet haben, konnten wir grössere Reserven bilden, die uns jetzt sehr helfen.
Reto Blumer: Ich bin seit zwölf Jahren selbständiger Unternehmer. Immer wieder stelle ich fest, dass die grossen Unternehmen bei der Finanzierung im Vorteil sind. Ein Konkurrent aus Deutschland konnte vor zwei Jahren am Kapitalmarkt eine Milliarde aufnehmen und zahlte dafür nur sehr wenig Zins. Was tut die SNB für die kleinen Unternehmen?
Jordan: Ich habe Hochachtung vor allen Unternehmerinnen und Unternehmern, die jeden Tag das Überleben ihrer Firma sichern müssen. Gerade auch kleine Firmen sind wichtig, denn wir brauchen Vielfalt in der Wirtschaft. Die SNB kann mit einer guten Geldpolitik die Preisstabilität aufrechterhalten. Das kommt allen zugute. Jedoch ist es nicht unsere Aufgabe, einzelne Branchen oder Unternehmen speziell zu fördern. Das müsste die Politik machen.
Reto Blumer: Meine Idee: Kleinbetriebe legen den Banken Kennzahlen vor, und wenn sie solid sind, erhalten sie Kredite mit einem Zins von 2,5 bis 3 Prozent statt 7 Prozent wie heute.
Jordan: Ich verstehe Ihr Argument. Aber die Kreditvergabe an Unternehmen ist nicht Aufgabe der SNB, sondern diejenige der Geschäftsbanken. Die Nationalbank hat hingegen in der Pandemie bei der Finanzierung der speziellen Covid-Kredite mitgewirkt und mitgeholfen, die Krise zu bewältigen.
Thyda Hausheer: Weshalb ist die Inflation in der Schweiz niedriger als in anderen Ländern?
Jordan: Preisstabilität ist unser Hauptauftrag. Wir definieren sie konservativ mit einer Inflation von weniger als 2 Prozent. Hier sind wir etwas strenger als das Ausland. Im Moment ist die Inflation auch bei uns zu hoch, und wir tun alles, um sie wieder in den Bereich der Preisstabilität zu bringen. Bei stabilen Preisen funktioniert die Wirtschaft am besten. Preisstabilität ist auch sehr wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Gerade Haushalte mit tieferem Einkommen oder Personen, die zum Beispiel eine fixe Rente beziehen, sind steigenden Preisen besonders ausgeliefert.
Florence Iff: Was machen Sie, damit Ihre Anlagepolitik nachhaltig ist?
Jordan: Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit – sowohl was unseren Auftrag angeht als auch unseren Betrieb. Die SNB hat aber keine Instrumente, um den Klimawandel direkt zu bekämpfen. Solche Massnahmen müssen von der Politik kommen. Wir haben jedoch schon lange strenge Ausschlusskriterien für unsere Anlagen. Wir investieren nicht in Unternehmen, die Menschenrechte verletzen, die geächtete Waffen herstellen oder die Umwelt zerstören. Dazu gehören auch Unternehmen, die Kohle für die Energiegewinnung abbauen oder die Biodiversität gefährden.
Florence Iff: Sie sind Aktionär bei Exxon und Shell, Sie können an den Generalversammlungen teilnehmen und haben ein Mitspracherecht. Setzen sich die Vertreter der SNB dort für mehr Nachhaltigkeit ein?
Jordan: Eine gute Governance bei den Unternehmen ist uns ein grosses Anliegen. Unser Portfolio muss der Erreichung unserer geldpolitischen Ziele dienen. Wir investieren nicht in Unternehmen, weil wir für diese Herzblut haben. Unsere Anlagen müssen vor allem möglichst breit gestreut und leicht handelbar sein. Um die Preisstabilität zu sichern, müssen wir unsere Bilanz je nach Situation rasch ausdehnen, aber auch wieder schrumpfen können.
Thomas Jordan (60) wuchs in Biel BE auf und studierte Volkswirtschaft an der Uni Bern. Danach forschte er drei Jahre lang an der Harvard University in Cambridge (USA). Seit 1997 arbeitet er für die Nationalbank. 2007 wurde Jordan vom Bundesrat ins dreiköpfige Direktorium der SNB gewählt, seit 2012 ist er der Präsident. Jordan ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Er lebt in Zug.
Thomas Jordan (60) wuchs in Biel BE auf und studierte Volkswirtschaft an der Uni Bern. Danach forschte er drei Jahre lang an der Harvard University in Cambridge (USA). Seit 1997 arbeitet er für die Nationalbank. 2007 wurde Jordan vom Bundesrat ins dreiköpfige Direktorium der SNB gewählt, seit 2012 ist er der Präsident. Jordan ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Er lebt in Zug.
Philippe Schibli: Überall werden Reserven gebildet: bei der AHV, den Pensionskassen und sogar beim Strassenverkehrsamt. Warum ist dieses Phänomen in den letzten 15 Jahren aufgekommen?
Jordan: Die Reserven der SNB sind im letzten Jahr wieder stark gesunken. Ende 2021 hatten wir rund 200 Milliarden Eigenkapital, jetzt sind es noch gut 65 Milliarden. Die hohen Reserven haben geholfen, den Verlust von letztem Jahr abzufedern. Prinzipiell machen Reserven also sicher Sinn. Wir sehen ja, was für schlimme Folgen es für alle hat, wenn ein Staat zu stark verschuldet ist und seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann.
Noel Baumann: Ich frage als Vertreter der jungen Generation: Was kann die SNB zur Finanzierung der Altersvorsorge beitragen?
Jordan: Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist enorm wichtig, und ihm müssen wir Sorge tragen. Uns in der Schweiz geht es relativ gut. Wir haben ein gutes Bildungssystem, funktionierende Sozialpartnerschaften, ein hohes Lohnniveau und tiefe Arbeitslosigkeit. Der grösste Beitrag der SNB für die Gesellschaft ist eine gute Geldpolitik, denn stabile Preise helfen allen. Unser Aufgabengebiet hat aber klare Grenzen. Es ist ein Risiko, wenn man zum Beispiel die Finanzierung der AHV an erhoffte Gewinne der SNB koppelt. Dies kann über die Zeit die Unabhängigkeit der SNB gefährden und zu einer schlechten Geldpolitik führen.
Vera Briner: Sie investieren in Firmen, welche die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Wieso verzichten Sie nicht auf Investitionen in Öl und Gas?
Jordan: Der Anteil von fossiler Energie an unserem Portfolio lag vor zehn Jahren noch bei über 12 Prozent, ging dann zurück auf 3 Prozent und ist jetzt wegen der hohen Energiepreise wieder leicht gestiegen. Gleichzeitig investieren wir auch zunehmend in grüne Obligationen. Unser Portfolio spiegelt so die Veränderung der Wirtschaftsstruktur. Öl und Gas werden in der Schweiz intensiv genutzt. Wir haben daher keine Grundlage, diesen Sektor bei unseren Anlagen einfach auszuschliessen.
Thyda Hausheer: Wird es dieses Jahr eine Rezession geben?
Jordan: Wir erwarten dieses Jahr eine Wachstumsabschwächung, aber keine Rezession. Im letzten Jahr hatten wir zwei Prozent Wachstum.
Noel Baumann: Wie reagiert die SNB auf das vorhersehbare Verschwinden des Bargelds aufgrund digitaler Währungen? Ist Ihre Existenz als Währungshüterin gefährdet?
Jordan: Ich habe keine Angst, dass die SNB ihre Bedeutung verliert. Löhne und Kredite werden in Franken bezahlt, Preise in Franken angeschrieben. Der Franken ist die solideste Währung der Welt. Solange dies so bleibt, ist unsere Geldpolitik wirksam. Ich könnte mir aber vorstellen, dass künftig viele Finanzinstrumente ausgegeben werden, die auf Blockchain-Technologien basieren. Das kann Vorteile bringen für Handel und Aufbewahrung.
Noel Baumann: Soll die SNB eine eigene, digitale Währung herausgeben?
Jordan: Wir machen viele Experimente in diesem Bereich, sind aber skeptisch, ob das eine gute Lösung für das breite Publikum ist. In der Schweiz gibt es mit E-Banking, Kredit- und Debit-Karten oder auch mit Twint bereits gute und sichere bargeldlose Zahlungsmöglichkeiten.
Noel Baumann: Wird das Bargeld verschwinden?
Jordan: Ich bin ein grosser Fan von Bargeld. Die Nationalbank hat den Auftrag zur Bargeldversorgung, und den erfüllen wir gern. Wir haben ja erst vor wenigen Jahren eine schöne, neue Notenserie lanciert. Es deutet nichts darauf hin, dass das Bargeld in der Schweiz verschwindet. Die Menschen schätzen es. Wichtig ist, dass die Leute das Bargeld auch nutzen – das ist die beste Garantie dafür, dass es auch in Zukunft existiert.
Beat Walmer: Diese Aussage des SNB-Präsidenten muss gross im Blick stehen! (Die Teilnehmenden lachen.)
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Vera Biner: Es gibt in Zürich Take-aways, die kein Bargeld mehr akzeptieren.
Jordan: Es ist schon viel besser, wenn man die Wahl hat, das gewünschte Zahlungsmittel zu gebrauchen. Meine Frau und ich sind am 1. August spazieren gegangen. Dabei trafen wir auf Schülerinnen, die Schoggitaler verkauften. Wir hatten ausnahmsweise kein Bargeld dabei. Aber die Schülerinnen sagten: Kein Problem – und zückten den QR-Code für Twint. Wir waren natürlich beeindruckt!
Florence Iff: Wenn man es sich leisten kann … Ein Obdachloser kann ja nicht twinten.
Jordan: Da haben Sie recht. Ein Taxifahrer in Schweden, wo der Bargeldverkehr stark zurückgegangen ist, sagte mir kürzlich, dass bargeldloses Zahlen ja gut und recht sei, aber niemand mehr Trinkgeld gebe.
Philippe Schibli: Ich habe zu Hause vielleicht 500 Euro. Die SNB besitzt viele Milliarden. Ist es nicht sehr gefährlich, wenn die Euros aufgrund des Wechselkurses massiv an Wert verlieren?
Jordan: Wir haben diese Devisenmarktinterventionen getätigt, um unseren Auftrag zu erfüllen. Seit 2007 erleben wir eine Krise nach der anderen. Das führte zeitweilig zum Problem des zu starken Frankens. Wir haben mit unserer Politik dazu beigetragen, diese Krisen zu bewältigen und unsere Bilanz wuchs von 100 auf 1000 Milliarden; jetzt ist sie wieder etwas kleiner. Ohne unsere Intervention hätten wir die Preisstabilität gefährdet, es hätten eine Deflation und höhere Arbeitslosigkeit gedroht. Die Wirtschaft in der Schweiz wäre niemals so gut durch diese schwierigen Zeiten gekommen.
Reto Blumer: Meine Tochter und mein Sohn, 9 und 6 Jahre alt, fragten mich kürzlich: «Papi, gibt es unsere Welt trotz Krieg in ein paar Jahren noch?» Es stellt sich tatsächlich die Frage: Wieso kauft die SNB Staatsanleihen von Staaten, die Krieg führen?
Jordan: Wir kaufen Staatsanleihen nicht, um gewisse Staaten zu unterstützen und schon gar nicht um Kriege zu finanzieren, sondern weil es geldpolitisch notwendig ist. Der Hauptanteil unserer Staatsanleihen ist in Euro und Dollar. Das sind weltweit die wichtigsten Währungen.
Thyda Hausheer: Was bedeutet der letztjährige SNB-Verlust von 132 Milliarden Franken für die Steuerzahler?
Jordan: Wir können dieses Jahr keinen Gewinn an die Kantone und den Bund ausschütten. Die öffentliche Hand hat dadurch weniger Einnahmen. Jeder Kanton und der Bund müssen aber selber entscheiden, wie sie damit umgehen. Wir können nur immer wieder darauf hinweisen, dass unsere Beiträge nicht garantiert sind.
Noel Baumann (22), Wirtschaftsstudent an der Universität Luzern, wohnt in Altdorf UR.
Vera Briner (44), Musiklehrerin, wohnt in Zürich.
Reto Blumer (43), Stickerei-Unternehmer, wohnt in Wädenswil ZH.
Florcence Iff (60), Künstlerin und Lehrerin, wohnt in Zürich ZH.
Philippe Schibli (46), Lokführerausbildner, wohnt in Fislisbach AG.
Beat Walmer (62), pensionierter Anlageexperte, wohnt in Thürnen BL.
Thyda Hausheer (40), Senior Programm Manager, wohnt in Küsnacht ZH.
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